Die Kinder der 12 Stämme

Glaubensgemeinschaft In diesem Jahr machten Kindesmißhandlungen in Relgionsgemeinschaften Schlagzeilen. Dabei handelt es sich um ein internationales Phänomen.

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Während aus den USA und Kanada viele Glaubensgemeinschaften leben, die sich von der übrigen Gesellschaft stark abgrenzen, ist dieses Phänomen in Deutschland eher neu. Während es sich in Kanada meist um alte traditionelle Siedlungsstrukturen handelt, die sich der Moderne widersetzten, kommen die deutschen Ableger aus der Zurück-zur-Natur Bewegung und lehnen sich in ihrem Lebensstil der Alternativbewegung an. Das positive Bild das solch eine Lebensführung mit ökologischen Landbau und Hofcafe ausstrahlt, kam auch einer obskuren amerikanischen Glaubensgemeinschaft zu gute, denen eine Klostenanlage überlassen wurde. Sie kauften eine alte Klosteranlage im bayerischen Deinigen und entwickelten ein christliches Landgut. Sie leben nach einer strengen Auslegung der Bibel und nennen ihre Religionsgemeinschaft die "Zwölf Stämme" . Die Bewohner tragen eine Art Tracht, Männer haben lange Bärte. Neumitglieder sind willkommen werden aber einer intensiven Schulung unterzogen und müssen sich den Alltagsregeln einfügen. Ein Prinzip der Gemeinschaft war der Boykott des staatlichen Schulunterrichts. Die Mitglieder wollten nicht ihre Kinder in eine staatliche Schule schicken und boykottierten den Unterricht. Um die Kinder nicht in die Schule zu zwingen, gaben die Behörden nach und erlaubten der Kommune ihre Kinder selber zu unterrichten. Vorraussetzung war, daß eine ausgebildete Lehrerin den Unterricht führte. Doch bald wurden die Kinder von nicht ausgebildeten Kräften unterrichtet. Schlimmer war für die Kinder, daß sie einer drakonischen Erziehung unterstanden. Ungehorsam wurde mit Rutenschlägen bestraft. Kinder wurden in Kellerräumen über längere Zeit eingeschlossen und und mit Weidenruten geschlagen. Beweis war die Videoaufnahmen eines Fernseh-Reporters, der sich mit versteckter Kamera in die Kommune einschlich. Die Behörden reagierten im September diesen Jahres mit einer großen Polizeiaktion. Die Kinder wurden in die Obhut des Jugendamtes genommen und wurden in Pflegefamilien untergebracht. Das Problem von Kindesmißhandlungen in religiösen Gemeinschaften, die nach alten Bräuchen leben, ist auch aus Kanada bekannt. Dort gab es diese Jahr einen ähnlichen Fall in der Monitoba Minnonitengemeinde, die ohne Autos und Fernseher abgeschieden leben, ihre Kinder unterrichten und körperliche Züchtigung als von Gott gegebene Strafe ansehen. Typisch für solche Gemeinschaften ist, daß sie isoliert von der übrigen Gesellschaft leben und hierarchisch organisiert sind. Bei moralischen Fragen hat Gemeindeälteste ein wichtiges Wort mitzureden und kann auf die betroffenen Familien Einfluß nehmen. In Kanada mit seinen Wegen ist es nicht unnormal, daß auf die Schulpflicht in solchen Gemeinden verzichtet wird. Wie kann man erklären, daß die gesellschaftliche Ächtung von körperlichen Strafen so spurlos an den Menschen dieser Gemeinschaften vorbeigeht. Für Deutschland erscheint es mir, sehr ungewöhnlich, daß Menschen die das liberale Leben der westlichen Gesellschaften kennen gelernt haben, sich in einer Orientierungsuche auf uralte Erziehungsmethoden rückbesinnen. In Kanada hingegen könnte die Abschotttung gegenüber der Restgesellschat Ursache für die Verweigerung liberaler Erziehungsmethoden sein. Auf der Webseite der 12 Stämme findet sich keiner Selbstkritik. Zwar gibt sich die Webseite modern und bietet einen Blog an, doch der besteht nur aus Zitaten des Alten und Neuen Testaments. Es werden Briefe der Kinder präsentiert, die sich verständlicher Weise nach ihren Eltern sehnen. Die bayerischen Mitglieder der Zwolf Stämme klagen gegen die Sorgerechtsentziehungen. Bislang hatten sie noch in keinem Fall Erfolg. Der Fall läßt aber noch eine Frage unbeantwortet. Sind die Jugendämter lange blind, weil sie Kindesmißhandlungen in bestimmten Schichten der Gesellschaft vermuten, die in den Nachmittagsdokumentationen bei den den Privatsendern breit dargestellt werden? Die kanadische Religionsgemeinschaft ist inzwischen bewußt, daß sie ihre Erziehungsmethoden überdenken muß, bei der deutschen Gemeinschaft war von Selbstkritik noch nichts zu vernehmen.

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Geschrieben von

jan Stephan

Mich interessiert Arbeitsmarkt, Außenpolitik und die Bundeswehr. Doch ich schreibe auch gerne über Film und Fernsehen

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