Ich hatte natürlich schon gehört, dass es nicht gerade leicht ist, in Berlin eine Wohnung zu finden. Aber wie schwer es dann wirklich sein würde, auch nur ein WG-Zimmer auf Zeit aufzutun – das konnte ich nicht ahnen.
Ich komme aus Maribor in Slowenien, aus einem kleinen Land, das viele Leute gar nicht kennen oder mit der Slowakei verwechseln. In Berlin wollte ich ein Praktikum machen. Und ich begann mit der Zimmersuche schon zwei Monate vor meiner Ankunft. Gleich nach dem ersten Kontaktversuch im Internet kam eine verblüffend positive Antwort: Angelo aus Spanien schlug vor, dass ich kostenlos bei ihm wohnen kann, wenn wir zusammen Yoga machen und seine Pflanzen pflegen. Er erklärte mir, dass er eine „aufgeschlossene, nette, liberale Partnerin-Mitbewohner
itbewohnerin“ sucht, „eine unkomplizierte Frau, die freundlich, sympathisch und ordentlich ist“. Sich selbst beschrieb er als „Mann, 35 Jahre alt, 177 Zentimeter groß, 70 Kilogramm schwer, kreativ, optimistisch, minimal chaotisch, aber durchweg sehr gepflegt und sauber“. Er wollte mir auch Gitarrespielen und Karate beibringen. Ein Versuch, mich zu verführen?Nach 50 weiteren E-Mails auf andere Inserate kam endlich eine weitere Antwort, von Jennifer. Dass sie auf Englisch schrieb, fand ich erst gar nicht so merkwürdig, schließlich hatte ich mich für einige international besetzte WGs beworben. Die Bilder, die sie mir von der Wohnung mailte, machten mich aber stutzig. Wozu brauchten zwei Leute zwei Badezimmer?Ab Vegetarier aufwärtsJennifer schrieb auch, dass sie gerade in Indien sei und unglücklicherweise ihre Schlüssel mitgenommen hätte, deshalb solle ich erst einmal zwei Mieten überweisen, dann schicke sie mir einen Schlüssel per Post. Sie fragte nach verschiedenen persönlichen Daten von mir, um schon mal einen Vertrag vorzubereiten. Ich schlug vor, dass wir uns auf Skype treffen, ich wollte wissen, wer sie war. Jennifer reagierte nicht mehr. Ich bekam dann noch etwa zehn andere Nachrichten, alle auch auf Englisch, alle mit ähnlichen Geschichten. Mir wurde klar: Das ist eine ganz typische Betrugsnummer. Vielleicht hält man mich ja, weil ich Ausländerin bin, für einen besonders leichten Fang.Dass einige WG-Inserate ziemlich schräg bis ausgeflippt formuliert waren, hat mich zunächst nicht gestört. Berlin soll gerne ausgefallen sein, das ist ja auch sein Ruf. Aber viele potenzielle Mitbewohner schrieben, man solle mindestens Vegetarier sein, um bei ihnen einzuziehen. Ziemlich intolerant von Leuten, die gegen Tierquälerei kämpfen und sich als offen und freundlich beschreiben. Andere vermittelten ihr Lebensmotto mit der Formel „Alles kann, nichts muss“. Ich hab das mal gegoogelt: Swinger-Jargon. Was hat das in einer WG-Anzeige zu suchen?Nach etwa 100 weiteren Anfragen meinerseits kam eine Nachricht mit einer ganz anderen Bedingung: Dass ich einziehen könne, wenn ich keinen Besuch bekäme. Was machte ich nur falsch? Was erwarteten die Berliner von mir? Ich hatte meine Hobbys angegeben: Tanzen und Tischtennisspielen. Vielleicht sollte ich mich cleverer beschreiben? Oder verrückter? Inzwischen bin ich sicher, ich wäre erfolgreicher gewesen, wenn ich einfach irgendetwas gegen die USA oder den Kapitalismus geschrieben oder von selbstgezüchtetem Salat geschwärmt hätte.Der NacktskyperDabei hab ich doch alles richtig gemacht! Ich grüßte die Empfänger mit Namen. Auch wenn sie ein Stichwort wie „Paris“ in ihrer Anzeige versteckt hatten, um sicherzugehen, dass man ihre Zeilen auch richtig durchgelesen hat, habe ich das nicht verpasst, sondern darauf reagiert. Ich bekam dann auch einige Freundschaftsanfragen auf Facebook, aber nie ging es dabei ums WG-Zimmer.Dann kam Lisa. Oder Oli. Ich bin heute nicht sicher, ob es überhaupt zwei Personen waren oder nur eine einzige: ein perverser Typ mit langen blonden Haaren. Lisa hat mir ein paar nette Nachrichten geschickt, und wir haben uns zum Skypen verabredet. Plötzlich hatte sie aber kein Zeit mehr dafür. Ich sollte stattdessen ihren Mitbewohner Oli anrufen, der sei bloß gerade unter der Dusche. Ich wartete ungefähr eine halbe Stunde und rief diesen Oli an.Auf dem Bildschirm erschien ein nackter Mittvierziger. Zum Glück saß er an einem Tisch. Ich war geschockt. Dachte dann aber: „Sei locker, Jana, frag ihn, ob ein Gespräch etwas später nicht besser wäre.“ Nein, alles kein Problem, fand Oli. „Ich geh mich mal anziehen“, sagte er und stand auf. Nackt wie er war. Vor der Skype-Kamera. Er ging in ein anderes Zimmer. Während meines Studiums in Ljubljana hatte ich zwei Jahre lang mit fünf Jungs zusammengelebt. Ich kenne männliche Marotten. Aber jetzt saß ich doch so gut wie sprachlos vor dem Rechner. Nach ein paar Sekunden schon kam der Typ zurück, noch immer entblößt – nun mit einem erigierten Penis. Ich schloss das Programm, blockierte seinen Benutzernamen und brüllte meinen Computer an. Ich dachte an eine Redensart über Berlin, die ich von einem Freund habe: „Warum soll ich eine Therapie machen, wenn ich nach Berlin ziehe und sowieso wahnsinnig bleibe?“ Vielleicht hatte ich auch nur Pech. Nach ungefähr 200 E-Mails, die alle ohne brauchbares Ergebnis blieben, beschloss ich, zu meinen slowenischen Gewohnheiten zurückzukehren, zu der uralten Methode: „Wer kennt jemanden, der jemanden kennt?“ Außerdem war mittlerweile klar: Ich suche kein Zimmer in einer Wohngemeinschaft mehr, sondern gleich eine eigene Wohnung.Das Unfassbare geschah: Es dauerte zwei Wochen, bis ich eine schöne 42-Quadratmeter-Wohnung am Alexanderplatz fand. Sie kostet zwar 50 Euro mehr, als ich ursprünglich eingeplant hatte. Aber ich bin sehr glücklich, dass ich sie habe. Jetzt bin ich selbst die verrückteste Person im Haushalt. Was auch immer das bedeutet in Berlin.
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