Die fremde Freundin

NSU Die Anklageschrift gegen Beate Zschäpe legt den Verdacht nahe, dass sie der eigentliche Kopf des Trios war

Eigentlich wollte Beate Zschäpe Kindergärtnerin werden. Als sie im Frühsommer des Jahres 1992 die zehnte Klasse der Oberschule beendet, ist das ihr Wunschberuf. Aber daraus wird nichts, und so muss sie erst einmal als Malergehilfin in einer Jugendwerkstatt jobben und sich später – ziemlich lustlos wohl – zur Gärtnerin für Gemüseanbau ausbilden lassen. In diesem Beruf wird sie nie arbeiten, sondern entweder arbeitslos oder in einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme sein. Für die damalige ostdeutsche Nachwendezeit war das ja alles andere als ungewöhnlich.

Dann aber taucht sie gemeinsam mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt unter. Ende Januar des Jahres 1998 verlieren sich ihre Spuren wie im Nebel. Beate Zschäpe ist da 23 Jahre alt. Und mutmaßlich irgendwann im Laufe des Jahres entscheiden sich die drei, sich zu einem festen Verbund zusammmenzuschließen und gewaltsam aus der Illegalität heraus, in Deutschland lebende Menschen mit ausländischen Wurzeln zu bekämpfen. Aber vielleicht, denkt man heute, wäre alles anders gekommen, wenn Beate Zschäpe doch Kindergärtnerin hätte werden können?

Seit letzter Woche nun liegt einigen Redaktionen die Anklageschrift des Generalbundesanwaltes Harald Range und seiner Mitarbeiter gegen das ehemalige NSU-Mitglied Beate Zschäpe und vier weitere Angeschuldigte vor. Auf fast 500 Seiten werden gegen die heute 37-Jährige jede Menge Indizien zusammengetragen, um ihr neben Mord an zehn Menschen, einem versuchtem Mord, zwei Sprengstoffexplosionen und einer Brandstiftung mit versuchtem Mord in drei Fällen ebenfalls die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung nachzuweisen.

Für viele war diese Anklage, als die Öffentlichkeit davon vor rund zwei Wochen erfuhr, überraschend eindeutig ausgefallen: Die in Jena geborene Zschäpe hatte demnach während der 13 Jahre im Untergrund nicht nur, wie bisher angenommen, im Hintergrund agiert, sondern sie war neben Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt ein völlig gleichberechtigtes Mitglied des Trios gewesen – auch wenn sie an den Taten nicht unmittelbar beteiligt gewesen war.

Fürsorglich und gewaltbereit

Wenn man nun allerdings die Anklageschrift selbst liest, kann man zu einem noch weitaus überraschenderen Schluss kommen. Vor allem die als Beweismittel beigefügten Zeugenaussagen legen nahe, dass Beate Zschäpe nicht nur ein gleichberechtigtes Mitglied, sondern wahrscheinlich sogar die dominierende Figur unter den drei Terroristen gewesen ist. Die Zeugenaussagen legen erstaunlicherweise nahe: Beate Zschäpe war der eigentliche Kopf des rechtsradikalen Trios.

Mehrere Zeugen werden in der Anklage beinahe gleichlautend sinngemäß so zitiert: Beate Zschäpe hätte die Hosen angehabt und die Jungs im Griff. Sie wäre diejenige, die das Trio zusammengehalten habe, durch ihre für eine Frau ungewöhnlich robuste, aber auch offene und selbstbewusste Art. Sie sei durchsetzungsfähig und organisiert gewesen. Innerhalb des Trios hilfsbereit und fürsorglich, nach außen jedoch radikal und gewaltbereit.

Diesen Eindruck stützen auch die Ergebnisse der gut einjährigen Ermittlungen des Bundeskriminalamtes. Sie haben laut Anklage nämlich ergeben, dass Zschäpe das Geld aus den Raubüberfällen verwaltet hat. Zwischen Dezember 1998 und November 2011 hatten Mundlos und Böhnhardt 15 bewaffnete Raubüberfälle begangen, die oft einfach in unmittelbarer Nähe der jeweiligen Wohnungen in Chemnitz oder Zwickau stattfanden. Manchmal wurden dabei kaum mehr als 400 Euro erbeutet, ein paar mal um die 80.000 Euro und einmal sogar knapp 170.000 Euro. Insgesamt jedenfalls fast 610.000 Euro.

Und so soll Zschäpe oft ein prall – teilweise mit 500-Euro-Scheinen – gefülltes Portemonnaie mit sich getragen und stets alles in bar bezahlt haben. Einkäufe, Restaurantbesuche, Mietautos, Ausflüge, Urlaube und sonstige Ausgaben.

Irgendwie räuberbrautmäßig, irgendwie aber auch klassisch: Die Frau managt von zu Hause den Terror, und die Jungs erledigen die Drecksarbeit. Das verbindet, auch wenn das auf den ersten Blick zynisch klingt, alle miteinander und schafft wahrscheinlich sogar so etwas wie einen Familienersatz.

So erscheint es beinahe zwangsläufig, was der Generalbundesanwalt detailreich auf vielen Seiten nachzuweisen versucht: Beate Zschäpe hat alle gewalttätigen Aktionen und Morde mitgeplant. Sie war nicht nur eingeweiht, mehr noch waren die beiden Männer auf sie mindestens genauso angewiesen wie sie auf die beiden. Die Gruppe hatte sich ja in den Jahren in der Illegalität fast völlig abgeschottet und lebte extrem isoliert. Selbst jene, die erst in Chemnitz und dann in Zwickau unter falschen Namen Wohnungen für das Trio angemietet hatten, wussten so gut wie nichts über ihre tatsächlichen Aktivitäten.

Nur Beate Zschäpe wahrte nach außen einen normalen, bürgerlichen Schein; Mundlos und Böhnhardt hingegen mieden beinahe jeglichen Kontakt zur Außenwelt. Die Nachbarn wussten nichts über die beiden zu berichten. Zschäpe allerdings wollte, weil sie ja mit zwei Männern zusammenwohnte, bösem Gerede vorbeugen und erzählte gegenüber Nachbarn, der eine sei ihr Freund und der andere dessen Bruder. Auch das kann man als einen Hinweis auf ihre Vormachtstellung werten. Sie war es, die in der Hierarchie der Drei an oberster Stelle stand.

Beate Zschäpe sitzt seit ihrer Festnahme am 8. November 2011 in der Justizanstalt Köln-Ossendorf in Untersuchungshaft und schweigt zu all diesen Vorwürfen. Dabei hat sie desweiteren nachweislich dafür gesorgt, dass Mundlos und Böhnhardt Tarnnamen bekamen, Legenden und gefälschte Papiere besaßen. Sie selbst hingegen benutzte keine getürkten Unterlagen. Sie hielt sie schlicht für nicht notwendig.

Außerdem war sie laut Anklageschrift an der Beschaffung der Waffen ebenso wie an der Erstellung des Bekenner-Videos beteiligt und hat an einer mehr als 10.000 Personendaten umfassenden Computerdatei mitgearbeitet. Diese Datei sollte den Terroristen helfen, Opfer auszusuchen. Dabei gerieten vor allem Männer südeuropäischer Herkunft ins Visier, die noch jung sein und gehindert werden sollten, in Deutschland Familien zu gründen

Eine ungeliebte Tochter

Das ist insofern interessant, da Beate Zschäpe selbst – anders als Mundlos und Böhnhardt – aus äußerst schwierigen familiären Verhältnissen stammte. Ihre Mutter lernt den Vater während des Studiums in Rumänien kennen. Die Tochter kommt am 2. Januar 1975 als uneheliches Kind unter dem Namen Apel auf die Welt und wächst in den nächsten Jahren bis auf wenige Monate bei ihrer Großmutter auf. Ein Jahr nach der Geburt heiratet die Mutter einen anderen Mann und fortan heißt das Kind Beate Trepte. Die Ehe hält kaum mehr als ein Jahr, 1978 heiratet die Mutter erneut, und auch die Tochter nimmt den Namen Zschäpe an. Aber auch diese Ehe wird im darauffolgenden Jahr geschieden, und erst im Anschluss zieht die Tochter, bereits fünf Jahre alt, mit ihrer Mutter in eine Einzimmerwohnung in Jena. Dort lebten die beiden sieben Jahre lang, bevor sie in eine größere Bleibe umziehen. Ihr Verhältnis war schwierig.

Zu ihrem leiblichen Vater hingegen hatte Beate Zschäpe so gut wie keinen Kontakt. Er betreibt später mit seiner neuen Frau, deren deutschen Familiennamen er angenommen hatte, in Westdeutschland eine Zahnarztpraxis. Drei Monate nach seinem Tod begeht das Trio den ersten Mord: Mundlos und Böhnhardt erschießen den 38-jährigen Blumenhändler Enver Simsek in Nürnberg.

Wenn die Anklage zugelassen werden sollte, könnte im März der Prozess beginnen. Dann wird sich zeigen, ob geklärt werden kann, welche Rolle Beate Zschäpe, das ungeliebte Kind, in dem rechtsextremen Terrortrio wirklich gespielt hat. Auch ihr persönlicher Lebensweg sollte dabei Beachtung finden. Nicht als Entschuldigung für die grausamen Morde, nein, aber damit wir aus diesen Schicksalen lernen können.

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