Bei der Berichterstattung über Afrika kann man grob zwei Linien unterscheiden. Da ist zum einen das vertraute, oft als zu klischeehaft kritisierte Bild des bettelarmen Kontinents, der von Hunger, Gewaltexzessen und Despoten geplagt wird. Und für den dieses Schicksal bis in alle Ewigkeit festgeschrieben scheint. Demgegenüber steht eine Beschreibung, die die Probleme nicht verschweigen will, aber doch die Veränderungen der vergangenen Jahre betont. Etwa die Entstehung einer selbstbewussten Mittelschicht, die neue Ansprüche an politische Eliten und einen funktionierenden Staat stellt. Oder die umwälzende Bedeutung, die Mobilfunknetze und Digitalisierung für einen Kontinent haben, dessen riesige Distanzen immer auch ein Entwicklungshemmnis waren.
Afrika mit seinen 54 Ländern, die bei allen Unterschieden doch einiges gemeinsam haben, stehe kurz vor seinem Durchbruch, heißt es in dieser Erzählung oft. Die Mehrheit der afrikanischen Staaten werde bald zu den wichtigsten Schwellenländern aufschließen und die Armut hinter sich lassen. Der britische Journalist Tom Burgis würde sich diesen Hoffnungen wohl gern anschließen – allein, sein Blick ist ein anderer, ein weitgehend desillusionierter.
Kollision der Interessen
Wobei er die Gründe dafür, und das macht sein gerade auf Deutsch erschienenes Buch Der Fluch des Reichtums besonders lesenswert, nicht allein in Afrika sucht. Vielmehr dröselt er das internationale Geflecht von Spekulanten, Großkonzernen, Schmugglern und Warlords auf, in dem Interessen von Hedgefonds und multinationalen Konzernen mit denen chinesischer Geschäftsleute kollidieren, während Politiker vor Ort die einen gegen die anderen ausspielen.
Burgis war als Westafrika-Korrespondent der Financial Times ab 2006 in Johannesburg und später in Lagos stationiert, heute lebt er wieder in London. Und er beginnt sein Buch mit einer persönlichen Erfahrung – mit der Erinnerung an einen Zusammenbruch. Ende 2010 flog er von einer Recherche in Guinea nach Großbritannien, um sich wegen dauerhafter Übelkeit behandeln zu lassen. Die Diagnose lautete: posttraumatische Belastungsstörung. Ihn quälten die Erinnerungen an ein Massaker, dessen Zeuge er in Nigeria an der Grenze zwischen dem muslimischen Norden und dem christlichen Süden geworden war. Die Bilder der Toten ließen ihn nicht los. Er hatte damals berichtet, dass „ethnische Rivalitäten“ der Grund gewesen sein. Das traf zu, und doch wurde Burgis im Laufe seiner Therapie in einer psychatrischen Klinik klar, dass es auch zu kurz greift.
Sein Buch will die Strukturen hinter der Gewalt zeigen, jene Strukturen, die für Ausbeutung und Armut verantwortlich sind. Als Ausgangspunkt stellt Burgis ein Phänomen vor, das Ökonomen „Ressourcenfluch“ nennen. Zahlreiche Statistiken zeigen: In Ländern mit großen Rohstoffvorkommen ist die Bevölkerung besonders häufig arm, der Staat besonders marode. Burgis erklärt dies damit, dass die Einkünfte, die die Regierungen aus den Ressourcen beziehen, nicht „verdient“ werden. Oft werden nur Lizenzen zum Bohren oder Schürfen an ausländische Konzerne verkauft. Das ist für die Machthabenden eine Goldgrube, bringt aber neben dem Stagnieren der eigenen Entwicklung noch ein gravierendes demokratietheoretisches Problem mit sich: „Im Extremfall bricht der ungeschriebene Vertrag zwischen Regierenden und Regierten zusammen, weil die Herrschenden zur Finanzierung von Staat und Regierung nicht auf die Besteuerung und daher auch nicht auf die Zustimmung der Menschen angewiesen sind.“
Wie sich das in der Praxis auswirkt, dafür liefert Burgis detailliert recherchierte Beispiele. Er zeigt, wie die Ölmillionen in Angola nicht nur das Militärbudget explodieren lassen, sondern auch zur Hypergentrifizierung in der Hauptstadt Luanda führen. Slums, die in der Nähe des Stadtzentrums liegen, werden planiert, die Menschen mit Polizeigewalt an den Stadtrand gedrängt.
Für die These, dass eine unkontrollierte Globalisierung weit mehr schadet als nützt, liefert das Buch viel Anschauungsmaterial. So beschreibt Burgis, wie das Öl in Nigeria nicht nur die Umwelt zerstört, sondern auch den Tod für die heimische Textilindustrie bedeutet. Die Dollar für die Ölexporte ließen den Wert der eigenen Währung nach oben schnellen, was Importe gegenüber nationalen Produkten verbilligte. Das führte dazu, dass westafrikanische Stoffe und Kleidung heute weitgehend in chinesischen Fabriken gefertigt werden, die sie billiger anbieten können als nigeranische. Auch ein Einfuhrverbot änderte daran nichts, es ließ nur ein florierendes Netzwerk von Textilschmugglern entstehen.
Im Kongo nannten UN-Ermittler internationale Unternehmen, die dort Mineralien aufkauften, die „treibende Kraft des Konflikts“. Im Bürgerkrieg kämpften Warlords um Minen mit Coltan, das sich in fast jedem Handy findet. Die Versuche, darauf zu reagieren, indem man Mineralien aus „fairen Minen“ zertifiziert, sieht Burgis skeptisch. Mit Tarnfirmen und dem Schmuggel über die Grenze ließe sich dies unterlaufen.
So faktenreich Burgis die Wechselbeziehungen zwischen Konzernen, Zwischenhändlern, Politikern und Militärs in vielen Ländern nachzeichnet, so bedeckt hält er sich mit Aussagen, wie sich grundlegend etwas ändern ließe. Sein Buch ist ein Appell hinzuschauen – und sich als westlicher Konsument der eigenen Verantwortung bewusst zu werden. Oder wie es die nigerianische Sängerin Nneka formuliert, die immer wieder die fatale Rolle des Ölkonzerns Shell in ihrer Heimat kritisiert: „Denkt nicht, ihr hättet nichts damit zu tun.“
Info
Der Fluch des Reichtums. Warlords, Konzerne, Schmuggler und die Plünderung Afrikas Tom Burgis Michael Schiffmann (Übers.), Westend 2016, 352 S., 24 €
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