Wer bremst, verliert

Trendkritik Erst sind nur Fahrrad-Kuriere in New York und London mit Fixed-Gear-Rädern gefahren, mit Fahrrädern ohne Bremse. Nun sind die Fixies überall. Warum nur?

„Es ist die puristischste Form des Fahrradfahrens“, sagen Fixie-Fans. Und ja, wie das Rad so da steht – ohne Gangschaltung, ohne Bremsen und ohne Rücktritt –, kann man ihnen schlecht widersprechen. An einem Fixed-Gear-Rad ist nicht mehr als das Nötigste dran, es ist die zweirädrige Reduktion auf das Wesentliche. Dieser Purismus verströmt offenbar einen unwiderstehlichen Reiz. Auf den Straßen in Hamburg, Berlin und München sind immer mehr Fixies zu sehen. Sehr zum Ärger der Ordnungshüter, denn damit verstößt man selbstredend gleich gegen diverse Auflagen der Straßenverkehrsordnung.

Genau das macht aber auch einen Teil der Faszination aus. Ein Fahrrad ohne Bremse – das ist wild, ausgefallen, so was traut sich nicht jeder. Und ein Fixie kann tatsächlich nicht jeder fahren, es braucht Übung. Die Radnabe ist fest fixiert, die Pedale drehen sich immer im Gleichklang mit dem Hinterrad. Wer bremsen will, muss sich gegen die Drehbewegung der Pedale stemmen. Hat man das erst mal gelernt, verschafft einem ein solches Rad natürlich einen Distinktionsgewinn in der Großstadt. Nur blöd, dass dieser immer kleiner wird, je mehr Leute auf den Trend aufspringen. Zunächst hatten die Räder etwas Avantgardistisches, mittlerweile sind sie fast schon massenkompatibel.

Ursprünglich kommen Fixies aus dem Bahnradsport. Fahrradkuriere in New York und London brachten sie auf die Straße, aus simplen ökonomischen Gründen. Die Kurier-Räder im Dauereinsatz haben einen hohen Verschleiß an einzelnen Teilen. Je weniger Bauteile ein Fahrrad hat, desto weniger kann kaputt gehen, desto weniger muss ersetzt werden.

An den Fixies lässt sich aber gut beobachten, wie aus pragmatischen Gründen ästhetische werden, wie eine Mode entsteht. Mit der Etablierung der Fahrradkurier-Szene entwickelte diese ihren eigenen Stil - und da galt es schnell als schick, ein Fahrrad mit möglichst wenig Bauteilen zu fahren. Das schönste Fahrrad war das minimalistischste. Respekt bekam nicht, wer die meisten Zahnkränze für seine Gangschaltung aufzog, sondern wer sich am geschicktesten ohne Bremse durch den Verkehr schlängelte – natürlich möglichst ohne überhaupt die Geschwindigkeit zu verringern.

Die Herkunft der Räder aus New York und London – den Epizentren der großen Wirtschaftskrise – gibt aber auch einen Hinweis darauf, warum sie gerade jetzt so angesagt sind. Das Fixie ist das richtige Gefährt für die Krise. Nachdem das kapitalistische Versprechen des Immer-mehr an ein Ende gekommen ist, geht es darum, mit weniger klar zu kommen. Viele fangen erstmal beim Fahrrad damit an. Dass ein besonders toughes Image an diese Räder geknüpft ist, kann auch nicht schaden. Die Zeiten werden härter – und wer bremst, verliert.

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