Schön altmodisch

Verleihung Der Pulitzer-Preis setzt auf gute Geschichten und gesellschaftliche Relevanz – und bleibt deshalb gerade heutzutage wichtig
Ausgabe 16/2016

Die Art der Bekanntgabe weckt wohl nicht ganz ungewollt Assoziationen zur Verleihung der Nobelpreise. So betreibt die Journalimusfakultät der Columbia-Universität im Vorfeld viel Geheimniskrämerei um den Auswahlprozess, anschließend wird die Präsentation der Sieger in einem ehrwürdigen Uni-Saal zelebriert und per Videostream um die Welt geschickt. Und der Spannungsaufbau funktioniert: Wenn wie vergangenen Montag die Gewinner der Pulitzer-Preise in New York bekannt gegeben werden, schauen Medienschaffende rund um den Globus zu. Der englischsprachige Journalismus ist dank der Universalität der Sprache ja der einzige wirklich globalisierte. Die Pulitzer-Preise gelten daher als „Oscars der Branche“, sie sind heute aber vor allem auch Selbstvergewisserungsritual eines Metiers, das seit Jahren einen scharfen Umbruch erlebt.

Diesmal war der Rummel noch etwas größer als sonst. Zum 100. Mal wurden die Auszeichnungen verliehen – und deshalb zuvor eifrig alte Chroniken durchgeblättert. Den allerersten Preis erhielt 1917 der US-Reporter Herbert Bayard Swope, der über die Erste-Weltkriegs-Schlacht an der Somme aus einem deutschen Schützengraben berichtete, inklusive einer langen Aufzählung, auf wie viele verschiedene Arten man dort beschossen werden konnte.

Wenn man sich die Prämierten des Jahres 2016 anschaut, lässt sich erst mal feststellen: Bei den Sujets hat sich nicht so viel verändert. Noch immer sehen Journalisten es als ihre Aufgabe und in der Folge als preiswürdig an, dort zu sein, wo Menschen im Schlamm liegen, wo sie frieren und Angst haben – und wo dieses Leid ohne die Arbeit der Reporter ohne Zeugen bliebe. Völlig zu Recht wurde daher ein vierköpfiges Fotografen-Team der New York Times ausgezeichnet, das beeindruckend-bedrückende Bilder von den Flüchtlingstrecks auf der Balkan-Route gemacht hatte. Um die Welt ging das Foto eines irakischen Vaters, der mit seiner Tochter auf dem Arm vor Erleichterung in Tränen ausbrach, als sie an der griechischen Insel Kos an Land gelangten.

Ein Team der Nachrichtenagentur AP wurde für eine 18-monatige Recherche geehrt, die Sklavenarbeit in der südasiatischen Fischindustrie aufdeckte. Nach den Enthüllungen kamen in Indonesien 2.000 gefangen gehaltene Arbeiter frei, Dutzende Verantwortliche wurden verhaftet. Dass die Pulitzer-Preise mittlerweile in 21 Kategorien vergeben werden – unter anderem auch für Belletristik, Dramatik und Geschichtsschreibung –, erschwert zwar den Überblick. Zugleich hat die Ausdifferenzierung aber verhindert, dass nur Schönschreiberei und lange Reportagen prämiert werden, wie das bei manch anderem Journalistenpreis lange der Fall war. Das AP-Team wurde etwa in der Kategorie „Dienst an der Öffentlichkeit“ geehrt, die mit ihrem Namen ein Selbstverständnis von Journalismus ausdrückt, an das es sich zu erinnern lohnt.

Kritiker monieren neben einer Inflation der Preise und dem intransparenten Auswahlprozess auch immer wieder, dass die Pulitzer-Jury nicht genügend mit der Zeit gehe, ihre Entscheidungen altmodisch seien. Und sicher, es wurde nicht das beste Storify gekürt, nicht die aufregendste Multimedia-Story des Jahres herausgesucht. Aber gerade in diesem Beharren auf guten Geschichten und gesellschaftlicher Relevanz gegenüber den neuen Medientrends ist der Pulitzer-Preis wichtig. Er erinnert mit seiner Historie daran, dass guter Journalismus über die Aufregungen des Tages hinausreicht. Und zwar weit.

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