Immer hat er seinen Mitspielern in der Halbzeitpause eingeheizt. Jammern ist nicht, auch bei 0:4 Rückstand nicht. "Leude, Leude ...", hat der spätere Kanzler dann gesagt, erinnert sich Herbert Balzer, damals 2. Vereinsvorsitzender von TuS Talle. Schnitt. Parteitag. Schröder: "Lasst euch nicht bange machen, manche wollen uns abschreiben ..." Schnitt. Kabine. Balzer: "Das Spiel ist nicht verloren, dat können wir noch jewinnen ...". Schnitt. Parteitag. Schröder: "... es kommt nämlich nicht darauf an, wer zuerst losläuft, sondern wer als erster ins Ziel kommt." Schnitt. Kabine. Balzer: "Dann haben wir das Spiel umgedreht und am Ende gewonnen."
Ob der Kanzler politisch dieselbe Suggestionskraft besitzt, wird sich erst am Wahltag entscheiden, bis dahin tobt der Kampf ums Kanzleramt, wie das ZDF die beiden gelungenen Porträts der Spitzenkandidaten Schröder und Stoiber betitelt hat. Es hat zwischen Print-Duell in Bild und BamS, und TV-Duell in der Glotze - wenn man so will - das Porträt-Duell geschoben. Hat dem Schröder Claus Richter geschickt und dem Stoiber Thomas Fuhrmann und Ulf-Jensen Röller. Sollten mal schauen, wie die so sind, so als Mensch und als Politiker.
Bereits in der letzten Woche lief das Kanzler-Porträt - filmisch geschmeidig wie der Kandidat selbst und doch kritisch. Ein Porträt, bei dem Schröder am Ende ganz gut wegkommt. In dieser Woche folgte das Porträt des Herausforderers - hart geschnitten, eher "magazinig" und kantiger, wie der Kandidat laut Eigenwerbung ja auch wirken soll. Doch wie er da so auf Ground Zero herumstakste, samt Gattin und "sichtlich bewegt", da wähnte man sich fast im heute-journal.
Zwar treten Wegbegleiter, Kollegen und Kritiker auf - im Format Knopp´scher Zeitzeugen-Interviews - doch beide Filme verzichten fast völlig auf politische Inhalte. Es sollte ja auch mehr um den Stil gehen und die Frage, in wieweit Selbstdarstellung und Wahlkampf inszeniert werden, heißt es im Pressetext. Die Antwort auf die Frage, inwieweit die Selbstdarstellung gelingt, lieferten die Porträts gleich mit. Etwa wenn Schröder mit dem Herrchen zweier französischer Doggen plaudert und Umstehende belehrt, dass die beiden vielleicht nicht so gut aussehen, aber einen tollen Charakter haben. Dann ist Schröder in seinem Element, ist spontan, sucht und findet schnell den Draht zu fremden Menschen.
Stoiber findet den Draht nicht einmal zu seinen Enkelkindern. Schwebt mit dem Polizeihubschrauber in den neuen bayerischen Lego-Park, um vor Dutzenden Kameras die Familie zu treffen. Hockt sich sofort nieder, um Enkel Johannes übers Haar zu streichen, umklammert angestrengt den Buggy und blickt hilflos lächelnd in die Objektive, als möchte er fragen, was er denn noch alles tun soll, um sympathischer zu wirken. Man möchte ihn erlösen, möchte wegschalten oder vorspulen, so zwanghaft wirkt diese Szene. Und peinlich.
Stoiber hasst diese Auftritte, hat sie auch an Schröder, dem Großmeister der Inszenierung, immer kritisiert. Jetzt muss er selber ran, und dafür scheint er sich zu hassen. Doch er muss sympathischer werden, sagen seine Image-Strategen, denn im Wahlkampf können auch weiche Kriterien entscheidende Stimmen liefern. Also sieht man Stoibers Medienberater Michael Spreng im Kreise krawattierter Jung-Dynamiker über Fotos des Stoiber-Ehepaares brüten. "Diese Nähe ist echt, sicher in einem unbeobachteten Moment aufgenommen", orakelt Spreng. Der nächste Schnitt aber entlarvt die vermeintlich intime Szene als großes PR-Shooting. Die Stoiberin schmiegt sich an den Kandidaten, der gehorcht verbissen den Anweisungen der Fotografen, lässt sie dann eiskalt stehen und fragt im Gehen: "Wo müssen wir jetzt hin?"
Die Kamera hasst Stoiber, genauso wie er sie. Man merkt dieses Unbehagen in jeder Sekunde. Dabei würde er so gern entspannt wirken, wenigstens im Urlaub in der Toskana. Man wird nicht recht schlau aus diesem Edmund Stoiber. Er fürchtet Überraschungen und liebt Kontrolle, gilt als Aktenfresser, hasst es, Zweiter zu sein und kann Erfolge nicht genießen. Man erfährt sogar, dass er in der 7. Klasse sitzen geblieben war und vortrefflich künstlich rülpsen konnte. Doch trotz dieser vermeintlichen Privatsphäre bleibt der Unionsspitzenkandidat seltsam fern und fremd. Dagegen wirkt Schröder glaubwürdiger in der Darstellung seines Charakters. "Die Kamera liebt ihn", sagt Fotomeister Helmut Newton über Schröder. Und er liebt sie. Der Schröder-Film erzählt die eigentlich sattsam bekannte Geschichte vom Aufstieg, erzählt sie interessant und geschickt und neu montiert, stellt Schröder nebenbei als im Grunde konservativ dar und bietet damit eine Erklärung dieses Mannes und seiner Politik: Bekennender Nicht-Intellektueller, der lieber Gespräche führt als liest und Spontaneität liebt - einer, der Politik aus dem Bauch heraus betreibt.
So wirkt Schröder trotz der wenigen privaten Einblicke näher als Stoiber. Man sieht ihn überwiegend "on tour" - mal im Fond eines Wagens, mal auf dem Flug nach Kabul und dann auf dem Fußballplatz. Immer wieder - Fußball. Ob bei seinem Heimatverein TuS Talle, wo man noch heute von seinen Stürmer-Qualitäten schwärmt oder im ZDF-WM-Studio. Gerhard Schröder - Fußballgott. Man glaubt ihm diese Leidenschaft.
Auch Stoiber liebt Fußball - "eine Leidenschaft - viele gönnt er sich nicht" (Off-Ton). Aber egal, ob er im Cockpit des Flugzeugs den Bayern-Spielstand erfragt oder in der Ehrenloge bangt, er wirkt aufgesetzt. Und wenn der Sprecher erzählt, Stoiber gehe seit 35 Jahren ins Stadion, tut er einem fast Leid. Obwohl er selbst einmal "Mittelläufer" war, der so spielte, wie er Politik betreibt - ernst, konzentriert, verbissen - aber talentfrei. Er passt da nicht hin. Kanzler und Kandidat - vereint im Fußball. Und doch hat es bei der WM nur zum Vize gereicht. Vize ist Zweiter, ist Verlierer, sonst nichts. Im Kampf ums Kanzleramt ist das nicht anders. Im Moment, so scheint´s, würden sich beide Kandidaten gern ins Elfmeterschießen retten. Torwandschießen statt TV-Duell. Egal, wer die Wahl gewinnt, es wird wohl nur ein erkämpfter 1:0-Arbeitssieg.
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