Keiner sprang je so weit in die Grube wie der Amerikaner Mike Powell: 8,95 Meter. Andere springen hoch wie der Kubaner Javier Sotomayor. Zwar darf der eigentlich, anders als Sergej Bubka, der nur mit Stab hoch springt, keine weiteren Hilfsmittel verwenden, zog sich aber trotzdem manchmal Koks in die Nase. Ein anderes beliebtes Sportgerät zum Springen ist das Pferd. Prima lässt sich damit die ein oder andere Hürde nehmen. Das wissen wir seit Karl May. Mit zunehmender Verdrängung der Pferde aus dem öffentlichen Leben, die sich seit Erfindung des Otto-Motors quasi im Galopp vollzog, dienten Gäule vornehmlich als Spielzeug gelangweilter Damen der Bourgeoisie oder als Projektionsfläche aller Klein-Mädchenträume. Aus diesen beiden Lagern rekrutiert sich das Starterfeld beim Springreiten. Wie Männer dort hineinkommen und ausgerechnet die Elite stellen, kann nur unter erneutem Verweis auf Karl May erklärt werden.
Das diesjährige Finale im Springreiter-Weltcup fand am Ostermontag statt und zwar in Göteborg in Schweden, woran die TV-Zuschauer immer dann erinnert wurden, wenn Ross und Reiter kurz vor der gefürchteten, technisch hochanspruchsvollen Dreierkombination die Länsförsäkringar-Bandenwerbung passierten. Auf den ersten Blick passiert ansonsten nicht gerade viel bei Reitturnieren, doch das wenige nahezu unausweichlich. Man muss sich fallen lassen in die hanseatische Atmosphäre, sich den warmen, leisen Worten der Erklärung und des Kommentars ergeben und die distinguierte Dramatik atmen. Während die Reiter Pferde springen lassen, übt sich das Publikum in schweigsamer Bewunderung, nur kurz vom Oh und Ah des Staunens unterbrochen, wenn Balken fallen oder fast - und ist ansonsten still. So still, dass man ein Baby krähen hört, selbst wenn man nur am Fernseher hockt. Dann kommt Peter Eriksson, vom schwedischen Publikum gefeiert wie ein Popstar, begrüßt mit hellem Gekreische der zahlreich erschienenen jungen Damen. Doch leider hat er, wie der Sportkommentator bemerkt, international kaum mehr etwas zu vermelden seit den olympischen Spielen von Barcelona und seiner sensationellen Doppelnullrunde: Seit 1928 die erste Doppelnull für einen schwedischen Reiter. Danke, Herr Sostmeier. Der richtig große Star des Springsports kommt aus Brasilien, wohnt in Belgien und heißt Rodrigo Pessoa. Dreimal hat er bereits den Weltcup gewonnen, ein echter Champion wie sein Vater schon einer war. Heute führt er gemeinsam mit dem Sohnemann einen Pferdestall in Belgien. Manchmal lässt der Bub das Pferd sogar im Stall und fährt Mercedes, schnell und mutig und musste darum auch schon mal den Lappen lassen. Rodrigo - Latinlover, Kamikazefahrer und kühner Reiter. Beim Springreiten ist die Geschwindigkeit nur im direkten Vergleich entscheidend, spielt Zeit nur insofern eine Rolle, als dass Strafpunkte sammelt, wer zu langsam reitet und die Zeitvorgabe überschreitet. Es nimmt kaum Wunder, dass ausgerechnet den Schweizer Markus Fuchs im Sattel auf Tinka´s Boy dieses Schicksal ereilte: Präzise wie ein Schweizer Uhrwerk blieben beide auch nach zwei Umläufen zwar fehlerfrei, aber nicht in der Zeit, was ihm Strafpunkte einbrachte.
Weil Pessoa mit Pferden besser umgehen kann als mit Autos, kam er fehlerfrei ins Finale und durch den ersten Umlauf. Keiner ritt so gut wie Pessoa und kein Pferd so stolz wie Baloubet, das auch im zweiten Ritt so schön und schnell den Parcours meisterte, dass wohl niemand mehr ernsthaft an ihrem Sieg zweifelte. Bis der blöde Gaul mit der Hinterhand den Balken der drittletzten Hürde touchierte, abriss und Reiter und Familie ins Unglück stürzte. Eine Schrecksekunde, vier Strafpunkte. Doch noch war nicht alles verloren: Gleichstand nach Punkten, ein Kopfankopfreiten mit dem Schweizer Fuchs. Es folgte das, was Kenner lieben und Fußballfans Elfmeterschießen nennen würden: Das Stechen. Der direkte Vergleich der Besten. Eigentlich warten beim Springreiten alle immer nur auf das Stechen. Bleiben die Reiter cool oder zeigen sie Nerven? Sind die Pferde müde vom vielen Hüpfen? Classiko brach schon im zweiten Durchgang mitten im Sprung über einer der letzten Hürden zusammen. Da blieb kein Balken auf dem anderen. Unweigerlich schossen drei Worte durch den Kopf des Beobachters: Barren, Schockemöhle und schrecklich. Das Stechen beginnt.
Markus Fuchs muss vorlegen, reitet Tinka´s Boy wie der Teufel über den nun verkürzten Parcours, legt fehlerfreie 35,25 Sekunden vor. Publikum wild, Pferd gestreichelt. Unterdessen betrabt Baloubet die Szenerie, rittlings Held Rodrigo. Zeit läuft, Pferd galoppiert, springt und trabt derart federleicht durch den Parcours bis - ja bis zum vorletzten Hindernis. Es ist kein schönes Geräusch, wenn Huf auf Balken und Balken von Halterung kracht. Es war ein lautes, fieses Poltern. Und weil´s ja damit nun ohnehin egal war, veriss Baloubet auch noch den letzten Satz und brachte es auf sagenhafte acht Fehlerpunkte und Mutter Pessoa den Tränen nahe. Acht Fehlerpunkte, eine Tragödie. Und weil Licht sein muss, wo Schatten ist, konnte Markus Fuchs sich freuen, war doch nun bewiesen, dass Sport auch gerecht ist, irgendwie. Fuchs hatte schließlich noch nie gewonnen, Pessoa schon dreimal und dass auch noch in Folge, was man lupenreinen Hattrick nennt. Es gibt keine Bezeichnung für vier Siege in Folge.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.