Onlinekiosk kills the Blattlinie

Medien Seit Juni testet der niederländische Onlinekiosk Blendle sein Geschäftsmodell in Deutschland. Das könnte die Rolle von Redaktionen grundlegend verändern
Ausgabe 26/2015

Vor knapp einem Jahr beendeten die Krautreporter ihre Crowdfunding-Phase. 900.000 Euro hatten sie eingesammelt, um das mit dem „kaputten Onlinejournalismus“ wieder hinzukriegen. Nach ein paar guten Texten, vielen Enttäuschungen und massiver Kritik kämpft das Projekt mittlerweile ums Überleben. Im Oktober laufen die 15.000 Abos der Erst-Unterstützer aus, mindestens 6.000 Abos für das zweite Jahr müssen abgeschlossen werden, damit es weitergehen kann. Das dürfte schwierig werden. Zumal das prominenteste Mitglied vergangene Woche seinen Abschied nahm.

Fast zeitgleich mit der neuen Werberunde gab der Medienjournalist Stefan Niggemeier bekannt, dass er kein Krautreporter mehr sein will. Für ihn sei der Versuch nicht gelungen, schrieb er in seinem Blog. Als zentrales Problem nannte er das Fehlen einer redaktionellen Idee. „Wir taten uns schwer damit, zu definieren, worüber wir berichten wollen und wie.“ Ein Dreivierteljahr nach ihrem Start wollen die Krautreporter nun etwas ändern und aus einer festen Redaktion heraus mehr Themenschwerpunkte entwickeln. Damit könnte endlich der Grundfehler behoben werden – dass nämlich nur ein Blogportal und kein Onlinemagazin entsteht, wenn Einzelkämpfer ihre Texte nur nach eigenen Vorlieben online stellen.

Während die Krautreporter sich also wieder traditionelleren Strukturen des journalistischen Arbeitens annähern, wird das Ringen um eine gemeinsame redaktionelle Linie, wie es einzelne Medienmarken auszeichnet, von anderer Seite in Frage gestellt. Seit Anfang Juni testet der niederländische Onlinekiosk Blendle sein Geschäftsmodell in Deutschland. Die Idee ist simpel: Statt eine ganze Ausgabe des Spiegel, der Süddeutschen oder der FAZ zu kaufen und damit viele Texte zu erstehen, die ihn nicht interessieren, kann sich der Kunde einzelne Beiträge für Cent-Beträge kaufen. Wer ein Steak essen will, kauft ja auch nicht ein ganzes Rind.

37 Zeitungen und Zeitschriften hatte Blendle zum Start der deutschen Beta-Version bereits im Angebot. Der Springer-Verlag und die New York Times haben drei Millionen Euro investiert. Blendle stellt gerade deutsche Mitarbeiter ein, denn die Texte sollen nicht von Algorithmen, sondern von Redakteuren den Nutzern vorgeschlagen werden. Und klar: In Zeiten, in denen die Erlösmodelle für Journalismus atemberaubend schnell kollabieren, ist diesem neuen Versuch, mit Texten Geld zu verdienen, nur Erfolg zu wünschen. Aber es könnte dabei etwas verloren gehen.

Hier ist nun der Punkt gekommen, ein Plädoyer für die Redaktionskonferenz zu halten. Das ist diese altmodisch anmutende persönliche Zusammenkunft, in der eine Zeitung oder ein Onlinemedium um die eigene Linie ringt. In der ausgehandelt wird, was berichtenswert ist, welche Thesen man präsentieren will und aus welch unterschiedlichen Perspektiven Politik-, Kultur- und Gesellschaftsressort auf dasselbe Thema blicken könnten. Man muss das nicht romantisieren. Es sind mitunter bleierne Stunden in schlecht gelüfteten Räumen, manche Ansichten der Kollegen hält man selbst für absurd, die getroffenen Entscheidungen nicht immer für glücklich. Und trotzdem: Wenn alles gut geht, entsteht aus den Diskussionen am Ende mehr als ein paar zusammengepickte Texte, wie sie ein Blendle-Redakteur kuratiert. Wenn es gut läuft, entsteht daraus etwas Organisches, etwas, das sich erst im Zusammenspiel der einzelnen Teile bildet. Man nannte das mal die Haltung einer Redaktion.

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