Ist die Linke am Ende?

Krise Die Linken schaffen es im Westen nicht mehr in die Parlamente. Damit ist das Lebenswerk dieses Mannes gescheitert: Wie Oskar Lafontaine eine Partei zerstört, die er mal retten wollte

Ach, wenn es doch nur so schön wäre: Über dem Schreibtisch von Bodo Ramelow hängt ein Plakat, auf dem unter dem Kopf von Karl Marx jener Satz geschrieben steht, mit dem die Geschichte des Kommunismus vor mehr als 160 Jahren begann. Ein Gespenst würde in Europa umgehen, heißt es da. Und man fragt sich: Wirklich? Und wieso geht es der Linkspartei dann so schlecht? Warum wählt man sie im Westen des Landes aus fast allen Parlamenten raus? Aber vielleicht ist dieser Satz bloß eine Art zynischer Kommentar von Bodo Ramelow. Weil der Fraktionsvorsitzende im Thüringer Landtag das inzwischen selten gewordene Glück hat, die Krise seiner Partei aus der Provinz mit Frohlocken beobachten zu können. Wie von einer Insel der Glückseligen aus. Der momentane Niedergang jedenfalls geht nicht auf sein Konto.

Und so hat der Mann an jenem Morgen in der letzten Woche ziemlich gute Laune. Die Umfragen sagen den Linken bei der Wahl in Schleswig-Holstein zwar nur unglaublich magere 2,6 Prozent voraus, aber in seinem eigenen Ländle haben es gerade vier Frauen in die Stichwahlen für das Amt der Oberbürgermeisterin und Landrätin geschafft. In Eisenach. Und: im Ilm-Kreis, im Landkreis Nordhausen, im Altenburger Land. Nun sitzt Ramelow, den man, wäre er in der CDU, wahrscheinlich als Landesfürst bezeichnen würde, in einem beigefarbenen Anzug, mit beigefarbenen Socken und einem beigefarbenen Hemd – was irgendwie ziemlich viel beige auf einmal ist – in einem schwarzen Ledersessel und ruft: „Ich bin mit meinem Landesverband sehr zufrieden, mit der gesamten Partei nicht. Aber die Landtagsfraktionen spielen faktisch keine Rolle.“ Und das klingt eher verbittert als zynisch.

Jeder kämpft gegen jeden

Die Linkspartei ist in der Krise, und dieser Satz stellt eigentlich noch eine ordentliche Verharmlosung der tatsächlichen Situation dar. Denn seit Oskar Lafontaine vor knapp zwei Jahren wegen einer Krebserkrankung seinen Parteivorsitz niederlegte und doch in Wahrheit nie abgab, hat die Partei so viele Probleme, dass man gar nicht weiß, wo man anfangen soll. Nun liegen die Nerven blank, und jeder kämpft gegen jeden. Nur Oskar Lafontaine nicht gegen Sahra Wagenknecht. Aber dieses „informelle Machtzentrum“, wie Ramelow das nennt, lässt den Berg an Problemen eher größer als kleiner werden. Keiner außer den beiden hat in der Partei noch irgendetwas zu sagen.

Es gab eine Zeit, in der die Linken die Überflieger schlechthin waren. Bei den Bundestagswahlen 2009 errangen sie 11,9 Prozent und ließen die Grünen hinter sich. In den Jahren 2008 bis 2010 übersprangen sie bei jeder überregionalen Wahl die Fünf-Prozent-Hürde; nur 2008 bei der bayerischen Landtagswahl nicht. Damit galten sie auch in der Bundespolitik als eine ernsthafte Macht und als Mehrheitsbeschaffer einer eventuellen rot-rot-grünen Bundesregierung. Es schien möglich zu sein, dass eine bisher nur in Ostdeutschland verwurzelte sozialistische Partei knapp 20 Jahre nach dem Mauerfall auch im Westen ankommen und die Parteienlandschaft durch­einanderbringen würde.

Heute reibt man sich die Augen, wenn man das liest. Und gleichzeitig fühlt man sich an die Piraten erinnert, die nun auf ganz ähnliche Art und Weise den politischen Betrieb durcheinanderbringen. Wenn am kommenden Sonntag die Linken auch in Nordrhein-Westfalen unterhalb der Fünf-Prozent-Hürde bleiben, wie es momentan aussieht, dann würde das nicht nur bedeuten, dass man in fünf westdeutschen Landtagen nicht mehr vertreten ist, sondern, dass vier der wiederum sechs einwohnerstärksten Länder ohne sie auskommen. In Bayern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen leben zusammen über 45 Millionen Deutsche. Sie verzichten auf die Linkspartei – obwohl die EU- und Finanzkrise seit Jahren tobt und die Franzosen geradezu euphorische Hoffnungen in ihren neuen, sozialistischen Präsidenten François Hollande setzen.

Mit anderen Worten: Das Lebenswerk von Oskar Lafontaine steht vor dem Scheitern. Es ist dem ehemaligen SPD-Vorsitzenden nicht gelungen, eine Partei links von den Sozialdemokraten bundesweit zu etablieren. Das war sein erklärtes Ziel – auch um jener Partei, aus der er 2005 unter anderem wegen ihrer Agenda-Politik ausgetreten ist, in einer Art Rachefeldzug maximal zu schaden. An dem Aufbau der westdeutschen Landesverbände allerdings hat er sich nie beteiligt. Er dachte, sein Name würde für sich sprechen. Und so verdanken die Linken zwar einerseits ihre Höhenflüge niemandem so sehr wie Oskar Lafontaine. Andererseits trägt keiner mehr Schuld an ihrem Absturz als er.

Lafontaine hat sich die Partei gnadenlos untertan gemacht. Sie musste sich allein seinen politischen Zielen unterordnen. Auf ihre Genese als ostdeutsche Volkspartei hat er dabei nicht geachtet; die Seele war ihm egal, ebenso wie die dortigen Akteure. Lafontaine hat den Linken ein Programm verordnet, das mit der Forderung nach einer Verstaatlichung der Banken und der Einführung einer 30-Stunden-Woche mit gleichzeitigem Ausbau des Öffentlichen Dienstes streng auf einen fundamentalen Oppositionskurs gebürstet ist. Und nicht zu den östlichen Landesverbänden passte, die bereits in der Regierungsverantwortung waren oder darum kämpften. Er und Fraktionschef Gregor Gysi haben mit Gesine Lötzsch und Klaus Ernst zwei Vorsitzende erkoren, die erkennbar nicht mehr als die Funktion von Statthaltern ausüben sollten, damit sie selbst die Zügel weiterhin in der Hand halten konnten.

Nun, in der Krise, rächt sich das. Vor den so entscheidenden Wahlen in NRW sagen weder Oskar Lafontaine noch Sahra Wagenknecht noch Klaus Ernst, ob sie im Juni Parteivorsitzende werden wollen. Welche Zukunft sie für sich in der Partei sehen? Lafontaine und Wagenknecht wohl deshalb, weil sie mit den möglichen Niederlagen in den Landtagswahlen nicht in Verbindung gebracht werden wollen. Ernst, weil er wartet, wie die anderen entscheiden.

Und so steht die Partei in diesen überlebensnotwendigen Wochen ziemlich führungslos in der politischen Landschaft und ergießt sich stattdessen in Spekulationen. Die im Moment alle darauf hinauslaufen, dass dann doch – wohl oder übel – Oskar Lafontaine zur Bundestagswahl 2013 antritt, um der Partei ein paar mehr Prozentchen zu bescheren. Aber ist ihr damit wirklich geholfen? Holt man eine Partei aus der Krise, indem man noch einmal die alten Rezepte aus der Schublade zieht?

Kein relevanter Diskurs

Im Berliner Büro von Dietmar Bartsch ist es ziemlich dunkel. Obwohl draußen die Sonne scheint und die Menschen in T-Shirts herumlaufen, dringt in das Zimmer im 2. Stock des Jakob-Kaiser-Hauses kaum Tageslicht. Das kann, wen will, an New Yorker Straßenschluchten erinnern. In diesen Tagen jedoch denkt man eher an einen Bunker. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende im Bundestag war der erste und bisher einzige, der vor ein paar Monaten bereits seinen Hut in den Ring warf und ankündigte, bei den Anfang Juni stattfindenden Wahlen für den Parteivorsitz zu kandidieren.

In diesen Tagen aber sieht Bartsch ausgezehrt und zerrieben aus. Man hat den Eindruck, als könne er dem Niedergang seiner Partei lediglich zusehen und warten, was im Saarland beschlossen wird. Und so sagt er in dem ganzen Gespräch nur einen einzigen positiven Satz: „Das Gute am Thüringer Kommunalwahlergebnis ist, dass die Volkspartei Ost lebt.“ Hat er innerlich bereits den Rückzug angetreten? Glaubt er nicht mehr an eine Westausdehnung der Linken? Stattdessen gibt er zu, dass es aktuell nicht gelinge, einen gesellschaftlichen Diskurs von Relevanz anzuregen. Lafontaines Programm jedenfalls treibt die anderen Parteien nicht mehr in die Enge.

Eine Partei kann die gesellschaftliche Situation, in der sie agiert, nicht bestimmen. Sie kann sie wahrscheinlich nicht einmal entscheidend beeinflussen, sondern ist auf Stimmungen angewiesen und angehalten, darin geschickt zu agieren. Wenn das anders wäre, wäre Politik vorausschaubar und langweilig.

Es lassen sich doch zwei Dinge festhalten: Die Einführung von Hartz IV hat Lafontaine einst in die Hände gespielt. Das klingt nicht nur zynisch, das war auch so. Eine Opposition links von der SPD wurde dringend gebraucht – zumal der damalige Kanzler Gerhard Schröder sich einer Mindestlohn-Diskussion verweigerte und deutsche Soldaten nach Afghanistan schickte. Seit 2009 jedoch sind die Sozialdemokraten selbst in der Opposition, während Oskar Lafontaine noch immer, wie eh und je, gegen seine alten Feinde kämpft. Bartsch sagt dazu: „Bei einigen ist es immer die SPD, die Schuld hat. Aber die regieren doch im Bund gar nicht mehr!“

Die Finanzkrise wiederum hat die Wähler von Lafontaine und der Linkspartei weg und unter anderem in die Hände der Piraten getrieben. Und noch immer haben die Linken bis heute keine Antwort auf dieses Phänomen. Sie wundern sich nur darüber. Aber ist es nicht so, dass das, was da in den letzten Jahren an den Finanzmärkten der globalen Welt passiert ist, kaum jemand – außer Sahra Wagenknecht wahrscheinlich – wirklich versteht? Und dass die Geringverdiener und Hartz-IV-Empfänger das Gefühl haben, dass diese Krise mit ihnen nicht viel zu tun hat – auch weil die deutsche Wirtschaft sich im Moment sehr robust zeigt.

Das ganze Geschrei, die Panik und die Untergangsszenarien sind an der großen Schicht kleiner Einkommensbezieher ziemlich vorbeigegangen. Obwohl sich deren reale Situation nicht verbessert hat. Im Osten rutschen noch dazu die älteren Jahrgänge aus den Statistiken, sodass die Arbeitslosenzahlen zwar rein aus demografischen Gründen sinken, aber die Stimmung dennoch besser ist als noch vor ein paar Jahren. Die Linke, die immer auch eine soziale Wärmestube war, verliert damit einen wichtigen Daseinsgrund. Stattdessen will sie nun gegen die Privatisierung des öffentlichen Raumes kämpfen. Aber das klingt eher wie das Thema einer soziologischen Hausarbeit.

Und die jungen Talente?

Wenn Sahra Wagenknecht nun in der FAZ über den Tod europäischer Werte schreibt und den „heutigen Diskurs“ der Lügen überführt, weil „mit jeder freigegebenen Kredittranche aus den vermeintlichen Griechenland-Hilfen die potentiellen Verluste der Finanzbranche und der privaten Anleger geringer und die potentiellen Verluste der europäischen Steuerzahler größer“ werden, dann mag das ja stimmen. Aber öffnet sie den Menschen neben dem Verstand auch die Herzen, wenn sie sie in ihrer Funktion als Steuerzahler beschreibt? Fühlt sich da wirklich einer angesprochen und gemeint? Herr und Frau Steuerzahler?

Und was ist eigentlich mit dem Nachwuchs, den sogenannten jungen Talenten? Es gibt ja davon eine ganze Menge, heißt es zumindest immer wieder. Dietmar Bartsch kann sie wie im Schlaf herunterbeten: Matthias Höhn, Klaus Lederer, Steffen Bockhahn, Jan Korte, Stefan Liebich, Halina Wawzyniak, Katharina Schwabedissen, Katja Kipping. Doch während in der FDP die 30-Jährigen in der ersten Reihe stehen, die CDU Kristina Schröder und die SPD die Damen Andrea Nahles und Manuela Schwesig hat, sieht es bei den Linken ziemlich grau aus. Nur bei den Grünen ist das noch schlimmer.

Caren Lay kommt ein paar Minuten später zum verabredeten Termin, und so hat man Zeit, noch einmal auf ihre Facebook-Seite zu schauen. Ah, sie war gestern Abend in Eisenach. Der Thüringer Kommunalwahlkampf scheint hier alle viel mehr zu beschäftigen als der in Schleswig-Holstein oder NRW. Ihr Profilbild zeigt sie im hautengen Yoga-Outfit am Strand, sie streckt ein Bein und einen Arm nach oben, in jeweils verschiedene Richtung. Es sieht ein bisschen so aus, als wollte sie ein Kerzenständer sein. Oder Heidi Klum.

Caren Lay ist seit zwei Jahren Bundesgeschäftsführerin, und man kann es nicht anders sagen: Mit ihr haben sich größere Hoffnungen verbunden. Die Frau sieht gut aus, kommt aus dem Westen, ist intelligent und überzeugte Feministin. Sie wollte antreten, um eine emanzipatorische, aufgeklärte und moderne Linke zu verkörpern. Irgendwie wäre das mal was anderes gewesen. Aber nun sagte sie: „Vor ein paar Jahren war die Linke ganz vorn dabei. Was uns mit den Themen Hartz IV und Mindestlohn gelungen ist, ist uns mit keinem anderem Thema gelungen.“ Auf all den im Moment etwas weicheren, aber umso heißer diskutierten Themenfeldern wie Familie oder Bildung taucht die Linke gar nicht auf.

Lays Kollegen, also den anderen Bundesgeschäftsführer, kennt kein Mensch. Als man Dietmar Bartsch nach dessen Namen fragt, schaut er einen an, als wolle man einen Witz machen. Aber man meint es ernst. Werner Dreibus, schon mal gehört? Auch diese Doppelspitze hat sich dereinst Oskar Lafontaine ausgedacht.

Also, die Linke hat so viele Probleme, dass man gar nicht weiß, wo man anfangen soll. Ist da schon Zeit zu fragen, wie es weitergehen soll? Vielleicht sogar ohne Oskar Lafontaine? Eher sieht es so aus, als hätten die Leute genug damit zu tun, ihren Kopf oben zu halten. Und: Bringt es wirklich weiter, wenn Bodo Ramelow glaubt, dass die Zukunft der Linkspartei im Internet liege? „Das Netz ist rot“, sagt er, und man denkt, guter Claim. Hat er sich den selbst ausgedacht?

Vor der Saarland-Wahl im März wurde Oskar Lafontaine gefragt, warum die Umfragen der Linkspartei so schlecht seien. Das sei so, weil nur wenige der Anhänger ein Telefon besäßen, sagte er, ohne eine Miene zu verziehen. Am Ende würde man immer rund sechs Prozent mehr bekommen, als prognostiziert worden war, schien Lafontaine sicher zu sein. Im Saarland hat das dann leider nicht funktioniert, in Schleswig-Holstein am vergangenen Wochenende auch nicht. Da flog man mit 2,2 Prozent in hohem Bogen aus dem Landtag raus. Aber vielleicht klappt es ja am Sonntag. In NRW.

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Illustration: Der Freitag; Material: Roger-Viollet/ Ullstei
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