Königs bei der Arbeit zusehen

Medientagebuch Die Schleppe war länger, als die Experten vermutet haben

Der Adel macht es nicht mehr lange, dachten viele, als die Franzosen die Entsorgung überflüssiger Monarchen per Guillotine erfanden. Das war ein historischer Irrtum. Heute sind zehn Staaten Europas noch immer Monarchien, sieben davon gar in der EU. Und Bulgarien wählte erst jüngst den Ex-König Simeon II. zum Premierminister. Das gab es noch nie.

Seit dem vergangenen Samstag kann konstatiert werden: Der Adel ist nicht nur nicht tot, sondern hip. Anders lässt sich nicht erklären, wieso Millionen Deutsche sechs lange Stunden gebannt vor der Glotze hingen, um der todesstarren Hochzeit von Willem-Alexander und Máxima Zorreguita beizuwohnen.

Vier deutsche TV-Anstalten haben dieses ungeheure Potenzial erahnt, und so konnte man das Ereignis zeitgleich auf ARD, ZDF, RTL und Sat1 verfolgen. Alle waren bemüht, so zu tun, als wären sie hautnah dabei, und zeigten doch nur schnöde Inszenierung: winkende Menschen in Rolls-Royce und Kutsche. "Wir haben den Presseball und das Oktoberfest, aber so was haben wir nicht", sagte RTL-Moderator Marcus Lanz. Wir haben doch auch den Karneval, mag man verzweifelt einwenden, aber offensichtlich reicht das nicht.

Der Qualität ihrer Außenreportagen hat die ARD den Quotenerfolg (2,81 Millionen Zuschauer, 27,3 Prozent) sicher nicht zu verdanken. Selbst die Techniker waren so angetan vom sonnigen Wetter, dass sie den Ü-Wagen in den Funkschatten parkten. Zum Glück gab es die offiziellen Bilder vom holländischen Fernsehen. Über eine Stunde geschah wenig Berichtenswertes, was alle zum Schwadronieren zwang, serviert mit eindrucksvollen Aufnahmen anreisender Luxusreisebusse - erst weiße, später vornehm-dunkle und dann die Tür des Palastes. "Claus!", quietschte es im ZDF, als der Prinzgemahl an der Seite von Königin Beatrix aus dem Hause tatterte. "Er hat ja nur noch eine Niere, hat Parkinson", litt Nina Ruge, und Rudi Carell nuschelte etwas von "Supermann". Rudi Carell ist entschuldigt - er ist Holländer, und die Veranstaltung stellte für ihn deshalb eine Art Wiedergutmachung dar: "Holland ist nicht bei der WM dabei. Dafür haben wir jetzt die Hochzeit."

Royale Angelegenheiten werden schon lange nicht mehr nur in Adelspostillen verwurstet. Mittels flächendeckender Berichterstattung sind erstaunlich viele inzwischen angefixt. Ein Blick ins Vorabendprogramm zeigt, dass der Hochadel eine nimmer versiegende Quelle seifiger Geschichten ist. Und doch kann keine Fiktion so gut sein wie das wirkliche Leben: Holländischer Prinz verliebt sich in argentinische Bankkauffrau, die gestrenge Prinzenmutter ist dagegen, weil der Brautvater einem grausamen Diktator gedient hat. Doch die Braut erobert die untertänigen Herzen mit einem Lächeln, und wenn ihre Eltern nicht kommen, steht auch die Königin dem rauschenden Fest nicht mehr im Wege. Handelte es sich um Fernsehen und nicht um die Realität, würde in letzter Minute die Hochzeit platzen, sozusagen als "Cliffhanger" - Zoom auf den doch noch erschienenen Brautvater-Bösewicht oder so ähnlich.

Aber im wahren Leben verließ exakt um 10.05 Uhr das Brautpaar ungehindert den Palast. Die Menge flippte aus und mit ihr Nina Ruge: "Diese Schleppe ist viel länger, als es die Experten vermutet haben." Währenddessen saß in Sat1 Dieter Kronzucker und unterhielt sich so seriös mit Prinz Bentheim, dass man geneigt war zu vermuten: Hier wird nicht geheiratet, sondern beerdigt. "Zu ihrer Unterhaltung machen wir nun ein bisschen Werbung", sagte Kronzucker dann und hatte damit verdammt recht.

Auf RTL, dem Quotendritten an diesem Samstagvormittag, wurde das Ereignis dagegen leidenschaftlich wie ein Fußballspiel kommentiert: "Oh, diese Krawatte" - "Prinz Claus" - "Martin, der Bruder von Maxima" - "Prinz Claus winkt" - "dieses wunderschöne Kleid" und Tor. Auf jedes Spiel folgt eine Analyse und diese galt den Tränen der Braut. Moderatorin Katja Burkhard befand: "Was man da gesehen hat, da sind wir uns alle einig, das war Heimweh." Welch Bravourstück psychologischer Feinanalyse!

Doch selbst Moderatoren können nicht alles wissen. Zur Unterstützung traten deshalb Menschen auf, die mit dem Untertitel "Society-Experte" geadelt werden. "Ein Catering-Service kommt, die kochen ja nicht selber," wusste auf RTL Experte Jürgen Worlitz. Das ist die Spezialität der Aristokraten-Kenner, ihr eigentliches Metier, das längst nicht alle gleich gut beherrschen: die oft halbseidenen Informationen so hübsch aufzubereiten, dass am Ende immer wieder erwiesen ist - auch ein Prinz ist nur ein Mensch wie du und ich.Vielleicht gäbe es den Hochadel ohne Society-Experten längst nicht mehr, doch eines Tages werden sie sein Tod sein.

Blieb am Ende nur die penetrant im Mund geführte Romantik. Schließlich ist es ja so cinderellaesk, wenn eine Bürgerliche zur Prinzessin wird - im Fernsehen wirkt das allerdings so romantisch wie Kaminfeuer auf Video. Ganz unromantische Geister hatten gar gewagt zu fragen, ob man mit Steuergeldern in Höhe von 20 Millionen Euro, nicht noch viel sinnvollere Sachen hätte bezahlen können. Immerhin - die öffentlichen Gelder wurden wenigstens in weiten Teilen öffentlich verpulvert. Nur was zur Hölle ist daran romantisch? Sicher, der Leidensfaktor, Geld allein macht nicht glücklich, denn: Máximas Eltern durften nicht dabei sein. Königin Beatrix ist so streng. Die wichtigste Quelle adliger Romantik im Medienzeitalter ist allerdings das Dilemma der medialen Öffentlichkeit selbst: Weil der Pöbel auf die Pelle rückt wie Besucher, die nicht gehen wollen und stattdessen Mitleid heucheln: "Ihr habt aber auch nie eure Ruhe." Von den Moderatoren konnte niemand erwarten, dass sie dieses Dilemma lösen. Folgerichtig forderte auch niemand: "Bitte schalten sie um, hier gibt es nichts zu sehen" - obwohl er recht behalten hätte.

Und so wenden sich die Zuschauer auch nicht beschämt ob ihrer Aufdringlichkeit ab, sondern lassen sich damit besänftigen, dass das Repräsentieren schließlich die vornehmste Aufgabe der königliche Familie ist und im Grunde nichts anders als - ihr Job. Und was gibt es schöneres, als anderen Menschen bei der Arbeit zusehen zu dürfen. Zumal bei Königs.

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