Politische Partizipation per Facebook-Post

Meinungsbildung Während die Kanzlerkandidat*innen via Facebook & Co mit glänzenden Auftritten um Fans buhlen, findet die digitale politische Meinungsbildung auf privaten Kanälen statt.

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Die Profile von Facebook, Instagram und Co der Kanzlerkandidat*Innen repräsentieren sachlich die lupenrein inszenierte Social-Media-Arbeit professioneller Berater*Innen. Währenddessen politische Meinungsbildung auf privaten Kanälen dezentral ohne Presse, Partei und Interessenverband stattfindet. Authentisch und offen raus von Menschen, die aus eigener Not Initiative ergreifen und aktiv Politik gestalten. Mit Erfolg.

Politik zwischen Lack und Leder

Von Fetisch bis Orthopädisch: In der Korsett-Manufaktur auf Berlins angesagter Torstraße schneidert Tonia Merz seit 19 Jahren mit fünf Angestellten Korsetts. Neben der Auszeichnung der Modezeitschrift “Vogue” klebt hoffnungsvoll ein “Grundeinkommen jetzt”-Aufkleber. Im März 2020 startete die Unternehmerin ihre Petition “Mit dem Grundeinkommen durch die Coronakrise!”. Was mit einem Facebook-Post für Freunde begann,führte zu knapp einer halbe Million Unterschriften für ein bedingungsloses Grundeinkommen während der Pandemie. Ganz ohne PR-Expert*innen, kostspielige Berater*innen oder Werbebudgets. Mit Erfolg: Merz wird zur beliebten Interviewpartnerin der Politpresse. Das Thema in den Medien präsent. Ausgang ungewiss. Ein Fall politischer Partizipation par excellence.

Vom Facebook-Post zur Pflege-Rebellion

Ähnlich verhält es sich bei der Berliner Pflegekraft Nina Böhmer. Mit Schreckensbildern der italienischen Corona-Toten vor Augen klatschten die Deutschen im Frühjahr 2020 von ihren Balkonen Pflegekräften für ihren Einsatz Beifall zu. Während Böhmer ihre nächste Schicht antritt.

Mit ihrem Facebook-Post “Euren Applaus könnt ihr euch sonst wohin stecken” schildert die Zeitarbeiterin die miserablen Arbeitsbedingungen. Ähnlich wie bei Merz folgen Fernsehauftritte, Interviews und die Veröffentlichung ihres Bestsellers.

Jetzt, ein Jahr später kämpfen Beide weiter. Merz erklärt: “Dass ich in die Politik gehe, war nie mein Ziel. Gesellschaft gestalten, indem ich offen anspreche, was in der Politik totgeschwiegen wird, schon.”

Böhmer ist mittlerweile für “Die Partei” auf der Berliner Landesliste im Rennen und feuert weiterhin per Facebook zur Rebellion an.

Der Blinde Fleck: Digitale Meinungsbildung von unten

Während die “kleinen Leute”, namens Merz und Böhmer mutig Meinung machen, buhlen die Kanzlerkandidat*innen mit glasklaren Social-Media-Strategien weiterhin um Fans und Follower. Blind dafür, dass die wahren Taktgeber*innen ohne steinige Parteikarriere, fernab etablierter Interessenverbände in einem dezentralen Mediensystem die gesellschaftspolitische Agenda bestimmen - der demokratischen Grundordnung stets wohlgesonnen. Dabei wäre jetzt ein offenes Auge für politische Meinungsbildung aus den Kreisen der Bevölkerung und der Dialog umso wichtiger. Denn es ist wohl kaum wünschenswert, wenn intransparente verfassungswidrige und demokratiefeindliche Aktivisten per Facebook-Post die politische Agenda bestimmen.

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Geschrieben von

Jana Kaminski

Politik . Kultur. Gesellschaft.

Jana Kaminski

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