Voll in die Fresse

Porträt Uwe Boll gilt als schlechtester Regisseur der Welt. Vergangenes Jahr verlieh ihm ­Hollywood die Goldene Himbeere für sein Lebenswerk. Aber er dreht immer weiter

Er erinnert sich an diese Übung im Box-Training. Er liegt auf dem Rücken, Hände und Füße schnellen wie bei einem Klappmesser über seinem Körper zusammen. In dem Moment, in dem er Arme und Beine wieder auf dem Boden ablegt und sich die Bauchmuskeln entspannen wollen, schlägt ihm der Trainingspartner die Faust mit voller Wucht auf den Bauch. Nur wenn die Muskeln hart gespannt sind, lässt sich das ertragen.

Uwe Boll ahmt den Schlag auf die Bauchdecke nach, wenn man ihn fragt, was das Boxen ihn gelehrt hat. Es hat ihm Nehmerqualitäten gegeben. „Deswegen ziehe ich mich auch nicht weinend zurück, sondern mache weiter Filme“, sagt er.

Boll ist 44 Jahre alt und zählt zu den produktivsten Regisseuren Deutschlands. Jedes Jahr dreht er zwei, drei abendfüllende Spielfilme. Die meisten sind nie in deutschen Kinos zu sehen. Für viele Kritiker ist er der schlechteste Regisseur der Welt. Die renommierte Internet Movie Database zählt vier seiner Werke zu den 100 miesesten Filmen aller Zeiten. Im vergangenen Februar verlieh man ihm in Los Angeles den Spott-Preis Goldene Himbeere für sein Lebenswerk und nannte ihn die deutsche Antwort auf Ed Wood, den katastrophalen Hollywood-Stümper der fünfziger Jahre. Man könnte sagen: Uwe Boll ist es gewohnt, auf die Fresse zu kriegen.

Um den Mann zu treffen, der so hart im Nehmen ist, muss man an diesem Wintertag einen verschneiten Hügel am Stadtrand von Mainz hinauflaufen. Der Weg hat etwas David-Lynch-haftes. Man verliert sich für einen Moment im Weiß des Schnees, bevor nach zwei Kurven die Villa des Regisseurs auftaucht. Boll steht in Hausschlappen an der Tür. Er trägt Jeans und einen schwarzen Pulli mit Totenkopf-Aufdruck. Die grauen Haare sind kurz geschnitten.

Ein Schnäppchenjäger

Sein Büro ist der einzige beheizte Raum im Haus. In einem Regal stehen DVDs mit Filmklassikern: Spiel mir das Lied vom Tod, Citizen Kane, Apocalypse Now. Boll ist gerade aus Vancouver gekommen, in ein paar Tagen fliegt er zum Drehen nach Kroatien. Die Villa habe er für einen Schnäppchenpreis gekauft, erzählt er. „Die stand vorher Jahre leer, hat nur 800.000 Euro gekostet.“

Er kennt sich aus mit Schnäppchen. Für seine Filme gelingt es ihm oft, Hollywood-Stars günstig zu verpflichten. So drehte Boll schon mit Ben Kingsley, Christian Slater und Jason Statham. Sein Trick: Er verhandelt erst kurz vor Drehbeginn. Wer für den Termin noch kein anderes Angebot hat, ist meist für eine moderate Gage zu haben. Nur die Auswahl ist dann nicht mehr groß. Mitunter passiert es, dass der Darsteller überhaupt nicht zur Rolle passt. Boll stört das nicht, er ist flexibel. Als sich bei einem Dreh in Rumänien die Komparsinnen vor der Kamera nicht ausziehen wollten, verpflichtete er kurzerhand Prostituierte.

Abseits der Wahrnehmung des Hochfeuilletons und der meisten Kinogänger ist es ihm gelungen, eine eigene Sub-Ökonomie in der Filmbranche aufzubauen. Er hat sich auf die Verfilmung von Computerspielen spezialisiert. Je blutiger, desto besser. Aus Ego-Shootern oder Fantasy-Schlachten macht er Splatter Movies. Das meiste Geld verdient er mit DVDs. Normal macht das DVD-Geschäft etwa 50 Prozent des Umsatzes aus, die andere Hälfte bringen Kino und Fernsehen. Bei ihm stammten 70 bis 80 Prozent der Einnahmen aus dem Verleih und Verkauf der Silberscheiben, sagt Boll.

„Man braucht eine Geschichte, die möglichst viele kennen.“ Computerspiele seien ideal, weil sie bereits Millionen Fans hätten. „Film ist vor allem eins: teuer.“ Um die Millionenkosten wieder reinzubekommen, muss er seine Werke in bis zu 80 Länder verkaufen. Das funktioniere nur, wenn sich die Story in ein, zwei Sätzen zusammenfassen lässt. „Ich würde jedem Kritiker empfehlen, sich einmal auf einen Filmmarkt zu begeben, wo man mit den Einkäufern verhandelt. Da kommt ein Film ganz auf die Produktebene runter. Man kann ihn verkaufen oder eben nicht.“

Klischeehafte Figuren, absurde Dialoge, unglaubwürdige Plots – und vor allem kein Gefühl für Rhythmus und Timing. Daran, meinen seine Kritiker, erkenne man einen echten Boll-Film. Und in der Tat, wenn Boll wie bei Schwerter des Königs, einem Herr-der-Ringe-Verschnitt von 2007, Liebes- und Familienszenen inszeniert, wirkt das oft plump und kitschig. Dagegen sind Kämpfe und Metzeleien in seinen Filmen so lang und überbordend brutal, dass man beinah vergisst, dass es überhaupt noch eine Handlung gibt. Die Gewalt wird zum Selbstzweck. Abgehackte Gliedmaßen, brennende Menschen, im Kugelhagel sterbende Kinder – die Kamera hält immer voll drauf. Voll in die Fresse eben.

Willkür der Rankings?

Dennoch: In jeder Videothek und im Nachtprogramm vieler Privatsender finden sich ähnlich brutale Filme, die handwerklich schlechter gemacht sind. Wie Boll zu dem Superlativ "Schlechtester Regisseur der Welt" kommt, erschließt sich nach der Sichtung mehrerer seiner Filme nicht. Liegt es an der Willkür der Rankings? Am Herdentrieb, bei dem sich alle auf einen einschießen? An dem Etikett, das nun an ihm klebt und es unmöglich macht, seine Filme noch unvoreingenommen anzuschauen?

So skurril Bolls Karriere wirken mag, es ist doch die Geschichte eines Mannes, der seinen Traum vom Filmemachen gegen alle Widerstände durchsetzt. Schon als kleiner Junge will er Regisseur werden. Er belädt Plastikschiffchen mit Silvesterböllern, setzt sie aufs Wasser und filmt mit Super-8-Kamera, wie die Kracher die Modelle zerreißen. Nach dem Abitur bewirbt er sich an Filmhochschulen. Er bekommt Absagen, studiert in Köln Germanistik und Betriebswirtschaft, promoviert in Germanistik mit einer Arbeit über Fernsehserien.

Anfang der neunziger Jahre beginnt er, Filme zu machen. „Ich habe Freunde angehauen, Geld von meinen Eltern reingesteckt, Kameramann und Schauspieler umsonst arbeiten lassen.“ 1994 läuft sein drittes Werk Amoklauf sogar beim Max-Ophüls-Festival, man nimmt ihn ernst. „Aber mir wurde schnell klar, dass ich nicht ewig so arbeiten kann, indem ich alle – einschließlich mir selbst – völlig ausbeute.“

Der Wendepunkt kommt 2002. Sein Film über das Schulmassaker von Littleton floppt, dafür bietet man ihm an, das Computerspiel House of the Dead zu verfilmen. „Ich bin gar kein Gamer, aber ich mochte schon immer Zombie-Filme, deswegen habe ich zugesagt.“ Der Film ist wirtschaftlich sehr erfolgreich. Bei sieben Millionen Dollar Produktionskosten spielt er allein in den USA 40 Millionen Dollar ein. Ohne House of the Dead, sagt Boll, hätte er danach nie so viel Geld akquirieren können.

Bis die Große Koalition 2005 ein Steuerschlupfloch schließt, lassen sich mit Medienfonds sehr einfach Steuern sparen. Boll legt elf Medienfonds auf, mit denen er seine Filme finanziert. Seit der Änderung fällt es ihm schwerer, Geld aufzutreiben. Wirklich bremsen lässt er sich nicht.

House of the Dead war die beste und gleichzeitig die schlechteste Entscheidung meines Lebens“, sagt er heute. Weil die Computerspielfans enttäuscht seien, wenn er die Vorlagen nicht eins zu eins umsetze, habe er im Netz so viele Feinde. Dort wird er in Foren als „Goebbels der Computerspielverfilmungen“ beschimpft. Er finanziere seine Filme mit Nazi-Gold, lautet ein besonders absurder Vorwurf. Und immer wieder Totalverrisse, immer wieder die meisten Punkte auf der Negativskala.

Wie ist das, wenn man für seine Arbeit nie Anerkennung bekommt? Er spricht über Geld, über unzufriedene Anleger. Mit jedem verrissenen Film werde es schwieriger, neue Investoren zu finden. Aber wie ist es für ihn als Mensch? Für seine Frau und seine Eltern sei das belastend, sagt Boll. Er selbst versuche, es abzuhaken. „Aber ich bin ständig – auch im Privatleben – in einer Verteidigungshaltung.“

Zur Verleihung der Goldenen Himbeere schickte er eine Videobotschaft von einem Dreh in Afrika. Sie beginnt selbstironisch. Man sieht Boll vor einer Hütte stehen. „Hierhin habe ich mich verkrochen, weil ich mich so schäme.“ Dann kippt die Stimmung, er beschimpft die Initiatoren wüst. Man bekommt eine Ahnung davon, wie sehr ihm die Kritik zusetzt. Dabei, gibt er zu, bringe die Goldene Himbeere viel PR. Und auch schlechte Presse bringt Geld. Einen Film des allerschlechtesten Regisseurs wollen sich viele doch mal anschauen.

Für die Berlinale hat Boll mehrmals Filme eingereicht, eingeladen wurde er noch nie. Dieses Jahr habe er Darfur eingeschickt, einen Film mit Anspruch, eine Auseinandersetzung mit den Massakern im Sudan. Qualitativ auf dem Niveau von Hotel Ruanda, meint er. Bei der Berlinale wollte man 100 Euro Sichtungsgebühr, damit man ihn begutachte. „Ich habe mich geweigert. Das zahlt Michael Haneke doch auch nicht.“

Boll inszeniert sich gern als Rebell. Im Gespräch wettert er gegen die deutsche Filmförderung, die ihn nie unterstützt. „Mit den 300 Millionen Euro jedes Jahr machen sich immer dieselben Leute die Taschen voll.“ Und wer Fördergelder kriege, den bringe der Förderer mit seinen Kontakten im Festival-Programm unter. So einfach sei das. Als Independent-Filmer ohne Verleih, unterstützenden Fernsehsender oder Förderung habe man es ungleich schwerer. „Das ist totale Wettbewerbsverzerrung.“

Es ist schwierig zu trennen, welcher Teil seiner Kritik berechtigt ist, welcher reiner Selbstschutz. Er greift lieber an, bevor die Frage kommen könnte, ob seine Filme einfach wirklich nur zu schlecht sind.

An Berlin kommt Boll trotzdem nicht vorbei. Der Filmmarkt während der Berlinale sei in den letzten Jahren immer wichtiger geworden. „Und es ist günstiger als in Cannes. Deshalb wird die Boll KG auch dieses Jahr im Ritz Carlton in einer Suite gastieren.“ Sein Verkäufer soll dort „Filme verkloppen“.

Er springt auf, er will noch etwas zeigen. Boll schiebt eine DVD in einen Player, auf dem Fernsehschirm sind Boxszenen zu sehen. Es ist eine Dokumentation über ihn: Raging Boll. 2006 hatte er von all den schlechten Besprechungen die Schnauze voll. Er forderte seine schärfsten Kritiker im Internet zu einem Boxkampf heraus. „Wenn die mich vernichten wollen, sollen sie es doch physisch machen.“

Vier Online-Journalisten erklärten sich bereit. Boll war zehn Jahre Amateurboxer, trainierte mit der Bundesliga-Mannschaft von Bayer Leverkusen, war Sparring-Partner von Boxweltmeister Dariusz Michalczewski. In der Doku sieht man, wie die Kritiker im Ring Späße versuchen oder vor Boll weglaufen. Und man sieht ihn, wie er mit grimmigen Gesicht die Gegner mit zwei, drei Treffern niederschlägt. Als er die Bilder zeigt, wirkt er fast stolz. Was sollte das? „Die müssen lernen, dass das, was sie da im Netz machen, Folgen haben kann – und die können in der echten Welt schmerzhaft sein.“

Auf dem Bildschirm übergibt sich ein Niedergeschlagener nach dem Kampf. Zwei haben anschließend behauptet, Boll habe vorher versichert, ihnen nicht wehzutun. „Völliger Quatsch“, sagt er. „Da waren 1.000 Zuschauer, die wollten etwas geboten bekommen.“

Seit diesen Kämpfen polarisiert Boll noch mehr, im Netz finden sich auf Youtube unter den Boxszenen unzählige Beschimpfungen. Seine Fans, ganz überwiegend junge Männer, bejubelten die Aktion. Es gibt Pro-Boll-Internetforen und Fanseiten. Manche finden tatsächlich seine Filme gut, für andere ist er mittlerweile eine Ikone des Trash. Er hat sich mit seinem öffentlichen Aufritten, mehr noch als mit seinen Filmen zu einer unverwechselbaren Marke stilisiert.

Es klingelt an der Haustür der Villa. Ein junger Mann tritt ein, Anfang 20, er dreht für ein Internetprojekt einen Dokumentarfilm. „Es ist mir eine Ehre“, sagt er, als er Boll die Hand schüttelt. Nachdem er seine Kamera für ein Interview aufgebaut hat, zieht er noch eine DVD aus der Tasche: Schwerter des Königs. „Vielleicht könnten Sie mir die danach signieren?“

Als schlechtester Regisseur aller Zeiten gilt bis heute Ed Wood (1924-1978), der in den fünfziger Jahren in Hollywood mit extrem wenig Geld, dafür aber um so mehr Enthusiasmus Filme drehte. Berühmt-berüchtigt ist er für Plan 9 aus dem Weltall (1956), der nicht nur vor technischen Fehlern strotzte man sieht etwa die Schnüre, an denen UFOs durchs Studio gezogen wurden , sondern auch einige der unbegabtesten Schauspieler der fünfziger Jahre vor der Kamera versammelte. Der Grusel-Darsteller Bela Lugosi verstarb während der Dreharbeiten. Wood verwendete trotzdem zwei Minuten bereits mit Lugosi gedrehtes Material und ließ ihn für den Rest des Films von seinem Chiropraktiker doubeln, der allerdings kaum Ähnlichkeit mit dem Verstorbenen hatte und deshalb den ganzen Film sein Gesicht hinter einem schwarzen Umhang verbarg.

Zu Lebzeiten fand Wood kaum Beachtung. In den neunziger Jahren stieg er jedoch zu einer Ikone der Trash-Kultur auf. Tim Burton setzte ihm 1994 ein filmisches Denkmal. In der Hauptrolle: Johnny Depp. Im Internet finden sich heute viele Wood-Fanseiten, Studenten spielen seine Filme nach. 1996 gründete Reverend Steve Galindo die Kirche von Ed Wood, die das Werk des Regisseurs und die Trashkultur feiert.

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