Lokalderbys, zumal im Fußball, wirbeln zumeist mehr Staub im Vorfeld auf als auf dem Spielfeld. Wer am vorigen Samstag den Weg in den Berliner Jahnsportpark antrat, stellte sich nicht in den Schneeregen, um Zeuge brillanter Doppelpasskombis oder so manches "lupenreinen" Hattricks zu werden. Nein, im Achtelfinalspiel um den sagenumwobenen Paul-Rusch-Pokal kämpfte der BFC Dynamo gegen den 1. FC Union Berlin höchst mittelmäßig, aber um nicht weniger als die nackte Ehre. Dem Erzfeind unterliegt man nicht, der Stammtisch rächt sich. Erwartungsgemäß erledigten die Unioner aus Köpenick den BFC dann mit 3:0. Immerhin 76 Minuten lang mussten die 4.427 Fans warten, bis der ausgerechnet von Union ausgeliehene Brasilianer Treixeira das erste seiner zwei Toren schoss. Spiel, Spaß, Spannung - und jede Menge Haue.
"Die Rivalität ist bei uns wirklich nur rein sportlicher Natur", sagt Union-Kapitän Menze, "die Spieler kennen sich gut und verstehen sich hervorragend". Die Fans beider Teams kennen sich auch gut, aber verstehen sie sich? Seit Jahr und Tag pflegen sie eine innige Feindschaft. Einzig die gegenseitige Verachtung verbindet die Parteien. Aber deswegen gleich loshauen? Traditionell ja.
Das Scharmützel hat Geschichte. Auf der einen Seite der BFC Dynamo, einst geliebt von Stasi-Mielke, bevorzugt von Schiedsrichtern und ausgestattet mit Meistertiteln - serienmäßig. Zur Bedeutungslosigkeit verdonnert dümpelt der Verein heute in der Liga Nordost. Erst seit einem Jahr heißt der Club wieder BFC. Zwischenzeitlich hatte man versucht, das Stasi-Image durch die Umbenennung in FC Berlin abzustreifen. "Für Ewiggestrige sind wir immer noch der Mielke-Klub", sagt die neue Präsidentin Karin Seidel-Kalmutzki, "dabei haben wir ein unbelastetes Präsidium und neue Spieler". Geblieben ist der mehr als zweifelhafte Ruf der Fans - auch Hooligans genannt.
Und in der gegenüberliegenden Kurve: "Eisern Union" - der ewige Underdog, "der eine begeisternde Kultur des Scheiterns zur Blüte gebracht" hat, wie Jörn Luther und Frank Willmann in ihrem Union-Buch befinden. Alles begann damit, dass der Klub, neugegründet 1966, lediglich als Sparringspartner und Talentschuppen für die BFC-Ortsrivalen dienen musste. Die besten wurden delegiert. Dennoch gelang es den Köpenickern 1968, unverhofft ins DDR-Pokalfinale vorzudringen - und gegen den überragenden Meister vom Carl-Zeiss Jena zu siegen. Eigentlich hätte dann UEFA-Pokal gewunken und die großen europäischen Vereine hätten in die "Alte Försterei" kommen können. Stattdessen kam der Prager Frühling, sowjetische Panzer und der westliche Boykott. Gegen Ostblockmannschaften wollte keiner mehr spielen. Das ließ die Liebe der Unioner zur DDR nicht eben lodern. Stattdessen interessierte sich die Stasi brennend: "Ermittlungen haben ergeben, dass diese rowdyhaften Anhänger oft gar nichts vom Fußball verstehen", hieß es in einem Bericht. Union-Fans übten sich "eisern" in gepflegtem Dissidententum. Heute steht die Union kurz vor dem Aufstieg in die zweite Bundesliga und konnte einen Sieg über Mönchengladbach im DFB-Pokal verbuchen. Die Köpenicker konnten das Spiel also höchst gelassen angehen. Wie lächerlich erscheinen gegen die große Welt des Profifußballs die 50.000 Mark für den Sieger des Paul-Rusch-Pokals. Und überhaupt, wer ist eigentlich dieser Paul Rusch? Zwei Clubs - zwei Welten.
Unter Experten gelten die BFC-Fans noch immer als die mit dem höchsten Gewaltpotenzial. BFC-Hooligans sollen erst am vorletzten Wochenende in Cottbus im Hertha-Fanblock randaliert haben. Eigentlich waren sie dort als Ordner engagiert. Auch beim Spiel gegen die Union entledigten sich die Ordner flugs ihrer Jacken und ließen engagiert die Fäuste fliegen. Und nach dem Abpfiff ging es vor den Stadiontoren in die Verlängerung. Zuerst geleiteten die Ordner die BFC-Fans aus dem Stadion, die zahlenmäßig unterlegenen Unionsgäste ließ man noch im Block warten. Und so kam, was kommen musste: die BFC-Hooligans wollten noch nicht nach Hause und erwarteten den Gegner vorm Stadion. Im Namen der Rache. Nach Aussagen der Polizei waren die Randale die schwersten nach einem Ortsderby in den vergangenen zehn Jahren. Es gab Verletzte, 20 Verhaftungen und 46 Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung und Landfriedensbruch. Zuerst schlugen sich die Fans gegenseitig und dann mit der Polizei, die den Schlagstock schwang und Wasser warf und überhaupt gern ihr Schärflein zur Eskalation beitrug. Noch vor Abpfiff postierten sich die Ordnungshüter vor dem BFC-Fanblock und rissen unliebsame Transparente vom Zaun. Daraufhin hatten die Vergitterten erregt und hurtig den Zaun erklommen, um die Angreifer mit überflüssigen Gegenständen und Feuerwerk zu beschiessen. Jetzt geht´s looos.
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