„Wir müssen Risiken eingehen“

Interview Für die Aktion „Erster Europäischer Mauerfall“ des Zentrums für politische Schönheit wurden Shermin Langhoff und das Gorki-Theater von der Politik stark kritisiert
Ausgabe 46/2014

Anlässlich des 25. Jahrestags des Mauerfalls startete das Maxim-Gorki-Theater vergangenen Freitag das einmonatige Voicing Resistance Festival – das Programm thematisiert mit internationalem Künstlern die Widerstandserfahrungen aus anderen Ländern und versucht eine Verbindung herzustellen zwischen der Geschichte der deutschen Teilung und aktuellen Grenzen, Flucht- und Migrationserfahrungen. Teil des Festivals ist das Projekt "Erster Internationaler Mauerfall" des Zentrums für Politische Schönheit – das Künstlerkollektiv hatte mit Unterstützung einer Crowdfundingkampagne eine Busreise an die Europäische Außengrenze veranstaltet, um mit dem Abbau der dort errichteten Grenzzäune zu beginnen. Mit der Aktion sollte ein Zeichen gegen die Festung Europa gesetzt werden, an deren Grenzen jährlich 30.000 Flüchtlinge sterben. Zum Auftakt des Voicing Resistance Festivals wurden zwei Reisebusse mit rund 100 Teilnehmern am Gorki-Theater verabschiedet, welche in den vergangenen Tagen bis wenige hundert Meter vor die bulgarisch-türkische Grenze reisten und deren Rückkehr heute Abend oder Nacht erwartet wird. Im Rahmen der Aktion hatte das Künstlerkollektiv zuvor vorübergehend vierzehn Gedenkkreuze für die deutschen Mauertoten im Regierungsviertel demontiert und damit heftige Kritik von Politikern und Opferverbänden ausgelöst. Seitdem steht auch das Maxim-Gorki-Theater als Festivalveranstalter in der Kritik. JL

Der Freitag: Frau Langhoff, der Berliner Innensenator Frank Henkel (CDU) hat geschrieben, dass das Maxim-Gorki-Theater die Würde der Toten mit Füßen getreten habe, nachdem die Mauerkreuze am Spreeufer entwendet wurden. Nun fordert er die Aufklärung Ihrer Rolle bei der Aktion. Was sagen Sie dazu?

Shermin Langhoff: Übergriffig. Es ist übergriffig, wenn ein Innensenator über die Medien eine Untersuchung einfordert, die er anordnen könnte. Er erzeugt damit einen öffentlichen Druck auf uns, zumal er sich in seinem Artikel auch über die Freiheit der Kunst im Zusammenhang mit öffentlichen Mitteln äußert. Und diese Fragen betreffen, so weit ich weiß, nicht das Innenressort.

Was wussten Sie denn über die Entwendung der Kreuze?

In diesen Teil der Aktion war ich nicht eingeweiht. Was ich wusste, war, dass unsere Werkstätten vor einigen Wochen weiße Kreuze hergestellt haben, und zwar ohne dass dafür jene „Originale“, die an der Spree hingen, vorlagen.

Diese neu gebauten Kreuze sollten dann an den EU-Außen-grenzen aufgestellt werden?

Ich kontrolliere keine Details von autonomen und autarken Künstlergruppen, vor allem, wenn es sich wie beim Zentrum für Politische Schönheit um Kollektive handelt. Wir kooperieren mit ihnen. Ich bespreche deren Pläne nicht bis ins letzte Detail.

Aber wie finden Sie persönlich diese Entwendung der Kreuze?

Kunst muss streitbar sein, mit derlei Entgrenzung schmerzen können. Auch haben wir uns bei den Angehörigen der Maueropfer entschuldigt und werden das auch weiter uneingeschränkt tun, wenn wir irgendjemand persönlich verletzt haben sollten. Das war mit der Aktion keineswegs beabsichtigt.

Ist die Aktion „Erster Europäischer Mauerfall“ insgesamt geglückt?

Ja, die Kunstaktion hat große Aufmerksamkeit erregt, übrigens auch für das Andenken an die Mauertoten. Diese Kreuze wurden in den vergangenen Jahren in keinster Weise gepflegt. Das gibt uns Gedanken über unser Gedenken auf; aber es ging uns vor allem darum, Aufmerksamkeit für die gestrigen und zukünftigen Toten an unseren Außengrenzen zu wecken. Ich will nicht so viel über die Freiheit der Kunst diskutieren, die ist selbstverständlich, sondern über die fehlende Freiheit der von Flucht Betroffenen und die Kriminalisierung von Flucht. Die Erfahrung der Aktivisten vor Ort war, dass selbst wir Europäer nicht einmal in Augenschein mit unseren Grenzen treten können, wenn wir sie öffnen wollen.

Fürchten Sie nun Konsequenzen für das Gorki-Theater?

Ich persönlich fürchte nichts, sonst hätte ich den Job als Intendantin nicht gewählt. Wenn man wie ich Kunst fördert und unterstützt, muss man Risiken eingehen. Kunst sucht die Grenzen, und wir haben den Anspruch, politisches Theater zu machen. Nun aber zeigt sich, solange wir Konfliktzonen auf der Bühne verhandeln, ist das gewünscht, wenn wir aber das Theater verlassen, offenbar nicht mehr von allen.

Die Reportage über die Reise an die europäische Außengrenze können Sie in Ausgabe 46 des Freitag lesen

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