Mädchengebete

Fortschritt Lena Dunham schreibt über ihre Vagina, Ursula von der Leyen räumt die Bundeswehr auf. Aber nur eine von beiden hat den wahren Feind erkannt
Ausgabe 41/2014
Lena Dunhams scheinbar tabuloses Gerede ist nichts weiter als eine postmoderne Spielart des zahmen Kätzchens
Lena Dunhams scheinbar tabuloses Gerede ist nichts weiter als eine postmoderne Spielart des zahmen Kätzchens

Foto: Frederick M. Brown / Getty Images

Nachdem ich mehr als 25 Stellen in Lena Dunhams neuem Buch Not That Kind of Girl gelesen hatte, in denen es größtenteils um ihre eigene Vagina ging, habe ich aufgehört zu zählen. Lena Dunham galt für mich lange als das klügste Mädchen der Welt. Ihre Serie Girls hatte zwar mit mir und meinem Leben nicht viel zu tun – Dunham stammt aus New York, ich aus Leipzig –, aber wenn ich einen Wunsch frei gehabt hätte, hätte ich mir gewünscht, über mein Leben so denken und schreiben zu können wie die heute 28-Jährige. Nun aber bin ich doch enttäuscht. Von all dem schlechten Sex, den sie hatte, den Neurosen, ihrem angeblich hässlichen Körper und den Millionen anderen Dingen, die in ihrem unfassbar erfolgreichen Leben bisher schiefgegangen sein sollen, will ich nichts mehr wissen. Ich habe in ihrem Buch herumzustochern begonnen wie in schlechtem Essen.

Zumal solche Geschichten Sibylle Berg in ihren Kolumnen auf Spiegel Online auch erzählt; Charlotte Roche darüber schon oft und, wie ich mir einbilde, origineller geschrieben hat. Und Helene Hegemann gibt’s ja auch noch. Alles so zerstörte Mädchen in unglücklichen Körpern, die irre erfolgreich sind. Sibylle Bergs Motto auf Twitter lautet: „Kaufe nix, ficke niemanden.“ Ich finde das nicht lustig. Sie tut mir eher leid.

In einer Zeit, in der Frauen über so gut wie nichts öffentlich reden durften, weil kaum jemand sie etwas gefragt hat, war es wichtig, das Schweigen zu brechen und tabulos auch vor den Augen und Ohren von Millionen über alles zu sprechen. Von mir aus auch, weil das Private mitunter politisch ist. Ich war da immer auf der Seite all derer, die gesprochen haben. Jetzt aber ist diese Zeit vorbei.

Ausgerechnet Ursula von der Leyen brachte mich darauf. Sie macht das im Moment ja anders. Sie hat eine umfangreiche Mängelliste der Bundeswehr erarbeiten lassen und redet nun sehr direkt nicht über die eigenen Schwächen, sondern über die Fehler von anderen. Sie spricht drastisch von „teilweise jahrzehntelangen Versäumnissen“ und meint damit ihre Vorgänger im Amt des Verteidigungsministers. Zum Beispiel zu Guttenberg, de Maizière. Sie demonstriert Stärke und Entschlossenheit und will sich damit vielleicht auch für die Kanzlerschaft empfehlen. Warum nicht? Die Entscheidung darüber liegt ohnehin bei den Wählern, und die Frage scheint mir eher, ob Deutschland schon reif für eine zweite Kanzlerin ist.

Freunde macht sich von der Leyen damit natürlich nicht. Prompt ist zu lesen, sie habe einen zu großen Geltungsdrang, werde an ihren zu hohen Ansprüchen scheitern. „Auf Vorderfrau bringen“, versuchte die Frankfurter Allgemeine einen Witz. Werden da reale Ängste beschrieben oder heimliche Wünsche? Will man von der Leyen scheitern sehen, damit sie hernach auch solche Bücher schreibt wie Susanne Gaschke? Und werfen ihr da nicht jene Geltungsdrang vor, die Angela Merkel stets Unentschlossenheit attestieren? Denen Merkels Auf-Sicht-Regieren das Land viel zu nah an den Abgrund brachte?

In Wahrheit reden Dunham, Berg und Kolleginnen über ihre Ängste und Neurosen, weil sie sich damit keine Feinde machen. Sie machen sich und ihren Erfolg klein und demonstrieren mit jedem Satz, dass sie niemandem, vor allem keinem Mann, etwas wegnehmen wollen. Ihr anscheinend tabuloses Gerede ist nichts weiter als eine postmoderne Spielart des zahmen Kätzchens. Für eine gewisse Zeit hatte das sogar den Anschein von Fortschritt und Emanzipation, nun aber ist es zu einer langweiligen Masche geworden und hat sich überholt.

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