Der Gladiator tanzt

Wowereits Sieg Berlin hat verstanden: Klaus Wowereit feiert seinen Wahl-Triumph Wowi-gemäß mit einer Tanzbäreneinlage. Und die SPD freut sich mit. Denn ab jetzt geht es um mehr

Und in dem Moment, als Sigmar Gabriel die Bühne in der Berliner Kulturbrauerei betritt, ist es plötzlich still in diesem großen Saal. Ein, zwei, drei, vier Sekunden lang. Mucksmäuschenstill. Ist es ein feindliches Schweigen? Sigmar Gabriel: Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, immerhin. Nach der Wahl ist vor der Wahl, das ist ein dummer Spruch, logisch. Aber in diesen vier Sekunden wird klar, dass Klaus Wowereit zwar gerade die Wahl zum Regierenden Bürgermeister gewonnen hat, mit irgendwas um die 28 Prozent der Stimmen ein wenig schlechter als nicht nur hier von seinen Anhängern erwartet, aber: nun wird der Kampf erst richtig beginnen. Der Kampf um die Kanzlerkandidatur. Und Wowereits Leute wollen diesen Sieg heute für sich behalten. Sie haben nichts zu verschenken. An einen wie Sigmar Gabriel jedenfalls nicht.

Klaus Wowereit selbst war ein paar Minuten zuvor wie ein Gladiator einmarschiert. Schon draußen vor der Halle hatten die Kameras auf ihn gewartet und ihn begleitet, wie er kraftstrotzend, siegessicher voranschreitet, gefolgt von seinen engsten Mitarbeitern. Dazu Musik wie bei einem Boxkampf oder wie in einem Mafia-Film. Ganz großes Berlin-Kino. Drunter nicht, nicht heute. Die SPD nämlich, sie ist am Ende dieses langes Wahljahres wieder da. Stärker jedenfalls als sie es selbst wahrscheinlich für möglich gehalten hätte. Sieben Wahlen, fünf Siege. Das ist keine schlechte Bilanz, gelinde gesagt.

Der alte Tanzbär

Auf der Bühne dann singt die Musik weiter und Wowi weiß nicht so recht, was er tun soll. Eigentlich würde er gern reden, aber die Leute wollen den Moment des Sieges noch ein wenig auskosten, und so beginnt der Regierende, wie seine Leute ihn nennen, zu tanzen. Er könnte jetzt auch an einem Strand sein oder so. Aber so kennt man ihn, so haben ihn die Journalisten immer beschrieben, um sich über ihn lustig zu machen. Der alte Tanzbär. Und der Saal freut sich, tanzt mit, ist froh, dass der Gladiator nun nicht als gänzlich neuer Mensch vor sie tritt, sondern ein wenig noch der alte geblieben ist.

Auch seinen Lebensgefährten Jörn Kubicki hat er mitgebracht, von dem es hieß, dass Wowereit ihn eigentlich verlassen hatte. Nun aber steht er neben ihm und als der SPD-Landesvorsitzende Michael Müller dem Sieger einen großen Teddybär schenkt – einen Gladiator als Kuscheltier aufzutreiben ist ja auch schwierig – darf Jörn den halten. Der Regierende stellt sich kurz daneben, umfasst seinen Freund, in ihrer Mitte halten sie den Teddy. Auch nicht schlecht, denkt man, schließlich können die beiden ja keine Kinder kriegen. So ist das mit den Assoziationen, sie gehen ihre eigenen Wege.

Klaus Wowereit wird nachgesagt, dass er ein kalter Machtpolitiker ist, dem das Wort danke nicht über die Lippen kommt. Auf der Bühne nun aber dankt er erst einmal allen, die ihm geholfen haben. Das macht man so, das ist immer so, klar. Aber Wowi dankt ganz lange, und es ist rührend. Zwischendurch fällt er Jörn um den Hals, da, wo er den Familien dankt, die in den letzten Wochen zurückstecken mussten. Und wieder fällt so ein Satz, der Wowi ist. So ein Berlin-Satz. So ein Berlin-Gefühl-Satz. Der Regierende sagt sinngemäß: Ich danke den Familien, den Ehefrauen und Ehemännern, den Freundinnen und Freunden. Und dann sagt er: Und denen, die es sonst noch so gibt. Aha! Was soll das denn heißen? Schön, gut, also auch denen. Die es sonst noch so gibt. Warum auch nicht. Berlin ist wahrscheinlich voll von Leuten, die Leute haben, die es sonst noch so gibt. Und auch das heißt: Berlin verstehen.

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