Der Impuls ist verständlich

Nawalny Vorschnelle Verurteilungen werden bei der Aufklärung des Falls nicht helfen. Russland kommt bei dieser jedoch eine besondere Verantwortung zu, meint Jan van Aken
Ausgabe 37/2020
Alexej Navalny
Alexej Navalny

Foto: imago images/ITAR-TASS

Ein Labor der Bundeswehr hat zweifelsfrei nachgewiesen, dass Alexej Nawalny mit dem Kampfstoff Nowitschok vergiftet wurde. Dass es ein Labor der Bundeswehr war, liegt in der Natur der Sache, da es sich um einen militärischen Chemiewaffen-Kampfstoff handelt und das Bundeswehrlabor für eine solche Analyse dementsprechend die meiste Erfahrung in Deutschland hat. Es gibt keinen Grund, an dieser Analyse zu zweifeln.

Zumal die Bundesregierung den Fall zusätzlich auch an die Organisation für das Verbot von Chemiewaffen, OPCW, übergeben wird, die das Ergebnis in mehreren internationalen Labors überprüfen wird. Es ist von entscheidender Wichtigkeit, international alles zu unternehmen, dieses Attentat aufzuklären. Denn es wäre fatal, wenn jemand straflos geächtete Chemiewaffen einsetzen könnte.

Die Vergiftung von Alexej Nawalny war allem Anschein nach eine Geheimdienstoperation. Einfache Kriminelle oder Einzeltäter dürften kaum an das Gift gelangen können – und hätten auch keine Erfahrung im Umgang mit einer derart gefährlichen Waffe. Sobald jedoch Geheimdienste im Spiel sind, müssen wir alle Informationen mit großer Vorsicht genießen.

Nowitschok wurde in der ehemaligen Sowjetunion entwickelt, und sicherlich gibt es auch im heutigen Russland noch (kleinere) Bestände dieses Kampfmittels. Es kann jedoch mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass auch andere Länder über geringe Mengen von Nowitschok verfügen. Die chemische Struktur und mögliche Herstellungswege sind bekannt. Deshalb lässt sich aus der Art des Kampfstoffes nicht zwingend auf eine bestimmte Täterschaft schließen. Nur weil die Sowjetunion ihn entwickelt hat, muss der heutige Täter nicht zwingend aus Russland kommen.

Moskau muss für Transparenz sorgen

Es gab in den letzten Jahren mehrere Fälle, in denen Kritiker der russischen Regierung auch mit Gewalt mundtot gemacht werden sollten. Vor zwei Jahren wurden Sergej Skripal und seine Tochter ebenfalls mit Nowitschok vergiftet. Deshalb ist es eine richtige Forderung, dass Moskau jetzt für uneingeschränkte Transparenz sorgen muss. Als Mitglied der Chemiewaffen-Konvention ist Russland ebenfalls Teil der Überprüfungsmechanismen zur Kontrolle von Chemiewaffen, es finden auch dort immer wieder solche Kontrollen statt.

Angesichts der wiederholten chemischen Attentate gegen Kritiker der russischen Regierung ist Moskau jetzt jedoch doppelt gefordert, für Aufklärung zu sorgen. Russland sollte jetzt außerplanmäßige internationale Inspektionen in allen russischen Laboren ermöglichen, die Nowitschok lagern, gelagert hatten oder diesen Stoff herstellen könnten. Chemische Analysen aller in Russland gelagerten Nowitschok-Bestände und ein chemischer Vergleich mit den Befunden bei Skripal und Nawalny könnten zur Aufklärung beitragen.

Die Aufklärung und die Bestrafung der Täter ist zu wichtig, um in der jetzigen Situation vorschnell mit dem Finger in die eine oder andere Richtung zu zeigen. Ohne echte Faktenbasis darf es keine vorschnelle Schuldzuweisung geben. Es ist jedoch unbestritten, dass die russische Regierung in den letzten Jahren Kritiker*innen immer wieder massiv unterdrückt, verfolgt und angegriffen hat. Daher ist der Impuls verständlich, eine Täterschaft der russischen Regierung anzunehmen.

Das ist natürlich möglich, angesichts der dünnen Faktenlage jedoch genauso spekulativ wie jede andere Schuldzuweisung. Um Gewissheit zu schaffen, ist daher eine weitgehende Kooperation und Transparenz der russischen Regierung unumgänglich.

Jan van Aken war von 2009 bis 2017 Bundestagsabgeordneter der Linken und von 2004 bis 2006 Biowaffeninspekteur für die Vereinten Nationen. Derzeit arbeitet er für die Linksfraktion im Thüringer Landtag

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