Man muss auch etwas wollen

Onlinejournalismus Jetzt sind die Krautreporter online. Die Zusammenstellung der Beiträge wirkt bisher aber völlig willkürlich. Es fehlt eine redaktionelle Handschrift
Ausgabe 44/2014

Als ich auf der Journalistenschule war – ist schon ein paar Jahre her –, gab es eine Übung, die „die lange Form“ hieß. Zwei Wochen hatten wir Zeit, eine 15.000-Zeichen-Reportage zu schreiben. Manche verirrten sich dabei in der Recherche, manche im Textaufbau, aber irgendwann gab es 16 Geschichten. Darunter großartige Reportagen, aber auch welche, die sich nur mit viel Mühe und hohler Faktendrescherei über die Distanz mogelten. Alle zusammen wurden in einem Bändchen mit blassblauem Einband herausgegeben, das wir nie mehr anschauten.

Trotzdem war die Übung aufschlussreich. Man lernte erstens: Nicht jedes Thema eignet sich für eine große Reportage. Und zweitens dämmerte einem spätestens beim Betrachten des blauen Bändchens: 16 lange Texte, willkürlich hintereinandergereiht, ergeben noch lange kein spannendes Magazin.

Mir fiel das wieder ein, als jetzt die Website der Krautreporter online ging. Die Krautreporter, nur kurz zur Erinnerung, sind eine Gruppe junger, mitunter auch nicht ganz so junger Journalisten, die mit markigen Sprüchen („Der Onlinejournalismus ist kaputt. Wir kriegen das wieder hin“) 900.000 Euro per Crowdfunding einwarben. Damit soll ein Jahr lang ein Onlinemagazin finanziert werden, das all jene Dinge vermeidet, die Leser an den üblichen Nachrichtenwebsites nerven. Keine blinkende Werbung, keine hohlen Klickstrecken, keine zur Nachricht aufgeblasenen Nichtigkeiten. Stattdessen aufwendige Reportagen, große Porträts, hintergründige Analysen. Es handele sich um „Liebhaber-Feinschmecker-Slow-Food-Journalismus“, sagte Herausgeber Sebastian Esser. Und war doch bemüht, die selbst hochgejazzten Erwartungen wieder etwas zu dämpfen.

Auf der optisch schlichten Website findet sich nun eine Navigation, in der man nach Artikeln oder Autoren unterscheiden kann – Ressorts gibt es nicht. Und die Texte, die dort bisher zu lesen sind, haben eins gemeinsam: Sie sind, fast alle, sehr lang. Der prominenteste Krautreporter, Stefan Niggemeier, zerpflückt zum Start das Buch des Ex-FAZ-Redakteurs Udo Ulfkotte, Gekaufte Journalisten, was allein deshalb ein kluger Schachzug ist, weil Ulfkotte sich gern beklagt, dass er von den Medien totgeschwiegen werde. Auf über 30.000 Zeichen Länge (das wären drei Freitag-Zeitungsseiten) zeigt Niggemeier, wie Ulfkotte aus Pseudoenthüllungen, verdrehten Zitaten und Geraune eine Verschwörung zimmert, in der die Medien von Politik, Geheimdiensten und Hochfinanz ferngelenkt werden.

Außerdem gibt es einen gut recherchierten Text über Gentrifizierung in Istanbul sowie eine interessante Reportage über die Erdgasförderung in Mosambik. Beim Lesen anderer Beiträge schleicht sich aber der böse Verdacht ein, mancher Krautreporter könnte im Selbstmarketing weitaus stärker sein als im Schreiben. In New York lief ein Autor die Park Avenue hinauf, um „ein ganzes Land in einer Straße zu zeigen“. Der Text kommt aber nicht über Journalistenschülerniveau hinaus, weil die Gespräche mit zufällig getroffenen Protagonisten sehr oberflächlich bleiben.

Das größte Problem der Krautreporter ist aber, dass die Zusammenstellung der Beiträge völlig willkürlich wirkt. Wenn jeder schreibt, wozu er gerade Lust hat, kommt vielleicht ein Blogportal dabei heraus, aber kein Onlinemagazin. Eine redaktionelle Handschrift ist bisher nicht erkennbar. Länge und Entschleunigung sind ja noch keine Werte an sich. Man muss damit schon auch etwas wollen.

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