Blockade

DIE BESCHÄFTIGUNGSPOLITISCHE INKOMPETENZ DER BÜNDNIS GRÜNEN Offengelegt auf dem Grundsatzprogrammkongress

Vier Stunden wurde heftig über die "Erschütterung der Arbeitsgesellschaft - Auswege oder lauter Sackgassen?" diskutiert.

Der jetzige Aufschwung ist der schwächste der Nachkriegszeit, Rotgrün hofft klammheimlich auf die Fortsetzung der von den USA ausgehenden Belebung der Weltwirtschaft, die aber auch im kommenden Jahr kaum mehr Beschäftigung bringt. Durch "ökologische Leitplanken" soll die Wachstumsstrategie flankiert werden, die über 5 Jahre drei bis vier Prozent Wirtschaftswachstum mit einem jährlichen Zuwachs des Arbeitsvolumens von eins bis zwei Prozent bringen könnte: Langfristig angelegte gesamtwirtschaftliche Reduktionsziele für zentrale Schadstoffe und Ressourceninputs.

Die Diskussion ist lebhaft und höchst kontrovers, eben grün. Den meisten ist Wirtschaftswachstum ein Dorn im Auge; Nullwachstum scheint wie vor 25 Jahren zu den intrinsischen Grundwerten zu gehören. Nur wird dies nicht mehr offen gesagt. Die einen glauben an die Mär von "jobless growth", sind unfähig in die USA, nach Holland oder in viele andere OECD-Länder zu schauen, geschweige denn wirtschaftswissenschaftliche Diskussionen zu rezipieren. Die anderen, wie Ralf Fücks von der Heinrich-Böll-Stiftung, warnen vor den ökologischen Folgen von Wachstum und argumentieren wie seinerzeit der Club of Rome. Die beschäftigungspolitischen Vorschläge reichen allenfalls bis zur Existenz- und Mittelstandsförderung, zu weiteren Projekten im zweiten Arbeitsmarkt - längst ausgequetschte Politikfelder.

Die Realpolitiker in der Bundestagsfrak tion argumentieren dagegen ganz anders. Mit Wirtschaftswachstum haben sie gar keine Probleme. Sie setzen voll auf die neoliberale Karte: Staatsverschuldung runterschrauben, auch wenn es de facto auf Kosten der Beschäftigung geht. Immer noch glauben sie an die arbeitsplatzschaffende Wirkung der Ökosteuerreform oder einer allgemeinen Senkung der Lohnnebenkosten. Der für Finanzpolitik zuständige junge Bundestagsabgeordnete Klaus Müller will durch vermehrtes Sparen von Staat und privaten Haushalten höhere Investitionen erreichen, so hat er es in seinen neoklassischen Lehrbüchern gelernt. Von keynesianischer Makropolitik wollen diese Leute gar nichts wissen, sie sind voll des Vertrauens in die Parolen: Mehr Markt, weniger Steuer- und Staatsquote, Deregulierung usw. Es ist die Überanpassung der Aufsteiger. Erstaunlich ist, wie stark aus dem Bauch heraus argumentiert wird, wie wenig gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge reflektiert werden. Was dem eigenen Denkgebäude nicht entspricht, wird von vielen schlicht verdrängt. Man wundert sich, wie das in Kassel artikulierte Gedankengestrüpp Staat machen kann.

Aber ein paar Lichtblicke gibt es auch: Fritz Kuhn warnt vor einem Arbeitsmarktprojekt, das auf Staatskosten Sänftenträger für Besserverdienende finanziert. Industrie- und Strukturpolitik fordert er ein. Manche andere wollen sich makroökonomischem Denken durchaus öffnen und misstrauen den herrschenden Doktrinen. Viele begreifen die Notwendigkeit, mehr Erwerbsarbeit zu schaffen: Sie fordern neue Forderungen!

So bleibt es dabei: Die Bündnisgrünen haben lange nicht diskutiert. Im heute noch gültigen Bundesprogramm von 1980 heißt es: "Wir sind grundsätzlich gegen jegliches quantitatives Wachstum, ganz besonders dann, wenn es aus reiner Profitgier vorangetrieben wird." Wahrscheinlich stimmt noch heute die Mehrheit der grünen Basis, besonders auch viele vermeintlich linke Grüne, uneingeschränkt zu. Die Macher der Realos haben zu dieser Basisphilosophie längst keinen Diskurskontakt mehr. Ihre Papiere lesen sich wie marktradikale Statements, nur ein Quäntchen grünes Vokabular unterscheidet sie noch von den Westerwelles und Co.

Die neoliberalen Realos, die fundamentalistischen Wachstumskritiker und die Ratlosen harmonieren gut: Die ersteren machen, was sie wollen. Die Ironie des Forums war, dass Peter Grottian die Rolle übernahm, den Bündnisgrünen den Spiegel der Meinungsumfragen vorzuhalten: Diese Partei gilt als beschäftigungspolitisch inkompetent. Kluges Volk! In Kassel wurde es überdeutlich, was viele Sympathisanten der Grünen, den Autor eingeschlossen, nicht wahrhaben möchten: Diese Partei ist derzeit ein Teil der beschäftigungspolitischen Blockade.

Der Autor dieses Beitrags und Peter Grottian von der FU Berlin waren als Referenten eingeladen.

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