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Nicht in Berlin Im slowenischen Maribor wird wie jedes Jahr um das Lent-Festival gekämpft. Aber wer soll hier wen retten?
Ausgabe 24/2015

Alles oder nichts, wie immer. Wird es diesmal stattfinden, das Festival Lent? Das größte internationale Open-Air-Festival Sloweniens und eines der größten in Europa. Aber zwei Wochen bevor es losgehen soll, weiß man kaum etwas über das Programm. Nur dass es dieses Mal 9 statt 16 Tage dauern soll.

Willkommen in Maribor. Die zweitgrößte Stadt Sloweniens galt mal als ein jugoslawisches Manchester, im 19. Jahrhundert wuchs die Industrie, Eisenbahnwerke und Metallunternehmen entstanden. 2012 dann wurde Maribor Europäische Kulturhauptstadt – wegen des Festivals, Maribors Tor zur Welt. Schon damals stand es auf wankenden Füßen. Wegen der Wirtschaftskrise hatte man den Etat von 50 Millionen auf acht Millionen Euro heruntergesetzt. Und gerade war zu hören, dass der bislang größte Sponsor des Festivals, eine örtliche Bank, bald privatisiert wird. Wer soll dann nächstes Jahr einspringen? Trotz allem sind auch in diesem Jahr die lokalen Politiker die Lautesten, wenn es um die Festlegung des Programms geht. Sie wollen mehr Einfluss. Denn so was kann hier Wahlen entscheiden. Im vergangenen Herbst kandidierten in Maribor rekordverdächtige 17 Kandidaten für das Amt des Bürgermeisters. Das bedeutete 17 verschiedene Ideen, wie es mit dem Festival weitergehen soll.

Phönizisches Geschäftsblut

Dragan Bosnić zum Beispiel unterrichtet eigentlich als Biologielehrer am Gymnasium, in seiner Freizeit betreibt er ein bisschen Politik. Er wollte die Feuerwerke abschaffen, die seien viel zu umweltschädlich. Was er nicht verstanden hat: Wer nach Maribor zum Festival kommt, der will sich darüber beschweren, wie bescheuert Feuerwerke sind, und dann 15 Minuten in den Himmel schauen und „Aaahh“ machen.„Wenn das Festival Profit macht, dann sollten wir es auch finanzieren“ – diese absurde Forderung erhob in der Zeitung Večer der Kandidat der grünen Koalition, Melqart Mohamad Berro, der von sich sagt, er trage „phönizisches Geschäftsblut“ in sich. Berro stammt ursprünglich aus dem Libanon. Der Kandidat der Christdemokraten wollte rund um das Wahrzeichen des Festivals – die schwimmende Bühne auf der Draue – einen neuen Stadtstrand bauen. Keine Vision schien groß genug, wenn es darum geht, etwas zu retten, für das viele in Maribor ihren Jahresurlaub einplanen. Inzwischen steht fest: Die 200.000 Euro teure Bühne auf dem Fluss wird es in diesem Jahr nicht mehr geben.

Die Bürgermeisterwahl gewann Andrej Fištravec, ein Doktor der Soziologie, der nun schon in zweiter Amtszeit regiert. Fištravecs Aufstieg hatte 2012 im Zuge der größten Protestbewegung in der Geschichte des unabhängigen Sloweniens begonnen. Damals gingen die Einwohner von Maribor gegen eine korrupte politische Elite – zu der auch sein Vorgänger gehörte – auf die Straße. Den Ausschlag hatten dessen Pläne für ein Radarnetz in öffentlich-privater Partnerschaft gegeben. Nur einen Tag nach Inbetriebnahme registrierten die Blitzer 5.000 Verstöße. Die Bürger sprachen von einer „Radar-Invasion“, von den Strafen profitierte die Privatfirma. Die meisten Blitzer wurden von den Menschen abgebrannt und sonst irgendwie zerstört. Einer der lautesten Protestierer war damals der ehemalige Universitätsprofessor Andrej Fištravec. Als Ende 2012 Maribors Jahr als Europäische Kulturhauptstadt zu Ende ging, tönte er lautstark: „Es kann nicht sein, dass in der Europäischen Kulturhauptstadt die Kultur vor dem Kollaps steht.“ Wie ironisch das heute klingt. Jetzt ist er es, der dem Festival Lent das Geld verweigert.

Ray Charles auf dem Schloss

Und die Einwohner? Sie wollen ihre Probleme vergessen und sich zwei Wochen lang der Illusion hingeben, in einer kosmopolitischen Stadt zu leben. Macy Gray war da, Eric Burdon, Ray Charles. Und es kommen ja auch Bewohner der Steiermark, vor allem wegen der Weine. In jeder Maribor-Familie gibt es mindestens einen Winzer. In Lent, dem ältesten Stadtteil von Maribor, wächst die älteste Rebe. Der Name stammt vom deutschen Wort landen, weil im Mittelalter am Lent ein Hafen für Flößer lag. An diese Tradition wird jedes Jahr beim Festival mit Sprüngen in die Draue erinnert. Man kann sich an so etwas klammern.

Anfang der 90er Jahre war Slowenien unabhängig geworden und ein aufstrebendes Mittelmeerland (ja, Slowenien hat einen Küstenstreifen an der Adria). Lange schien es, als könnte die Finanzkrise dem Land nichts anhaben. Bis 2012 mehrere Staatsbanken pleitegingen und das politische System zusammenkrachte. Bis heute hat Slowenien sich davon nicht erholt, und auch in Maribor herrscht Perspektivlosigkeit. Meine Freunde, mit denen ich beim Lent meine erste Rum-Cola für 100 Tolar (etwa 50 Cent) in einer heruntergekommenen Kneipe getrunken habe, sind längst wegen der hohen Arbeitslosigkeit ausgewandert. Damals, Mitte der 90er, war es uns egal, ob wir B. B. King oder Ray Charles beim Festival hören konnten. Hauptsache, wir mussten erst mit dem letzten Bus um halb elf nach Hause fahren. Dass Ray Charles 1996 hier war, weiß ich, weil mich ein Mann vor ein paar Tagen auf ein Zimmer in der Lenter Schlossruine führte. Hier, sagte er stolz, habe the genius damals nach seinem Konzert noch ein paar Lieder gespielt.

Währenddessen bereitet sich Maribor auf den Ernstfall vor. Tone Partljič, einer der bekanntesten slowenischen Schriftsteller, hatte vergangenes Jahr erklärt: „Maribor wird ohne das Festival Lent auskommen, aber auf der europäischen Landkarte kommt es dann nicht mehr vor. Es wird dann eine Stadt der Straßensänger mit Harmonika und einem Hut für Bettelmünzen sein.“ Aber wäre es wirklich so schlimm, wenn das Festival ausfällt? Endlich wäre Platz für alternative Projekte. Man könnte ein Haus besetzen, und dort Künstlerateliers oder einen Salon gründen. Man könnte Kunst im ehemaligen Casino ausstellen. Oder eine neue Rockbühne im versteckten Turm beim Hauptbahnhof errichten. Wie in Berlin eben. Nur so als Idee.

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