Sisyphos im Bunker

Alltagskommentar 17 US-Atomraketen-Offiziere wurden beurlaubt, weil sich bei ihnen eine Kultur der Gleichgültigkeit eingeschlichen habe. Nur was tun, wenn einen der Job zu Tode langweilt?
Ausgabe 20/2013
Sisyphos im Bunker

Foto: Saul Loeb / AFP

Die Meldung sorgte, nun ja, für einige Unruhe. Die Nachrichtenagentur AP machte vergangene Woche öffentlich, dass die US-Luftwaffe 17 Offiziere in North Dakota vom Dienst suspendiert hat. Diese wären im Ernstfall auf Befehl des Präsidenten für den Abschuss interkontinentaler Atomraketen zuständig. Die Soldaten hatten bei einer Übung miserabel abgeschnitten. Ihre militärische Bewertung wäre als Schulnote mit einer glatten Fünf vergleichbar, hieß es. Der stellvertretende Kommandeur schrieb in einer internen E-Mail, die den Weg in die Öffentlichkeit fand, in seiner Einheit seien „Moral, Teamgeist und Einsatzbereitschaft verrottet“. Es habe sich eine „Kultur der Gleichgültigkeit“ breitgemacht.

Nun rätselt das Pentagon, was der Grund für diesen Verfall sein könnte. Eine Erklärung lautet, die Offiziere seien frustriert, weil ihre Karrieremöglichkeiten heute überschaubar wären. Sie sind die Verlierer dessen, was man in der freien Wirtschaft „Strukturwandel“ nennt. Fast 25 Jahre nach Ende des Kalten Kriegs sieht auch das US-Militär Langstrecken-Atomraketen nicht mehr als zukunftsträchtigste Waffengattung. Und so sind die Abschussoffiziere in North Dakota – natürlich neben den Zeitungsjournalisten – zu den Bergleuten des 21. Jahrhunderts geworden, die von Hackern und Drohnenpiloten karrieretechnisch abgehängt werden.

Boreout statt Burnout?

Viel schlimmer aber als fehlende Aufstiegschancen, warnen Arbeitsmediziner immer wieder, ist ein langweiliger Job. Eine öde Routine, das Gefühl, nie etwas wirklich abzuschließen (bei Atomraketen natürlich ein besonderes Dilemma), und die Einsicht in die völlige Sinnlosigkeit der eigenen Arbeit können dieselben Symptome auslösen wie ein Burnout, weshalb das Phänomen kurzerhand Boreout genannt wird. (In vielen Büros der Republik wird an dieser Stelle wohl heftig genickt.)

Die suspendierten Offiziere werden nun zwei Monate zur Fortbildung geschickt. Was genau den Soldaten beigebracht wird, verrät das Pentagon nicht. Naheliegend wäre es, ihnen Albert Camus’ Mythos des Sisyphos zum Lesen mitzugeben. Schließlich gilt der Essay als Standardwerk aller in kafkaesken Arbeitswelten gefangenen Angestellten, weil er zeigt, wie man trotz des Einblicks in die Absurdität des eigenen Tuns glücklich wird. Nämlich, indem man diese Sinnlosigkeit verachtet – und doch immer weiter macht.

Wie? Über die Langeweile und Nutzlosigkeit der eigenen Arbeit mittels Verachtung zu triumphieren, gelingt nicht jedem? Dann hilft den Abschussexperten im Atombunker wirklich nur noch eins: umschulen.

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