Selig ist, wer mit der Zeit geht

Heilige Tweets Die evangelische Kirche will moderner werden - und drängt mit aller Macht ins Netz. Nun soll die Bibel getwittert werden. Dabei soll ein Twitter-Weltrekord herauskommen

Als protestantische Tugend galt einmal Bescheidenheit. Davon möchte man bei den Medienschaffenden der Evangelischen Kirche aber heute nicht mehr so viel wissen. Ein Weltrekord soll schon herausspringen, wenn die Protestanten die neuen Medien und Twitter für sich entdecken. Zum Beginn des Kirchentages in Bremen startet man nun den Versuch, bis zum Pfingstmontag die gesamte Bibel zu twittern. "Mitmachen kann jede und jeder!", heißt es dazu auf evangelisch.de. Ist ja nett. Bloß was soll das Ganze?

Als eine "typisch evangelische Aktion" lobt Bischof Wolfgang Huber, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), den Twitterversuch. Schon Martin Luther habe seinerzeit versucht, den Menschen das Wort Gottes in einer zeitgemäßen Sprache nahezubringen. Vom Mittelalter zum Web 2.0 – niemand kann den Protestanten vorwerfen, dass sie nicht in größeren Zusammenhängen denken würden. Und dass sie nicht auf der Höhe der Zeit seien.

Auch Melanie Huber von evangelisch.de argumentiert im Interview mit der Leipziger Volkszeitung, man passe sich nur dem Medienwandel an: "Natürlich würde Jesus twittern." Angst vor einer Trivialisierung habe sie bei der Reduktion auf 140-Zeichen-Nachrichten keine, sagt Huber. "Es sind keine Häppchen, sondern es handelt sich um eine Verkleinerung. Sicherlich ist dies ein ehrgeiziges Unterfangen, aber Deutung und Verdichtung sind ohnehin evangelische theologische Tugenden."

Die Betonung des genuin Evangelischen, die sich in den Begründungen immer wiederholt, verrät aber die eigentliche Motivation für diese Aktion. Man will die eigene Marke stärken, das "E wie evangelisch" - wie ein anderes PR-Projekt der EKD heißt - stärker in die Öffentlichkeit rücken. (Dafür spricht auch das neue e-Logo, das auf der Webseite, beim Twitter-Account und in mäßig lustigen Fernsehspots prominent platziert wird.) Insgeheim sind die Protestanten schon immer eifersüchtig auf die Katholiken und ihre große Bildermaschine, den Papst, gewesen. Egal wie kritisch die Berichterstattung zu Benedikt ist, wenn er auf Reisen geht, beherrscht er Abende lang die Fernsehnachrichten. Eine mediale Aufmerksamkeit, die die Protestanten nicht einmal erreichen, wenn sie wie nun beim Kirchentag mit 100.000 Teilnehmern die Innenstadt von Bremen verstopfen.

Ob die neuen Medien da zu etwas mehr Ausgeglichenheit führen können? Wohl kaum. Denn was sind schon getwitterte Bibelverse gegen ein Bild der roten Papst-Schuhe?

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