Es gibt immer mal wieder Künstler, vornehmlich Schriftsteller, die wollen sich politisch engagieren. Sie tun das am liebsten vom Schreibtisch aus. Hier fühlen sie sich wohl, hier redet ihnen niemand rein, hier können sie den ganzen Tag unbemerkt von der grausamen Wirklichkeit im Schlafanzug herum hocken. Zweierlei Formen des Widerstands haben dabei dauerhaft eine mittelschwere Konjunktur: entweder man verfasst einen Besinnungsaufsatz ("Wir sollten, wir müssten, wir könnten doch mal..."), der dann je nach Prominenz des Autors gern auch in Zeitungen mit hohen Auflagen zu lesen ist. Oder man setzt seinen Namen unter einen per Mail zirkulierenden Aufruf. Das ist einfacher, das geht noch schneller.
Nun hat die CDU bei den Wahlen in Hamburg und Bremen bekanntlich ziemlich
h ziemliche Niederlagen erlitten. Trotz der Modernisierung der Christdemokraten unter Angela Merkel wählen die jungen, gut ausgebildeten und meist besser verdienenden Großstadtmenschen lieber Grün. Daher hatte Generalsekretär Hermann Gröhe die Idee, die Wahllisten der Union auch für "interessante Köpfe" aus der "Kulturszene" zu öffnen. Soweit, so gut. Eigentlich kein schlechter Vorschlag. Für die Christdemokraten sogar so etwas wie ein großer historischer Schritt, denn bisher fühlten sich Günter Grass und seine Enkel doch eher dem sozialdemokratischen Lager verpflichtet.Prompt aber regt sich Widerspruch, deftiger sogar. Philipp Mißfelder, der Vorsitzende der Jungen Union, sagte: "Bürger, die sich in Vereinen engagieren, sind geborene Kandidaten für öffentliche Ämter. Aber Künstler? Vielleicht sollten wir es einmal mit einem Clown versuchen..." Während Gröhe selbst zur Kritik des jungen Kollegen schweigt, springt nun Claudia Roth für die Kreativen in die Bresche: "Ich frage mich übrigens auch", schreibt sie in einem Offenen Brief an Mißfelder, "was der berühmteste deutsche Künstler zu der von Dir insinuierten Ausschließung von Künstlern aus der aktiven Politik gesagt hätte. War Johann Wolfgang von Goethe nicht auch Legationsrat"? Mal abgesehen davon, dass es dem Geheimrat bei solchen Wortklumpen wie "insinuierter Ausschließung" wahrscheinlich die Sprache verschlagen hätte – man weiß nicht, was schlimmer ist: Mit einem Clown oder einem Dichter verglichen zu werden, der fast 200 Jahren tot ist.Die Falschheit der PoseEs ist tragisch, aber leider wahr: Philipp Mißfelder hat Recht. Das meiste, was deutsche Künstler, Regisseure und Schriftsteller verzapfen, wenn sie politisch sein wollen, taugt nicht mehr, als das schlechte Gewissen zu beruhigen. Ich kann mich an keinen deutschsprachigen Roman der letzten Jahre erinnern, der eine politische Diskussion ausgelöst hat. Sachbücher hingegen schon. Im Kino war es ganz ähnlich: Entweder es wurde die alte, viel bessere Zeit noch einmal in poppigen RAF-Filmen aufgewärmt, oder es wurden Filme wie "Die fetten Jahre sind vorbei" gedreht. Ein Besinnungsaufsatz in beweglichen Bildern. Gelaber irgendwie.Mit anderen Worten: Wer es nicht schafft, in seinen künstlerischen Werken politisch zu sein, der sollte zu politischen Fragen lieber schweigen. Wer im richtigen Leben süffige Philosophie-Ratgeber schreibt, die sich in den Bestseller-Listen festsaugen wie Vampir-Romane, der sollte nicht von einer bevorstehenden Revolution fantasieren. Die Falschheit der Pose ist zu augenscheinlich.Dabei ist interessant, dass das Unbehagen an dieser Art von Polit-Unterhaltung nicht von den Linken, sondern vor allem von Konservativen formuliert wird. Auch Frank Schirrmacher, der Herausgeber der FAZ, schrieb kürzlich: "Es geht nicht um Presseerklärungen und ganz gewiss nicht um intellektuelle Routinen, die in Wahrheit nur der Parteipolitik dienen. Doch die alte Heine-Formel von Gedanke und Tat, von Geist und Macht sollte mal wieder aus dem Tresor geholt werden." Schirrmacher glaubt dabei an eine große Nachfrage nach einer neuen politischen Literatur.Ein bißchen sind die deutschen Medien an dieser Situation jedoch selbst schuld. Sie laden die Künstler gern zu solchen Besinnungsaufsätzen ein, anstatt sie einmal tatsächlich an die Wirklichkeits-Front zu entsenden. Das haben die Amerikaner schon seit den 60er Jahren besser gemacht. Jener sogenannte New Journalism, den man hier noch immer wie den letzten Schrei zu kopieren versucht, er wurde hauptsächlich von Schriftstellern erfunden. Offenbar hat man früh gemerkt, dass beide Seiten, der Journalismus genauso wie die Literatur, von dieser Zusammenarbeit profitieren. Die Afrika-Reportagen von Denis Johnson (In der Hölle. Blicke in den Abgrund der Welt) sind hierfür ein exzellentes Beispiel. Dazu aber müssen die Schriftsteller ab und zu ihren Schlafanzug ausziehen und vor die Tür gehen. Nicht nur im Geist.