Das Fernsehen war das dominierende Medium, als vor 20 Jahren die Mauer fiel. TV-Kameras verfolgten das Geschehen. Günter Schabowskis Pressekonferenz, die sich öffnenden Schranken der Grenzübergänge, die feiernden Menschen auf der Mauer – all das wurde weltweit live übertragen. Seitdem hat das Internet, vor allem bei jungen Menschen, das Fernsehen als wichtigstes Medium abgelöst. Allerdings gilt das Netz als geschichtsvergessen. Was, so fragt man sich, kann das neue Medium zum kollektiven Erinnern 20 Jahre danach beitragen?
Auf eher fragwürdige Weise möchte Carl-Wolfgang Holzapfel an die dunklen Seiten der DDR erinnern. Vergangene Woche ließ der 65-Jährige sich in einer Zelle des einstigen Stasi-Gefängnisses in Berlin-Hohenschönhausen einsperren. Unter stasi-live-haft.de konnte man ihm via Live-Stream zuschauen, wie er in einem alten Trainingsanzug in der Zelle auf und ab lief. Die Zuschauer durften Fragen per E-Mail stellen, die er in die Überwachungskamera beantwortete. Das Ganze hatte etwas manisch Getriebenes. Holzapfel wirkte wie ein verwirrter Prediger, nicht wie ein Aufklärer. Er wolle mit seiner Aktion vor allem Jüngere auf Stasi-Unrecht aufmerksam machen, sagte er. Nur: Big Brother schauen die schon lange nicht mehr. Warum dann einen 24-Stunden-Live-Stream aus einer Zelle? Mittlerweile hat Holzapfel seine Aktion abgebrochen, die „emotionale Belastung“ sei zu hoch.
Einen anderen Blick in die DDR-Vergangenheit kann man derzeit auf Youtube werfen. Dort kursiert ein Video, das Margot Honecker bei einem Kaffeekränzchen in Chile am 7. Oktober zeigt, dem Republikgeburtstag. „Gut, wir haben es nicht geschafft“, räumt sie bei ihrer Ansprache ein. „40 Jahre immerhin waren wir da.“ An der Wand hängt eine DDR-Fahne, die Kamera wackelt, manchmal läuft jemand durchs Bild. Das Amateurhafte des Clips und das Interieur lassen Assoziationen an Good Bye, Lenin! wach werden. Plant da jemand vielleicht einen zweiten Teil und macht mit Youtube-Clips Werbung?
Derweil plant ein britischer Künstler im Netz den "größten Flashmob der Welt". Entlang des einstigen Verlaufs der Berliner Mauer sollen sich am 9. November 33.000 Menschen aufstellen, um eine 33 Kilometer lange Gedenkkette zu bilden. Mit der Spontanität, mit der diese Aktionsform ansonsten assoziiert wird, hat der "Mauer Mob" allerdings wenig zu tun. Auf der Seitemauer-mob.com können potenzielle Teilnehmer sich ihren Platz in der Menschenmauer aussuchen. Das hat den Charme eines automatisierten Check-Ins einer Fluggesellschaft. Möglicherweise ist auch deshalb die Bereitschaft bisher eher gering.
In der Gegenwart angekommen ist hingegen die Seite berlin-twitterwall.com. Vor einer Grafik der Berliner Mauer kann man hier Twitter-Nachrichten hinterlassen, Gedanken zum Mauerfall. Auffallend viele Tweets haben chinesische Schriftzeichen. Und so erinnert die Webseite daran, dass es auch im weltweiten Netz noch Mauern gibt. In China wurde die Seite Ende Oktober gesperrt, weil chinesische Twitterer begonnen hatten, die Plattform für Proteste gegen die Web-Zensur in ihrem Land zu nutzen.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.