„Ein feministischer Meilenstein“

Im Gespräch Angela Merkel ist eine Frau ist eine Frau ist eine Frau. Darüber reden wir mit den Bloggerinnen Antje Schrupp und Magda Geisler. So ganz unter uns, versteht sich
Ausgabe 41/2013
Allein unter Männern: Angela Merkel
Allein unter Männern: Angela Merkel

Foto: Christophe Karabe/ Epa

Der Freitag: Ich habe das Gefühl, wir müssen mal reden.

Magda Geisler: Das finde ich auch. Ich fand mich in letzter Zeit jedenfalls öfter unvermittelt bei den Verteidigerinnen von Angela Merkel wieder. Ich sage nur Mutti. Jetzt ist sie auch noch eine Schwarze Witwe oder eine Gottesanbeterin, sodass sie nun sogar von dem sehr, sehr konservativen Herrn Fleischhauer verteidigt wurde, obwohl der nicht im Verdacht steht, feministisch zu denken. Viele Männer schreiben: Die macht nüscht, aber sie hat Macht. Das finde ich immer ganz rasant. Für mich ist sie nicht weibisch-raffiniert, sondern einfach ihrer Politik verpflichtet. Sie ist moderat und hört, was ist los.

Antje Schrupp: Bill Clinton hat gerade gesagt, sie verkörpere ein Charisma des Alltags. Das stimmt. Politiker wie Gerhard Schröder oder Joschka Fischer hatten ihr Charisma stark mit Männlichkeit aufgeladen. Und Angela Merkel symbolisiert etwas anderes, was viele nachhaltig irritiert. Sie können nicht verstehen, warum sie so erfolgreich ist. Mich dagegen wundert das kein bisschen.

Geisler: Ganz einfach: Sie hat als reine Ossa einen Sinn für das, was geht und was nicht geht. Sie rennt gegen nichts an. Und was sie selbst denkt, sagt sie nicht gleich, sie gibt keine Bekenntnisse ab, und das erscheint mir sehr weiblich.

Aber braucht es in der Politik nicht starke Bekenntnisse?

Schrupp: Sie legt keine demonstrativen Bekenntnisse ab, aber sie weiß schon, was sie will. Sie lässt sich nicht opportunistisch treiben, sondern versucht viele einzubinden. Aber sie kann auch Leute unterbinden, die auf eine destruktive Weise alte Polterpolitik machen wollen. Gegen Friedrich Merz oder Roland Koch ist sie ja nicht zögerlich vorgegangen. Das trägt zu ihrem Erfolg bei.

Geisler: Zerstörerisches Weib, oh, welche Gefahr!

Für uns ist es ganz einfach, sie als Frau zu lesen. Viele Beobachter jedoch haben sich lange Zeit schwer damit getan. Der „Spiegel hat über die Jahre getitelt: „Die halbe Kanzlerin“, „Die Herrin auf Schloss Ungefähr“ oder „Angela Mutlos“. Und der Schweizer Publizist Roger Koeppel hat über sie geschrieben: „Es fehlt das Archetypische. Man wüsste nicht, welche Rolle ihr in einem Shakespeare-Drama zukäme.“

Schrupp: Aber das Weibliche in Verbindung mit Macht, das ist ja das Neue. Als reale Figur im politischen Alltag wird dieser Typus gerade erst erfunden, natürlich kam der in Shakespeare-Dramen nicht vor.

Und was ist das archetypisch Männliche an der Macht?

Schrupp: Die Macht selbst.

Geisler: Angela Merkel steht in der Hierarchie ganz oben. Die Landesmütter Hannelore Kraft oder Christine Lieberknecht können sich ganz anders inszenieren.

Das heißt aber, dass es keine Frau gibt, mit der wir Angela Merkel vergleichen können?

Schrupp: Ich würde sie gern mit Andrea Ypsilanti vergleichen, auch wenn die es damals nicht geschafft hat, an die Macht zu kommen. Ypsilanti hätte die Merkel der SPD werden können, obwohl sie ganz anders ist. Margaret Thatcher hingegen hat Weiblichkeit vor allem inszeniert, mit Handtäschchen und so. Das macht Angela Merkel nicht, sie spielt nicht mit weiblichen Waffen. Deshalb überzeugt sie so.

Geisler: Aber das mögen die Frauen an ihr ja nicht.

Schrupp: Am Anfang ihrer Amtszeit wurde das viel kritisiert, aber inzwischen haben viele gemerkt, dass das nicht nötig ist. Es ist ja nicht zu übersehen, dass sie auf diese männlich konnotierten Machtspiele verzichtet, auf diese symbolischen Gesten der Macht.

Geisler: Aber die Männer nehmen ihr übel, dass sie die Macht all dieses Brimboriums drumherum entkleidet. Kein Händchenhalten wie Kohl und Mitterrand, kein Kniefall wie bei Brandt. Und wenn sie mal die Arme hebt, dann hat sie da nen Schweißfleck.

Schrupp: Das ist eine wichtige Beobachtung. Für Männer ist dieses Brimborium Teil ihrer Faszination für Macht. Lange wurde behauptet, ohne diese Gesten der Macht könne man nicht Politik machen. Das hat die Frauen immer geärgert. Sie haben gesagt, dann machen wir eben keine Politik. Aber Merkel hat gezeigt, es geht ohne. Das ist das Großartige an ihr, denn genau auf dieser Linie verlaufen die Konflikte zwischen Männern und Frauen.

Am Anfang gab es eine große Euphorie: eine Frau im Kanzleramt. Alice Schwarzer beispielsweise suchte demonstrativ Merkels Nähe. Dann machte sich Enttäuschung breit und immer öfter wurde die Frage gestellt: Was tut sie eigentlich für die Frauen?

Schrupp: Das hat sich nun wieder geändert, sie strahlt einfach eine große Souveränität aus, die zeigt, ich bin überzeugt von dem, was ich mache, und ich weiß, dass ich kann, was ich mache. Ich glaube, es gab auch im westdeutschen Feminismus einige Denkfehler, nämlich zu glauben, das Ziel sei die Gleichstellung mit den Männern. Frauen müssten wie Männer sein. Das wurde zwar von der autonomen Frauenbewegung schon früh kritisch hinterfragt, aber der Mainstream hat das so aufgesogen. Und diesen diskursiven Ballast der westdeutschen Frauenbewegung hat Merkel nicht.

Rührt dieses Selbstbewusstsein aus ihrer DDR-Herkunft?

Schrupp: Ich glaube, dass es auch im Westen solche Frauen gab, aber die wurden in ihrem freiheitlichen Potenzial nicht so gewürdigt.

Wir betrachten Politik als eine Sphäre, in der es um Macht und Machtausübung geht. In Wahrheit aber zählen doch dort Ausgleich und Kompromiss. Das alles wiederum klingt weiblich. Oft wird kritisiert, Merkel hätte keine Idee für dieses Land. Ralph Bollmann wiederum schreibt in seinem Buch „Die Deutsche“, die Kanzlerin würde das Land verändern, in dem sie es sich verändern lässt. Und dem kann man ja nicht widersprechen: Das Land hat sich unter ihr sehr verändert.

Schrupp: So ist es. Ein Beispiel: Viele haben sich aufgeregt, als sie neulich sagte, dass sie sich mit einer völligen Gleichstellung beim Adoptionsrecht für homosexuelle Paare schwertut. So ein Satz holt aber die traditionelle CDU-Klientel ab und er umfasst eine ganze Menge: Sie sagt, dass unsere kulturellen Vorstellungen im Wandel sind und dass wir eines Tages gezwungen sein werden, das zu akzeptieren. Sie sagt nicht, dass sie dagegen kämpfen wird, sondern hilft der Mehrheitsgesellschaft, sich einzugestehen: Wir verstehen das noch nicht ganz, aber wir werden uns wohl dran gewöhnen müssen.

Geisler: Das war sehr geschickt. Ich dachte auch sofort, dieser Satz wird ihr nicht schaden.

Schrupp: Ich will trotzdem noch einmal sagen, dass ich ihre Politik falsch finde. Ihre Europapolitik ist gefährlich, und sie lässt zu, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer größer wird. Allerdings gibt es in den anderen Parteien niemanden, der ihr wirklich das Wasser reichen kann.

Zeigt sich darin nicht auch eine durch Merkels Erfolg ausgelöste Krise der Männlichkeit?

Geisler: Eine Krise der Männlichkeit gibt es sowieso, dafür muss die Merkel nicht herhalten. Die Männer wissen nicht mehr richtig, wie sie sein sollen, und ich habe mittlerweile das Gefühl, die Männer versuchen, in eine Opferkonkurrenz zu den Frauen zu treten. Nach dem Motto: Jetzt sind wir mal die Beklagenswerten.

Aber haben die Männer damit nicht recht?

Schrupp: Ich glaube nicht, dass die Männlichkeit in der Krise ist, sondern eher, dass man der Männlichkeit an sich nicht mehr zutraut, Probleme zu lösen. Die Leute haben den Verdacht, zuviel Männlichkeit kann ein Hindernis sein, wenn man Probleme lösen will. Das gilt ja selbst für die Grünen…

… obwohl die eine Quote haben …

Schrupp: … aber offenbar gelingt es den Männern immer noch, sich da in den Vordergrund zu spielen. Wer hat denn im Wahlkampf über Katrin Göring-Eckardt geredet, es ging nur um Jürgen Trittin. Im hessischen Landtagswahlkampf war es genauso, die meisten wissen gar nicht, wer die eigentliche Spitzenkandidatin vor Tarek Al-Wazir war. Die Grünen müssten diese Quote mal aufarbeiten: Was hat sie gebracht und was nicht?

Haben wir uns durch die mitunter harsche Kritik an Angela Merkel auch an einen gewissen grundrauschenden Frauenhass gewöhnt?

Schrupp: Es wird ja eher so getan, als sei sie ein Neutrum. Es ist fast ein Tabu, ihr Frausein anzusprechen. Wir sollten öfter sagen, dass die Faszination, die von ihr ausgeht, damit zusammenhängt, dass sie eine Frau ist.

Geisler: Der, die, das Merkel.

Aber das hängt doch damit zusammen, dass sie in ihrer Weiblichkeit für westdeutsche Männer nicht lesbar ist. Da schließt sich ein Kreis: Sie ist auch politisch nicht lesbar. Sie bezieht sich auf keine große westdeutsche Nachkriegserzählung. Sie hat quasi eine doppelte Unkenntlichkeit.

Schrupp: Sie macht eine Politik, die ich inhaltlich nicht gutheißen kann, aber die Art und Weise, wie sie das macht, ist ein feministischer Meilenstein. Wir müssen wohl damit leben, dass sie diese doppelte Funktion hat. Auf der einen Seite ihre Vorbildfunktion und auf der anderen ihre zu kritisierenden Inhalte.

Geisler: Ich bin da auch gespalten und denke jedesmal, wenn ich über ihre Politik nachdenke, entferne ich mich von ihr, als Frau andererseits fühle ich mich ihr fast nahe. Da hat sie meine ganze Sympathie.

Also, hat sie den Frauen nun etwas gebracht?

Schrupp: Die linken Parteien sagen gern: Merkel ist eine Frau, aber die eigentlichen Frauenthemen vertreten wir. Sie tut nichts. Aber das ist falsch, weil es davon ausgeht, Frauen hätten lediglich die Aufgabe, Frauenpolitik zu machen.

Nicht nur das, sondern dass Frauen sich ausschließlich über Frauenthemen angesprochen fühlen. Betreuungsgeld, Kitaplätze und Quote sind wichtige politische Instrumente, keine Frage, aber im Vergleich mit der Europa-, der Steuer- und Finanzpolitik sind das Kinkerlitzchen.

Schrupp: Außerdem bestehe ich darauf, dass die Aufgabe einer Politikerin darin besteht, ihre eigene Politik zu machen und nicht „die Frauen“ zu repräsentieren. Erfolgreiche Frauenpolitik bedeutet, Bedingungen zu schaffen, unter denen Frauen in ihren jeweiligen Feldern erfolgreich und einflussreich sein können. Und in dieser Hinsicht ist Angela Merkel, wenn sie mit fast absoluter Mehrheit wiedergewählt wird, ein Vorbild.

Das Gespräch führte Jana Hensel

Ladies Lunch Nachdem Angela Merkel mit fast absoluter Mehrheit zur Queen of Germany gewählt wurde, nahm die Kritik an ihr ein noch größeres Ausmaß an. Zeit also, über diese Frau einmal unter Frauen zu sprechen. Die Gäste: Antje Schrupp und Magda Geisler. Erstere schreibt hochinteressante Stücke auf antjeschrupp.com und Magda Geisler ist die Mutti unserer Freitag -Community, um hier mal ein Wort aufzugreifen, das während des Gespräches irgendwie in der Luft lag.

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