Noch immer ist unklar: Kommt er nun nach Hamburg oder nicht - der Airbus A 380. Weil sich die norddeutsche Lokalpolitik denkbar ungeschickt verhielt, konnte der Investor die Bewerber leicht gegeneinander ausspielen. Hamburg leistete sich Vorleistungen in Milliardenhöhe, ohne garantierte Gegenleistung. Doch der erhoffte Boom kann gar nicht kommen: Seit Jahren zanken Anwohner, Umweltschützer, Politik und Investor. Im Februar soll ein Gericht entscheiden.
Friedlich plätschert die Löffelente im seichten Wasser, zart schaukeln die Zweige der Bäume, behäbig fließt die Elbe in Richtung Hafen. Frieden im Naturschutzgebiet "Mühlenberger Loch". Vermeintlich. Seit Jahren dräut ein Gewitter. Es werde zu erdbebenähnlichen Erschütterungen in ganz Norddeutschland kommen, dröhnt Hamburgs Handelskammerpräsident Schües. Das Bestehende werde zusammenbrechen, prophezeite er düster, wenn das Oberverwaltungsgericht den Baustopp, den das Verwaltungsgericht jüngst verhängt hatte, bestätigen sollte. Denn dann dürfte die kleine Bucht nicht zugeschüttet werden, könnten keine Riesenhallen errichtet, könnte am Ende der neue Super-Airbus A 380 doch nicht vor den Toren Hamburgs gebaut werden - hieße es nicht: Adieu, kleine Löffelente. Dafür Riesenvogel.
Am Rande des Naturschutzgebietes baut EADS - ein europäisches Konsortium - schon heute einen Airbus - einen kleinen. Doch jetzt soll der Große kommen. Den braucht Airbus, weil man glaubt, dass man sonst den Kampf gegen den Rivalen Boeing nicht gewinnen kann. Dabei war es Airbus letztlich egal, wo der Vogel montiert wird - Toulouse, Rostock oder Hamburg - Hauptsache, der Standort erfüllt die infrastrukturellen Kriterien: Startschuss zum gnadenlosen Konkurrenzkampf verschiedener Bewerberstädte.
Fortan pflegte man Einzelkämpfertum. Die Politik konnte sich nicht durchringen, ein arbeitsteiliges Modell zwischen Hamburg und Rostock vorzuschlagen. Dabei hätte man mit Hilfe von Fördermitteln ein solches Konzept durchaus attraktiv für Airbus gestalten können. Stattdessen lieferten sich die Bewerber einen Wettlauf um die höchsten Vorbereitungskosten. Der Hansestadt Rostock ging früh die Puste aus. Des einen Leid, des anderen Freud. Die reichere Hanse an der Elbe hatte vielleicht keine besseren, dafür aber schlagkräftigere Argumente: Hamburg ließ sich die Bewerbung schon einmal 1,3 Milliarden Mark kosten - allein für Planung und Vorbereitung. Steuergelder, wohlgemerkt.
Der Streit
drehte sich von Beginn an um die notwendige Erweiterung des Industierareals, die nicht ohne die teilweise Zuschüttung des "Mühlenberger Lochs" zu erreichen ist. Allerdings wird dieser Bucht im Unterelbe-System große ökologische Bedeutung - unter anderem als Vogelschutzgebiet - beigemessen. Zudem gibt es Einwände von Anrainern in den Hamburger Ortsteilen Blankenese, Klein Flottbeck und Othmarschen. Sie befürchten erhöhte Lärmbelästigung und Sicherheitsrisiken. Die Hamburger Politik war deshalb stets bemüht, die Erweiterung des Airbus-Geländes als "gemeinnützig" darzustellen. Um damit zum einen Naturschutzbedenken ausräumen zu können und zum anderen, um von Klagen besorgter Anrainer verschont zu bleiben. Das Verwaltungsgericht (VG) Hamburg sah die Sachlage etwas anders. Von "Gemeinnutzen" könne keine Rede sein, schließlich handele es sich um ein unternehmerisches Projekt und die vom Investor EADS Airbus GmbH angekündigten Arbeitsplätze seien keineswegs abgesichert. Im Falle dieser "privatnützigen Planfeststellung" stünden dem Vorhaben dann sehr wohl private Rechte anderer entgegen, argumentierte das Gericht, verhängte deshalb im Dezember letzten Jahres einen vorläufigen Baustopp und gab seit dem weiteren klagenden Anwohnern recht. Die Zukunft des Projektes hängt jetzt vom Hamburger Oberverwaltungsgericht ab. Es muss entscheiden, ob der verhängte Baustopp rechtmäßig ist - oder eben nicht.
Die nordwestdeutschen Regierungschefs träumten davon, an der Unterelbe eine Technologieregion zu etablieren, die sich mit dem Boeing-Standort Seattle und der Airbus-Zentrale Toulouse den Weltluftfahrzeugmarkt teilen würde. Dafür müsse man doch die "Jahrtausendentscheidung" für eine Teilfertigung des A 380 in Hamburg als "patriotische" Verpflichtung verstehen und kleinkrämerische Bedenken zugunsten der industriepolitischen Zukunft ganz Norddeutschlands zurückstellen. Schließlich stünde ein Arbeitsplatzsegen von mehr als 2.000 Jobs auf dem Spiel.
Horrorszenario: Der Airbus wird ganz in Toulouse gebaut. Damit setzen seither EADS, Lokalpresse und ein parteiübergreifender Konsens das Oberverwaltungsgericht (OVG) unter Druck. Bis zum 15. Februar soll es sein Urteil fällen: Baustopp - ja oder nein. Zukunft oder Untergang. Der Appell einer Allianz aus Wirtschaft und Gewerkschaften ist der vorläufige Höhepunkt der Kampagne: Gewerkschaften und Unternehmensverbände auf Kuschelkurs. Kein Blatt Papier passe in dieser Frage zwischen die beiden, verkündete das Hamburger Abendblatt.
Das verwundert. Schließlich ist weiterhin mehr als fraglich, ob der neue Super-Airbus wirklich all die sozial- und wirtschaftspolitischen Wohltaten für die Region Hamburg und Norddeutschland bringen wird. An keiner Stelle ist zu vernehmen, dass sich die Industrie zu nachprüfbaren Gegenleistungen verpflichtet. Etwa: Wenn wir nicht mindestens 2.000 neue Arbeitsplätze schaffen (und diese nicht aus konzerninternen Umgruppierungen oder aus Werksschließungen nach Hamburg transferieren), werden wir die finanziellen Vorleistungen der Stadt Hamburg in Höhe von 1,3 Milliarden Mark zurückerstatten.
Ein weiteres Risiko: Airbus kalkuliert hoffnungsfroh, der US-amerikanischen Firma Boeing die Hälfte der Post-Jumbo-Flugzeugaufträge abzujagen. Naiv, wer glaubt, dass sich Boeing das Monopol auf Großraumflugzeuge kampflos abnehmen lässt. Wahrscheinlicher ist ein gnadenloser Preiskrieg. Wer garantiert, dass in den Produktionsstandorten wie versprochen auf Jahrzehnte "die Kassen klingeln"?
Es ist ein altbekanntes Muster, dass sich die etablierte Politik von großen Projekten bedeutende wirtschaftliche Segnungen für ihre Regionen verspricht. Für das Unterelbe-Gebiet sei hier nur an die große Industrieansiedlung in Brunsbüttel erinnert, wo in Erwartung eines großindustriellen Aufschwungs jeder neue Arbeitsplatz zirka drei Millionen Mark staatliche Subventionen verschlang. Doch das stellte sich leider erst im Nachhinein heraus. Und der Transrapid wurde gleich gar nicht gebaut - trotz immenser Vorleistungen.
Das Dilemma: Die politischen Vertreter akzeptieren den wirtschaftspolitischen Glaubenssatz, ein hohes staatliches Regulationsniveau verhindere den ökonomischen Aufschwung, führe zu Arbeitslosigkeit und Schlimmerem. Deshalb, so glauben sie, müsse man Bonbons an die umworbenen Unternehmen verteilen: Steuern senken und Planungs- und Kontrollvorschriften lockern. Danach könnte sich die Politik zurückziehen, noch ein paar günstige Rahmenbedingungen für Investitionen schaffen und auf die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften achten.
Doch Entscheidungsträger dürfen nicht nach eigenem Ermessen mal so und mal so entscheiden. Im Falle des "Mühlenberger Lochs" wurde stets der Eindruck erweckt, die Exekutive könne nach eigenem Ermessen feststellen, ob ein Vorhaben das Etikett "gemeinnützig" verdient. Was ideal wäre für den Investor, weil langwierige Verwaltungsvorgänge und -widerstände bei "Gemeinnützigkeit" beschleunigt oder gar ganz beseitigt werden. Nach dem Konzept der "rationalen Entscheidung" aber unterliegt das Verwaltungshandeln dem "Willkürverbot". Selbst wenn Politiker subjektiv von der Gemeinnützigkeit des Vorhabens überzeugt sind, müssen sie ihre Entscheidungen an objektiven Kriterien messen lassen - beispielsweise Umweltschädlichkeit.
Alle Projekte, die wegen ihrer Umweltfolgen als schädlich eingestuft werden, sind grundsätzlich verboten. Wer ein solches Vorhaben verwirklichen will, hat deshalb keinen Rechtsanspruch auf die Genehmigung. Weist er hingegen nach, dass für das Vorhaben ein Bedarf besteht, dass alle planerischen und technischen Vorkehrungen zur Schadensvermeidung oder -minderung getroffen wurden, kann die zuständige Behörde nach Abwägung aller betroffenen Belange das Vorhaben zulassen.
Das Projekt
ist ehrgeizig und teuer - 24 Milliarden Mark will das europäische Konsortium EADS für den Bau des weltgrößten Passagierflugzeugs A 380 (bislang A3XX) investieren. Damit gedenkt Airbus, in die Post-Jumbo-Klasse aufzusteigen und die letzte Bastion des US-Rivalen Boeing zu schlagen. Für die nächsten 20 Jahre erwartet Airbus weltweit einen Bedarf von 1.500 Flugzeugen mit jeweils mehr als 400 Sitzplätzen und will von diesem Markt die Hälfte erobern. 2004 soll der A 380 zum Jungfernflug starten, zwei Jahre später an Kunden ausgeliefert werden. Europaweit fanden sich schnell mehrere Städte als potenzielle Produktionsstandorte, die um den Zuschlag konkurrierten. Fest steht, die Montage soll in Toulouse stattfinden, der Innenausbau in Hamburg - voraussichtlich. Hamburgs Politik war und ist scharf auf das Großprojekt, weil Airbus zugesagt hat, etwa 2.000 neue Jobs zu schaffen. Weitere 2.000 sollen in der Zulieferindustrie entstehen. Ausreichend Grund für die Stadt 1,3 Milliarden Mark Vorinvestitionen zu leisten - und damit den Mitbewerber Rostock auszuboten. Hamburgs Vorteil: Es existiert bereits eine Flugzeugwerft in Hamburg-Finkenwerder, in der kleinere Airbusse montiert werden. Nachteil: Die notwendige Erweiterung der Betriebsfläche ist nur durch Zuschüttung einer Elbbucht zu erreichen (s. "Der Streit"). Jetzt scheint das Projekt gefährdet, Airbus drohte Anfang Januar: Wenn nicht bis zum 15. Februar entschieden sei, werde man auf die Erweiterung in Hamburg verzichten und alternative Standorte wieder in die engere Wahl nehmen.
Das Verwaltungsgericht (VG) hat bezweifelt, dass die Industrieflächenerweiterung in das Mühlenberger Loch dem Allgemeinwohl dient. Deshalb seien die Eingriffe und Risiken für die Anwohner nicht zulässig. Vor allem die Wohngebiete am nördlichen Elbhang wären durch die Erweiterungen der Industrieflächen und der damit verbundenen verstärkten Nutzung des Flugplatzes Finkenwerder betroffen. Hier wohnt die traditionell privilegierte Schicht Hamburgs, die über die Mittel verfügt, ihre Interessen in der Öffentlichkeit und vor Gericht zu vertreten. Deshalb wurde immer wieder versucht, deren Widerstand gegen das Großprojekt als Ausdruck der Arroganz einer privilegierten Blankeneser Bürgerschicht darzustellen.
Weil das allerdings juristisch wenig von Belang ist, begann stattdessen ein gutachterlicher Kleinkrieg. Gutachten folgte auf Gutachten. Mit jedem neuen sank die Glaubwürdigkeit. Eine Tendenz, die der Sachverständigenrat für Umweltfragen bereits im Jahresgutachten 1994 beklagte. Demnach sei das Expertenwissen im öffentlichen Bewusstsein "in eine tiefgreifende Krise" geraten. Der Experte gelte bei vielen eben nicht mehr als der unabhängige Sachverständige, sondern erscheine als Interessenvertreter, der sich "zum Erfüllungsgehilfen bestimmter vorgefasster Zielsetzungen macht". Dabei könne es zwischen Experten und Entscheidungsträgern zu fragwürdigen Verbindungen kommen. Der Experte wird dann nicht nach Kompetenz, sondern nach vermutetem Konsens ausgesucht.
Ach, wäre es nur das. Doch beim Streit um die Hamburger Airbus-Werft ist ohnehin problematisch, dass die Exekutive selbst als Antragstellerin für ein Vorhaben auftritt, das die Erweiterung eines privaten Industriebetriebs zum Ziel hat. Sollte das Projekt tatsächlich scheitern, steht der rot-grüne Senat buchstäblich im Regen. Die EADS hingegen könnte den politischen GAU relativ unbeeindruckt zur Kenntnis nehmen: Dann wird der neue Riesenflieger eben ohne Hamburger Beteiligung endgefertigt - zum Beispiel in Toulouse.
Wie eine Bombe schlug deshalb die Entscheidung des VG in Hamburg ein. Wirtschaftssenator Thomas Mirow identifiziert sich derart mit dem A 380-Projekt, dass er zurücktreten müsste, würde die nächste Instanz dem Spruch der ersten folgen.
Und sollte jetzt auch noch das Oberverwaltungsgericht trotz gewaltigem medialen und politischen Druck den Baustopp bestätigen, würde die hamburgische Politik samt patriotisch-nationaler Aufwallung über die erlangte internationale Anerkennung als "drittwichtigster" Platz der Welt für den Flugzeugbau vor einem Scherbenhaufen stehen. Doch die Löffelente könnte weiterhin im seichten Wasser friedlich dümpeln.
Berichtigung
Versuchen wir es mal mit der Umkehrung des bekannten Impressums: "Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht die Meinung der Redaktion wieder." Dann heißt es: Redigierte Beiträge geben nicht die Meinung der Autoren wieder. So geschehen bei diesem Artikel, als dessen Autor in der Printausgabe Jochen Hanisch angegeben war. Er und der eigentliche Autor, Jan Rosenkranz, legen Wert darauf, dies richtig zu stellen. Tatsächlich diente ein von Jochen Hanisch zur Verfügung gestellter Beitrag als Grundlage. Deshalb hier die Korrektur und mit einem Verweis zur Quelle:
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