Raumfahrtpioniere stellt man sich als hartgesottene Testpiloten vor. Oder als versponnene Raketenbastler in riesigen Hangars. Manche tragen aber auch dunkle Businessanzüge, sprechen Start-up-Slang und bitten am Rand von Wirtschaftskongressen zum Gespräch. Bas Lansdorp sagt an diesem Vormittag in Berlin inmitten eines Gewimmels aus deutschen Technologie-Mittelständlern knapp, er sei ein Unternehmer aus den Niederlanden. Das könnte man als Understatement bezeichnen, wenn er nicht gleich darauf hinzufügen würde, dass es ihm darum gehe, „die aufregendste Geschichte aller Zeiten zu verkaufen“.
Lansdorp ist Co-Gründer und Geschäftsführer von Mars One, einer privaten Stiftung, die in zehn Jahren die ersten Menschen für eine dauerhafte Kolonie auf den Mars schicken will. Die Idee begeistert Weltall-Enthusiasten, Science-Fiction-Fans und Möchtegern-Astronauten rund um den Globus. Als Lansdorp im April 2013 die Suche nach Freiwilligen eröffnete, wurde er aber zunächst mit viel Spott bedacht. Zu abgedreht, zu verstiegen klang der Plan für viele, die das erste Mal von ihm hörten: Ab 2018 will Mars One unbemannte Sonden zur Vorbereitung der Mission zum Roten Planeten schicken, ab 2022 sollen die ersten Frachtmodule für die Siedlung folgen, 2024 starten dann vier Astronauten – zu einer Reise ohne Wiederkehr.
Wie einst nach Amerika
Was Lansdorps Idee von all jenen Marsflug-Plänen unterscheidet, die staatliche Organisationen wie die NASA immer mal wieder entwerfen, ist die Konsequenz, den Rückflug einfach wegzulassen. Zum einen seien die technischen Probleme immens, vom Mars zurück zur Erde zu starten, erklärt er. Bereits auf der Erde gebe es so viele Raketenfehlstarts, dass ein solches Unterfangen in einer unbekannten Umwelt praktisch nicht machbar sei. Zum anderen würde der Treibstoff, den man für den Rückflug mitnehmen und aufwendig zum Mars fliegen müsste, die Kosten der Mission vervierfachen. Besser wäre es daher, die Kolonie würde möglichst schnell autark von der Erde und die Neu-Marsianer würden nach einem erfüllten Leben in möglichst hohem Alter in der neuen Welt sterben.
Es klingt wie eine kalte Kosten-Nutzen-Kalkulation, in der Menschenleben zu einer Variablen unter vielen werden, aber Lansdorp kontert ethische Bedenken mit einem historischen Vergleich: „Als manche unserer Vorfahren sich entschlossen, nach Amerika oder Australien auszuwandern, war ihnen auch klar, dass sie nie mehr in ihre Heimat zurückkehren würden.“ Während ein Brief aus Australien damals mindestens drei Monate nach Europa unterwegs gewesen sei, könnte man mit einer guten Funkverbindung heute in 20 Minuten eine SMS zum Mars schicken. „Wenn Sie die 20 Minuten für den Rückweg dazunehmen, sind die Menschen auf dem Mars nie mehr als 40 Minuten von ihren Angehörigen und Freunden entfernt.“
Extraterrestrische SMS hin oder her, auf dem roten Planeten beträgt die Durchschnittstemperatur minus 63 Grad. In der Sonne kann es bis zu 30 Grad plus haben, im Schatten bis zu minus 140 Grad. Sandstürme hüllen den gesamten Planeten oft tagelang ein – und weil die Atmosphäre zu 96 Prozent aus Kohlendioxid besteht, werden die Siedler sich außerhalb ihrer Wohncontainer und der aufblasbaren Gewächshäuser nur im Raumanzug mit Sauerstoffversorgung bewegen können. In der kleinen Kolonie könnten Ereignislosigkeit und Langeweile zu den größten Problemen zählen. Die meiste Zeit werden die Pioniere damit beschäftigt sein, Maschinen zu warten und Gemüse anzubauen, denn auch wenn genug Nahrung für die ersten vier Jahre mitgenommen werden soll, muss der Mars schnell fruchtbar gemacht werden, wenn die Kolonie Bestand haben soll.
Die Lebensumstände wären extrem und doch meldeten sich auf den ersten Bewerbungsaufruf über 200.000 Menschen. Mit seinem Team – darunter erfahrene Weltraummediziner – machte sich Lansdorp ans Sichten. Sie sortierten Spaßvögel, Aufschneider und jene aus, die offensichtlich hofften, mit einem Flug zum Mars all ihre Probleme hinter sich zu lassen. „Wenn dein Leben auf der Erde nicht gut ist, liegt das sehr wahrscheinlich nicht am Planeten“, sagt Lansdorp.
Übrig geblieben sind 663 ambitioniertere Bewerber, die nun interviewt und getestet werden. In Vierer-Teams werden 24 Auserwählte dann jahrelang für alle Eventualitäten der Mission trainieren. Dafür soll ein maßstabgetreues Modell der Mars-Kolonie zunächst in der Atacamawüste in Chile aufgestellt werden, später in der Arktis. Wochenlang isoliert sollen die Teams dort üben, wie sie mit technischen Problemen klarkommen – wenn etwa die Luftzufuhr streikt. Sie sollen zeigen, wie sie damit umgehen, wenn die Nahrung knapp wird. Und wie sie mit der Belastung klarkommen, mit drei anderen Menschen auf engstem Raum zusammengesperrt zu sein.
„Ich könnte nie bei einem der ersten Teams mitfliegen“, sagt Lansdorp. Später vielleicht, wenn alles bereits etablierter sei, aber nicht bei den Pionieren. „Mir fehlen dafür die psychischen Voraussetzungen. Ich bin stur und ungeduldig, was für einen Unternehmer beides gute Eigenschaften sind, aber nicht, um mit drei anderen Menschen für immer auf engstem Raum zusammenzuleben.“
Wenn das erste Team sich 2025 auf dem Mars etabliert hat, sollen im Zweijahresrhythmus weitere Vierer-Crews folgen und die Siedlung so immer weiter wachsen. Dass die Mission im Prinzip technisch machbar ist, darin sind sich die meisten Raumfahrtexperten einig. Große Bedenken gibt es aber bei der Fehleranfälligkeit der Technik. Viele der Komponenten, die Mars One in den Szenarien munter verplant, sind unter diesen Bedingungen noch nie verwendet worden. Es lässt sich schlicht nicht voraussagen, ob und wenn ja, wie lang sie funktionieren.
Finanzierung über TV-Rechte
Hinzu kommen die Kosten. Mars One plant mit einem Budget von sechs Milliarden Euro bis zur Landung der ersten Crew. Ein extrem knappes Budget, und doch eine riesige Summe. „Ich wusste lange nicht, wie man das zusammenbekommen sollte“, erzählt Lansdorp. „Bis ich hörte, dass die Fußball-WM und die Olympischen Spiele mit Sponsoring und Verkauf der TV-Rechte allein jeweils vier Milliarden Euro einnehmen. Und was sind ein paar Sportler gegen das größte Abenteuer der Menschheit?“
Kaum hatte er seine Finanzierungsidee vorgestellt, schrieben die Zeitungen über „Big Brother im All“. Dabei soll nicht alles gefilmt werden. „Auf dem Mars haben wir gar nicht mehr die Kontrolle, aber auch vorher können unsere Astronauten natürlich die Kamera ausstellen, wenn sie das wollen“, sagt Lansdorp. Es müsse niemand befürchten, dass man Menschen live beim Sterben zuschauen könne, wenn das Raumschiff etwa – wie so einige Forschungssonden zuvor – den Mars nach sechs Monaten Flug verfehlt und in den Weiten des Alls verschwindet, während an Bord der Sauerstoff langsam ausgeht.
Unter den Freiwilligen für die Mission finden sich Menschen aller Altersgruppen, ein 22-jähriger Webdesigner, ein deutscher Fluglehrer Mitte vierzig und eine 64-jährige Filmemacherin aus San Francisco, deren erklärtes Ziel es ist, als erster Mensch auf dem Mars begraben zu werden. Was haben sie alle gemeinsam? Lansdorp spricht vom Typus des Entdeckers: „Diese Menschen hat es zu allen Zeiten gegeben. Sie sind neugierig, sie wollen die Grenzen des Bekannten verschieben und eine neue Gesellschaft aufbauen.“ In Zeiten, in denen Google Maps jeden Fleck der Erde sofort auf den Bildschirm holen kann, bleibt nur der Weg ins All und die Leere ferner Planeten, um noch einmal völlig neu anzufangen.
Bei dem Wirtschaftskongress in Berlin bekommt Lansdorp 20 Minuten auf der Bühne, um seine Pläne vorzustellen. In seiner Erzählung verschmelzen Raumfahrt-Begeisterung, Unternehmerrhetorik und Eroberungswille. „Es geht darum, groß zu denken und echte Risiken einzugehen.“ Die Firmengründer und Geschäftsleute im Publikum wirken teils amüsiert, teils irritiert. Diese Form des Weltall-Kapitalismus ist vielen dann doch zu visionär. „Jetzt aber wieder back to earth“, sagt der Moderator, als Lansdorp von der Bühne tritt.
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