Herzlose Enttarnung

MEDIENTAGEBUCH "Je t'aime - Wer mit wem": Nachruf auf eine Show, die ihre GEZ-Gebühr wert war

Wenn rotes Geschenkband Herzchen formt vor weißen Wölkchen am sonnigen Himmel und dazu Love is in the air orgelnd aus dem Fernseher trieft, dann wissen gestählte MDR-Zuschauer seit elf Jahren: Es ist Samstag, 19:50 Uhr und Zeit für Je t'aime - Wer mit wem. Doch jedem schlägt einmal die Stunde - für die populäre Kuppelshow schlug sie am 3. März. Zum vorerst letzten Mal blinzelten verschüchterte Kandidaten in die Kamera, hinter deren Linse sie Traumprinz oder -prinzessin wähnten. Zum vorerst letzten Mal übten sich "Sehr verehrte Damen" und "Werte Herren" in Nachsicht, wenn die freihändig vorgelesenen Annoncen der Partnersuchenden etablierten Vorstellungen von Satzbau und Stil diametral entgegen standen - wahre Gefühle bedürfen keiner Grammatik. Und zum endgültig letzten Mal durfte Frank Liehr moderatives Geplänkel der Premiumklasse präsentieren.

Eigentlich kann der MDR auf Moderatoren wie ihn gar nicht verzichten. Seit kurzem muss er es. Vorweg nur soviel: Stasi. In den letzten Wochen wurden derart viele MDR-ler als Ex-IM enttarnt, dass laut über die Umkehrung des Prinzips Outing nachgedacht wird: Unbelastete heben bitte die Hand. Auch Oliver Nix, der freundliche junge Mann aus der Nachmittagsshow Hier ab vier war dabei. Frank Liehr verlas stellvertretend dessen persönliche Erklärung des Bedauerns und diskutierte in Hier ab vier anderntags das Stasi-Thema mit der Zielgruppe. "Jetzt muss auch mal Schluss sein mit der Debatte", bat er da nachsichtig, während das Radio bereits über Liehrs eigene Stasi-Verwicklung berichtete.

Seitdem rätselt das Publikum was "den Herzensbrecher des Ostens" (Bild) geritten haben muss. Verdrängung? Kaltschnäuzigkeit? Größenwahn? Intendant Udo Reiter erteilte Frank Liehr sofortiges Fernsehverbot. Doch Vox popoli dröhnt mit zorniger Stimme. Laut einer Umfrage der Super Illu wollen 35 Prozent ihre Lieblingsmoderatoren sofort wieder auf den Schirm. 31 Prozent plädieren für eine Rückkehr der Geschassten nach angemessener Schamfrist. Nur 16 Prozent wollen sie nie wieder sehen. Doch die Leipziger CDU ist radikaler: Wenn die Anstalt es alleine nicht schafft, sich aus dem Stasi-Sumpf zu befreien, müsse man den MDR eben neu gründen.

Das Licht der Kamera erblickte die Show noch zu DFF-Zeiten. Allerdings wurde sie nicht, wie vom SPIEGEL einst kolportiert, "vom Sozialamt Chemnitz im Vollrausch ausgedacht", sondern unter der Ägide des staatlichen Partnerinstituts "Sie und Er" konzipiert. Vor kulturhistorisch mehr oder weniger bedeutsamer Kulisse wurden seither 561 Folgen gedreht, 2536 Kandidat/innen vermittelt, die 793 Pärchen bildeten, 209 Ehen schlossen, die wiederum 49 Kinder machten. Und Frank liebte sie alle, gab er doch seiner Angebeteten zusammen mit sechs Je t'aime-Paaren im Flugzeug das Ja-Wort. Nach dem Nein-Wort des Intendanten hat sich Frank Liehr erst mal in den Urlaub verabschiedet.

Bei allem Mitgefühl für Arbeitslose, wer ist denn jetzt der Bestrafte? Frank Liehr etwa? Dynamische und stets gut "draufe" Menschen gingen schon immer in Sendungen wie Geld oder Liebe und Herzblatt und wollen doch bloß ins Fernsehen. Zu Je t'aime durfte jeder "schwer vermittelbare", der Liehrs wenig zurückhaltenden Charme aushielt. Und wem keine zwei Sätze zur Person einfielen, dem half der redaktionelle Phrasendrescher.

Doch die Kandidaten waren stets für eine Überraschung gut. Weshalb der gesuchte Partner ja auch mindestens so spontan sein musste, wie sie selbst, die am Sonntag ganz spontan gern mal spazieren gingen oder den abenteuerlichen Weg ins Kino antraten, was zu zweit - wer würde das bestreiten - mehr Spaß bereitet. Auch gegenseitiges Verwöhnen rangierte stets auf vorderen Plätzen. Obligatorischer Höhepunkt: das Frühstück im Bett.

Fans subtilen Trashes, die sich allsonnabendlich im Ertragen erlebter Peinlichkeit trainierten, sie werden ein neues Kleinod finden. Auch Hobby-Ethnografen werden mühelos ein Substitut für ihre Feldforschung Ost auftreiben. Doch all die Wörlitzer Witwen, Einsamen und von einer großen Liebe Enttäuschten wurden einer Chance beraubt, den "Bardner fürs Lebn" zu finden. Für einige war es vielleicht die einzige Chance, wirkte sich doch ihr individuelles Kommunikationsverhalten im Alltag eher nachteilig auf die Partnerwerbung aus. Jetzt müssen sie sich wieder den Zeitungsannoncen widmen oder skrupellosen Heiratsinstituten ausliefern, wo sie ihren finanziellen Ruin, sicher nicht die Liebe finden werden. Die wahre Liebe gab es nur bei Je t'aime.

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