Vorsicht, bissig!

Interview Max Uthoff ist mit Kabarett im Münchner Theater seines Vaters aufgewachsen. Mit der ZDF-Satiresendung „Die Anstalt“ wurde er zum prominenten Medienkritiker
Ausgabe 28/2015

der Freitag: Herr Uthoff, was kann Kabarett? Was soll es heute leisten?

Max Uthoff: Kabarett ist für mich ein Versuch, Menschen intelligent zu unterhalten – wenn es dabei gelingt, noch andere Kleinigkeiten zu erreichen wie ein bisschen Empörung, ein bisschen Wut oder auch nur Erstaunen über bestimmte Zustände in diesem Land, dann ist das ein gelungener Abend. Aber ich halte Kabarett für weit davon entfernt, die gesellschaftliche Umwälzung voranzutreiben.

Sehen Sie es als Teil der Gegenöffentlichkeit?

Es ist ein winziger Mosaikstein darin. Aber dieser Stein ist da – und die Gegenöffentlichkeit besteht aus ganz vielen Mosaiksteinen. Da ist eine Protestveranstaltung von Attac genauso wichtig wie ein Abend im Kabarett, die Nachdenkseiten von Albrecht Müller im Netz oder ein Artikel im Freitag.

Was ist mit der Abgrenzung zur Comedy? Viele Kabarettisten legen Wert darauf, dass sie keine unpolitischen Comedians sind.

Die Unterscheidung interessiert mich nicht so. Ich bin kein besserer Mensch, weil ich mich auf der Bühne mit politischen Inhalten beschäftige. Wenn sich jemand mit dem Sitzen im Kaffeehaus beschäftigt, und er mir etwas zeigen kann, das neu und überraschend ist, halte ich das für eine grandiose Leistung, denn dieses Genre wird ja auch seit 30 Jahren ausgetreten. Bei den Österreichern ist alles Kabarett, bei den Amerikanern alles Comedy, einfach weil die jeweils nur den einen Begriff kennen. In den USA gibt es Stand-up-Comedians wie Lewis Black, die in einer Minute Witze darüber machen, wie sie im Restaurant die Toilette nicht finden und zwei Minuten später die Außenpolitik von Barack Obama zerlegen. Das funktioniert, weil es einfach gut gemacht ist.

Wie ist das mit der Haltung? Bei der Anstalt ist die klar erkennbar, bei der heute-show als comedy-nahem Format vermisst man sie oft. Da wird sich gern über Politiker lustig gemacht, aber es bleibt bei dem Haha-sind-doch-alles-Trottel-Lacher.

Die heute-show zeigt schon manchmal Haltung. Dass sie bei ein, zwei Themen völlig falsch lag, würde ich unter persönlichen Präferenzen verbuchen. Ich halte das, was in diesem Land mit Claus Weselsky und der GDL gemacht wurde, für einen Skandal. Da hat sich auch die heute-show leider nicht zurückgehalten. Aber Oliver Welke macht gute Unterhaltung. Wenn ich politisch mal anderer Meinung bin, ändert das nichts daran, dass ich denke, dass dieses Format dem deutschen Fernsehen guttut. Genauso wie Jan Böhmermann, der wieder etwas anderes macht.

Wie würden Sie das beschreiben?

Jan Böhmermann hat so eine Grundebene der Ironie, auf der er arbeitet. Die Sache mit dem gefälschten Varoufakis-Video war ganz groß, das hat die Diskussion um die unsägliche Günther-Jauch-Sendung und das Stinkefinger-Video völlig ad absurdum geführt. Es war auch deshalb toll, weil man da eine Haltung von Böhmermann gesehen hat. Er hat neulich aber einen Tweet rausgeschickt: „Wenn noch einmal ein Kabarettist mit Emotionen Leute zum Weinen bringt, kriegt er auf die Fresse.“

Das ging gegen die „Anstalt“, die gern mit Pathos arbeitet.

Auf jeden Fall. Pathos ist dem, was Böhmermann macht, natürlich völlig entgegengesetzt. Das wird uns aber ein Ansporn sein, in unserer Sendung noch mehr emotionale Momente zu schaffen. Ich kann den Moment nicht abwarten, an dem Böhmermann mir auf die Fresse haut. Er ist nämlich einer der wenigen Männer, bei denen selbst ich als im Zweikampf nicht ausgebildeter Pazifist mir zutraue, ihn aus seinen Socken zu heben.

Sie sind mit dem klassischen Kabarett aufgewachsen. Ihr Vater betrieb das Rationaltheater in München.

Als kleiner Junge saß ich hinter dem Vorhang oder habe abends im Büro geschlafen. Mit elf habe ich dann die Garderobe gemacht. Das heißt, ich habe sie zu Beginn des Abends angenommen, war aber noch zu jung, sie nach der Vorstellung auch wieder rauszugeben, weil ich dann auf der Couch schlief. Es war schon wild, aber welcher Elfjährige hätte das nicht spannend gefunden?

Wobei man als Kind Politik ja wahnsinnig langweilig findet.

Ich fand Politik nicht grundsätzlich langweilig, habe aber schlicht zu wenig verstanden, um den Programmen meines Vaters folgen zu können. Aber immer wenn er mit dem Rationaltheater im Rest der Republik unterwegs war, gab es bei uns was anderes: Travestie oder auch Emil, der legendäre Schweizer Kabarettist. Er hatte sein erstes Münchner Gastspiel bei uns.

Schnell, scharf und schön altmodisch

„Wer immer dasselbe sagt, hat Recht. Wer immer dasselbe sagt, hat Recht. Wer immer dasselbe sagt ...“ Mit einem Megafon stürmt Max Uthoff, 47, zu Beginn seines Soloprogrammsin den Saal und wiederholt immer wieder diesen einen Satz – es ist eine knappe, treffende Zusammenfassung der deutschen Debattenkultur. Dann folgt an diesem Abend im Berliner Kabarett-Theater Distel eine Stunde Stand-up-Vortrag, Pause, dann noch einmal eine Stunde. Die Texte sind dicht, schnell, scharf, sehr politisch und auf eine gute Weise altmodisches Kabarett. Es geht um die neoliberalisierte Weltwirtschaft, irrlichternde Sozialdemokraten, einen sich selbst zur Rührung redenden Bundespräsidenten und Internetpornos.

Dass Uthoffs Auftritte quer durch die Republik zurzeit ausverkauft sind, hängt vor allem mit dem Erfolg der ZDF-Sendung Die Anstalt zusammen, die er zusammen mit seinem Fernsehpartner Claus von Wagner und wechselnden Gast-Kabarettisten einmal im Monat bestreitet. Einen Anteil daran könnte aber auch haben, dass Kabarett mit klar linker, kritischer Ausrichtung in Zeiten, in denen sich mit Griechenland-Krise, Ukraine-Konflikt und Islamischem Staat die globalen Probleme ballen, nicht mehr so sehr verstaubten 70er-Jahre-Charme verströmt, sondern als ziemlich zeitgemäße Form der Weltbetrachtung daherkommt. Auch beim Humor ist offenbar wieder Haltung gefragt.

Die Anstalt im ZDF macht noch bis Ende September Sommerpause, die Termine für das Soloprogramm gibt es unter maxuthoff.de

Und dann sagt man irgendwann: Das will ich auch machen?

Das ist, wie wohl in jedem Familienbetrieb, erst mal keine bewusste Entscheidung. Es ist eine Selbstverständlichkeit, mitzuarbeiten, und man entwickelt schnell eine große Disziplin. Da wird ja gearbeitet, egal ob es einem gut geht oder nicht. Das ist Familie, da muss man ran. Ich stand mit 17 das erste Mal mit einer Nummer auf der Bühne, die mein Vater geschrieben hatte. Dann habe ich nach und nach mehr gemacht.

Was lernt man übers Kabarett, wenn man damit aufwächst?

Man hat den großen Vorteil, dass man Dinge, die zum Handwerk gehören, verinnerlicht, ohne sie bewusst lernen zu müssen. Dazu gehört das Timing auf der Bühne, der Aufbau des Programms – dass man nicht nur die Pointenpeitsche schwingt, sondern auch mal fünf Minuten überhaupt keinen Witz macht und etwas anderes erzählt, damit das Ganze eine Melodie bekommt. Immer denselben Pegel zu halten, ist nicht interessant.

Die Abnabelung von den Eltern bezieht sich oft auch auf den Job.

Ja, die Selbstverständlichkeit des Mitarbeitens im Familienbetrieb führt aber nicht dazu, dass man automatisch sagt: Das will ich machen. Mit 23 habe ich erst mal aufgehört. Ich bin nach Wien gegangen. Österreich war damals noch kein EU-Land, was die Jobsuche sehr schwer machte. Überall stand „Barmann gesucht“, dahinter aber immer in Klammern: „Inländer“. Wenn mein Geld weg war, bin ich darum nach München gefahren, habe zehn Tage im Café gejobbt und bin dann zurück nach Wien.

Danach haben Sie Jura studiert. War das die Entscheidung, eine andere Welt kennenzulernen?

Mir ging es da wie so vielen Jurastudenten. Man macht damit halt nichts falsch. Ich habe mir zuerst Strafrechtsvorlesungen angehört. Die Strafrechtler haben ja oft einen morbiden Humor – da dachte ich, hier bin ich richtig. Als ich dann in der Verwaltungsrechtsvorlesung saß, habe ich nach einer halben Stunde auf einen Heckenschützen gehofft. Ich habe es aber durchgezogen. Wenn man mit 26 anfängt zu studieren, muss man sich wohl beweisen, dass man das schafft. Es war nur eine lange Zeit, die ich mit etwas verbracht habe, für das ich nicht genug Herzblut aufbringe.

Immerhin kennt man sich mit gesetzlichen Grenzen der Satire aus, wenn man Jura studiert hat.

Ja, das hilft als Kabarettist. Dass es Grenzen gibt, ist doch klar. Es kommt aber auch auf den Gegenstand an, den man behandelt. Es kann nicht darum gehen, auf die sozial Schwachen einzuprügeln, sondern Satire darf viel, wenn sie sich gegen die Mächtigen stellt. Ich habe ein klassisches, für die moderne Ironiegeneration wohl spießiges Bild des Kabaretts – als Stimme derer, die keine Stimme haben. Angriffsziel für mich sind die Protagonisten der herrschenden Klasse. Da merkt man, wie alt ich bin, wenn ich mit dem Begriff der herrschenden Klasse hantiere.

Auch ältere Begriffe können durchaus ihren Nutzen haben …

Unbedingt. Das Bestreben der Meinungsführer geht in den letzten Jahren ja dahin, Begriffe wie Klasse aufzulösen. Damit man immer weniger diesen Kampf führen kann, werden die Gegensätze sprachlich möglichst weit verwischt.

Zur herrschenden Klasse zählen Sie auch Journalisten. Gerade die „Anstalt“ ist für ihre harte Medienkritik bekannt. Die „Zeit“ machte die Sendung deshalb für die steigende Medienverdrossenheit mitverantwortlich.

Dass man von vielen Medien zu einseitig informiert wird und gerade bei der Ukraine-Krise große Stimmungsmache stattfindet – diesen Eindruck haben sehr viele Menschen. Das haben wir uns bei der Anstalt nicht ausgedacht, wir nehmen das nur auf. Natürlich findet man in den Mainstreammedien auch abweichende Meinungen. Das Problem ist nur, dass es in der Masse wahnsinnig einseitig ist. Die abweichende Meinung ist ein Artikel unter 50 anderen, die dann nur eine Sichtweise präsentieren.

Sie kontern diese Einseitigkeit mit einer anderen. Dass Sie in der „Anstalt“ die Politik Moskaus kritisieren und sagen, russische Soldaten haben in der Ukraine nichts zu suchen, hat man jetzt auch noch nicht gehört.

Das stimmt. Da sind wir aber wieder bei der Aufgabe des Kabaretts. Wenn wir den Eindruck haben, es gibt hier bei uns eine herrschende Meinung, die einen Konflikt anheizt, stellen wir uns dagegen – auch wenn wir, und das mag das Manko sein, nicht differenziert darüber berichten, dass Wladimir Putin ebenfalls seine Interessen verfolgt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass da russische Soldaten in Kampfhandlungen verwickelt sind. Aber was Putin in seinen Staatssendern verbreitet, dafür fühle ich mich nicht zuständig. Ich will hier von den Journalisten gut informiert werden, für deren Sender ich Gebühren bezahle.

Hat sich die Berichterstattung im Laufe des Konflikts verändert?

Schwierig, wir beobachten gerade, dass bei der Stimmungsmache der Ukraine-Konflikt eins zu eins gegen Griechenland ausgetauscht wird. Man hat das Gefühl, manche Redaktionen sind froh, wenn sie im selben Stil weiterschreiben können. Ohne klare Feindbilder scheint es im deutschen Journalismus nicht zu gehen.

Übernehmen Satire-Formate da die Rolle von kritischen Medien?

Wir wehren uns bei der Anstalt gegen diese Wahrnehmung. Wir haben weder die Zeit noch die Kenntnisse, selbst zu recherchieren, deswegen leben wir von den Arbeiten anderer. Für die Sendung brauchen wir gute Journalisten, deren Arbeit wir gnadenlos ausschlachten – und wir brauchen schlechte Journalisten, deren Arbeit wir gnadenlos ausschlachten.

In der „Anstalt“ brechen Sie auch die Konventionen des Kabaretts, indem Sie etwa einen griechischen Überlebenden eines SS-Massakers auftreten lassen.

Wir wollen immer die Realität reinbringen. In diesem Fall war es so, dass wir ein altes Schwarz-Weiß Foto zeigten und Argyris Sfountoris, Überlebender des SS-Massakers in dem Dorf Distomo, war im Studio und sagte: „Der Junge auf dem Bild, das bin ich.“ Da verstummen dann alle Stammtischparolen, dass jetzt mal Schluss sein müsse mit dem Schuldkult und den Forderungen nach Reparationen. Jeder im Raum hat in diesem Moment gespürt: Jetzt ist Schluss mit lustig. Und es ist auch richtig so. An dem Punkt beginnt das Nachdenken.

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