Keineswegs hat der Solidarpakt für den Osten Deutschlands nur Vorteile gebracht: Wenn man zwischen Anklam und Suhl durch die Provinz fährt, kann man sich auf all den Umgehungsstraßen, die sich jede noch so kleine Kommune nach dem Mauerfall geleistet hat, ganz schön verzetteln. Immerzu muss man mit der ganzen Kirche ums Dorf, während sich in den menschenleeren Ortskernen selbst nur noch Katz und Maus gute Nacht sagen. Auf einem Bahnhof wie dem in Leipzig kann man zwar fast rund um die Uhr shoppen, ICEs aber fahren von dort bald nur noch im Zweistunden-Takt in die nahe Hauptstadt. Und viele Gewerbegebiete gemahnen, wo sie leer und nutzlos in der Landschaft herumstehen, an nichts anderes mehr als an jene tausendfach umsonst geträumten Unternehmerträume eines blühenden Aufbau-Ost.
Das soll nicht zynisch klingen: Aber jener milliardenschwere, durch den Solidarpakt finanzierte Infrastruktur-Runderneuerung hat Ostdeutschland auch mit einer völlig neuen Art von Industriedenkmälern überzogen. Mit Straßen, Radwegen, Bahnhöfen, Flughäfen, Autobahnen und Einkaufstempeln nämlich, die in dieser Dimension niemand wirklich braucht und die so binnen Jahren zu Symbolen des postindustriellen Zeitalters geworden sind.
Die Oberbürgermeister aus Gelsenkirchen, Oberhausen und anderen Städten in Nordrhein-Westfalen, die jetzt den neu entfachten Landtags-Wahlkampf nutzen, um auf ihre wirklich Besorgnis erregende Finanzsituation aufmerksam zu machen, wird das nicht stören. Ihre Kassen sind leer, und der Dortmunder Bahnhof sieht inzwischen so aus wie der von Halle an der Saale vor 25 Jahren. Dass sie nun jedoch, mal wieder, eine alte Diskussion vom Zaun brechen, und dabei West gegen Ost ausspielen, zeigt einmal mehr ihre Ausweglosigkeit und Ohnmacht. Man sollte sie darin ernst nehmen. Unbedingt! Aber sie bringen zwei Dinge zusammen, die nichts miteinander zu tun haben; sie betreiben nur wenige Tage nach der Wahl des Ostdeutschen Joachim Gauck zum Bundespräsidenten ein populistisches Geschäft. Ähnlich übrigens wie Wolfgang Thierse, der nun die Einführung eines „West-Soli“ fordert. Das ist Polit-Theater, mehr nicht.
Ohne jetzt ein volkswirtschaftliches Seminar abhalten zu wollen: Aber die Finanznot der westdeutschen Kommunen rührt daher, dass sie viele Jahre über ihre Verhältnisse gelebt haben. Jenes Geld jedoch, das sie im Zuge des Solidarpaktes an den Osten abgegeben haben und auch bis 2019 weiter abgeben müssen, ist Teil des Länderfinanzausgleiches, der geschaffen wurde, um Investitionen zu tätigen und Steuermindereinnahmen zu kompensieren. Diese Abgaben stellen keine Sonderbelastungen der „Westländer“ dar, sondern garantieren den Grundsatz der gleichen Lebensverhältnisse im ganzen Land. Noch immer liegen die Steuereinnahmen des Ostens im Vergleich zu den führenden westdeutschen Ländern bei ungefähr 40 Prozent. Die passable Finanzausstattung der Ostländer wiederum ist ein Ergebnis der beträchtlichen Sonderleistungen des Bundes und nicht der West-Kommunen.
Trotzdem: Die nun erneut aufkommende Debatte um den Solidarpakt ist wichtig. Sie könnte, wenn man sie richtig führt, zu zwei Einsichten führen: Einerseits wird der Osten dauerhaft am Tropf des Westens hängen, auch weit über das Jahr 2019 hinaus, wenn der Solidarpakt endet. Andererseits muss den finanzschwachen Kommunen in NRW geholfen werden. Das aber ist Ländersache. Frau Kraft, übernehmen Sie?!
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