Tabaré Vázquez gibt sich zuversichtlich. Der Kandidat des linken Parteienbündnisses Frente Amplio tourt durch die Provinz und lässt keinen Zweifel daran, dass er mit seinem Sieg bei den am 30. November in Uruguay anstehenden Präsidentschaftswahlen rechnet. Und diesmal glauben das auch die allermeisten Meinungsforscher in dem kleinen südamerikanischen Land.
Aber auf Umfragen ist in diesen Tagen in Uruguay nicht all zu viel Verlass. Bei den Parlamentswahlen vor einem Monat sagten sie noch voraus, dass Tabaré Vázquez und sein seit zehn Jahren regierendes Bündnis aus sozialdemokratischen und sozialistischen Parteien mit einem deutlichen Machtverlust rechnen müsste. Etwas ratlos waren sie dann angesichts des Triumphs der Frente Amplio, die mit 47,8 Prozent 50 der 99 Abgeordneten und damit die absolute Mehrheit im Parlament errang.
Und dennoch, eines hat dieses Votum mehr als deutlich gemacht: Die erste Garde der Frente Amplio, das sind Männer mit grauen Haaren. Noch-Präsident José Mujica ist 79 Jahre alt, Tabaré Vázquez 74. Forsche Frische versprüht dagegen die neoliberale Nationalpartei. Sie ist mit 30 Abgeordneten jetzt stärkste Oppositionskraft im Parlament. Ihr geschniegelter Spitzenkandidat Lacalle Pou legt wert auf das Charisma eines Machers. Der 41-Jährige gibt sich mit seiner für die Präsidentenwahl vorausgesagten Niederlage nicht zufrieden. Täglich sendet er 58.000 Followern auf Twitter Bilder von seinen Wahlmeetings. Mit seinem Vokabular erinnert Lacalle Pou mitunter an einen schneidigen Versicherungsvertreter: „Was gut ist, wollen wir so lassen, und was schlecht ist, das wollen wir ändern.“
Dass die Nationalpartei die Regierungszeit der Frente Amplio vor der Parlamentswahl nicht frontal attackierte, musste der bodenständige José Mujica als Kompliment auffassen. Dieser Präsident, der einen Großteil seines Einkommens gemeinnützig spendet und als Mitglied der linken Guerilla Tupamaros während der Militärdiktatur (1973 – 1985) inhaftiert , ist ungemein beliebt. Allerdings verbietet das Wahlgesetz zwei Amtszeiten in direkter Folge, ansonsten dürfte Mujica auf eine Wiederwahl hoffen. Er hat mit seiner Politik großen Anteil daran, dass es vielen der rund drei Millionen Uruguayern heute besser geht als vor zehn Jahren, als die Frente Amplio erstmals Wahlen gewann.
Angespannter Wohnungsmarkt
Adrian Moraes, alleinerziehender Vater von zwei kleinen Jungen, lebt in Montevideo im Bezirk Goes. „Vor Jahren noch hat niemand in diesem Viertel wohnen wollen“, sagt der 26-Jährige. Er steht auf einem Bolzplatz, und während seine beiden Söhne dem Ball nachjagen, zeigt er mit dem Finger auf ein flaches Terrain gegen. In ärmlichen Behausungen hätten dort Menschen illegal gehaust. Drogen, Kriminalität und Armut seien Aushängeschilder des Bezirks gewesen. Dank der Frente Amplio habe sich hier einiges geändert. Viele Bewohner könnten jetzt Häuser beziehen, an deren Konstruktion sie selbst mitgewirkt hätten.
Die Mujica-Regierung definiert mit dem Gesetz 18.795 sozialen Wohnungsbau zu einer Angelegenheit von nationalem Interesse. Doch trotz weiterer Projekte wie im Bezirk Goes, der Wohnungsmarkt bleibt für Menschen mit niedrigen Einkommen in Montevideo angespannt.
Wie sich unter der Frente Amplio das Leben für viele gewandelt hat, bezeugen die Zahlen des nationalen Statistikinstituts Ine. Während gemessen am monatlichen Einkommen 2004 noch gut 40 Prozent der Uruguayer in Armut lebten, ist diese Quote ein Jahrzehnte später auf 11,5 gefallen, was auch einer leidlich prosperierenden Ökonomie zu verdanken ist, die im Vorjahr um 4,4 Prozent wuchs.
Wichtige Handelspartner sind so nicht mehr nur Staaten des Wirtschaftsverbundes Mercosur und Nachbarn wie Argentinien und Brasilien. Um Investoren nach Uruguay zu bringen, reiste Präsident Mujica auch in die USA, zu einem Treffen mit Barack Obama und Vertretern der Wirtschaft. An die radikale antiimperialistische Linke in der Frente Amplio gerichtet, rechtfertige Mujica diesen Besuch als Notwendigkeit. um Uruguay neue Märkte zu erschließen. Ebenso besuchte Mujica China, das als Exportland für uruguayische Produkte wie Fleisch, Soja und Wolle und als Lieferant von zahlreichen Produkten wie Maschinen und Elektrogeräten Bedeutung hat.
Oobgleich die Armut durch das Wirtschaftswachstum abnimmt, die Kriminalität war zentrales Thema zu den Parlamentswahlen. Brutale Überfälle auf Geschäfte, auch mit tödlichem Ausgang, sind ein beständiges Thema in den nationalen Zeitungen. „Es gibt ein unglaubliches Sicherheitsproblem“, sagt etwa die Reinigungsfrau Silvia Rosa. Die 37-Jährige lebt mit ihrer Familie im Arbeiterbezirk Cerro am Rande von Montevideo. Es ist gerade zwei Tage her, berichtet sie, dass ihr Nachbarschaftskiosk ausgeraubt wurde. Zwei vermummte Jugendliche um die 17 Jahre überfielen die Ladenbesitzerin mit einem Revolver und nahmen alles Bargeld und sämtliche Zigaretten mit. „Solche Raubüberfälle passieren hier im Viertel beinahe täglich“, sagt sie.
Raubüberfälle von Minderjährigen sind ein so viel diskutiertes Thema, dass eine Kampagne aus den Reihen der Nationalpartei die Herabsetzung der Strafmündigkeit von 18 auf 16 Jahren forderte. Gegen den initiierten Volksentscheid wandte sich die Bewegung „No a la Baja“ („Nein zur Herabsetzung“) aus dem Umfeld der Frente Amplio.
Hanfplakate in Montevideo
Als zentrales Argument der landesweiten Informationskampagne wurde dabei vorgebracht, dass die straffälligen Jugendlichen im Gefängnis erst recht zu Verbrechern geformt würden. Zwar stimmte letztlich eine Mehrheit der Uruguayer gegen eine Gesetzesänderung. Aber selbst die ihren Erfolg feiernden Vertreter von „No a la Baja“ betonten in Interviews, dass die Kriminalität einer Lösung bedürfe.
Dass die Legalisierung von Marihuana im Mai auch die organisierte Kriminalität traf, betont Tabaré Vázquez immer wieder. Man dürfe Gangs den Markt nicht allein überlassen. Abgesehen von derartigen Motiven, war die Legalisierung ohne Zweifel ein gigantischer PR-Coup. Zahlreichen Zeitungen der Welt waren die grünen Demonstrationen mit Hanfkostümen, Papphanfblättern und riesigen Hanfplakaten in Montevideos Straßen ein gedrucktes Bild wert. Im nächsten Jahr soll dann unter Tabaré Vázquez, der bereits von 2005 bis 2010 Uruguays Präsident war, der Verkauf der Droge unter staatlicher Kontrolle beginnen.
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