Inzwischen haben es wohl alle gemerkt: Mit Claudia Neumann hat das ZDF eine weibliche Live-Kommentatorin für Nationalspiele im Reporterteam. Nicht erstmals, denn sie kommentierte bereits 2016 Spiele der Herrenfußball-EM. Trotzdem ist die Empörung so groß, dass auch die Twitter-Welt jenseits des Fußballs davon Wind bekommt: Timelines und Kommentarspalten schwellen mit frauenfeindlichen Wutausbrüchen an. So stark, dass das ZDF während der Arbeit der Reporterin extra mehr Social-Media-Redakteure zur Moderation vor die Computer setzen musste – man war vorbereitet. Schließlich zeigte der Sender zwei Nutzer für ihre Hass-Posts an, wohl um ein Zeichen zu setzen, strafrechtlich relevant dürfte weit mehr Material sein.
Forderungen anderer Zuschauer, Neumann jetzt erst recht das Finale kommentieren zu lassen – gewissermaßen als Erziehungsmaßnahme –, erteilte der Sender jedoch eine Absage: „Wir wollen und werden keine Geschlechterdiskussion führen“, erklärte Thomas Fuhrmann, Sportchef beim Zweiten. Es gelte der Leistungsgedanke, und außerdem habe man „unter den Reportern natürlich auch eine gewisse Rangfolge“. Zwei Wochen zuvor hatte Fuhrmann gegenüber der Süddeutschen noch erklärt, das Finale sei bislang nicht gesetzt. Es wird nun von Béla Réthy kommentiert.
Rechtes Bauklötzewerfen
„Geht länger zur Schule!“, kommentierte Neumann selbst die sexistischen Anfeindungen in einem Interview mit der Zeit: „Bildet euch weiter, erweitert euren Bewusstseinshorizont, dann lernt man auch, andere Haltungen zu tolerieren.“ Schreckt das ZDF nun davor zurück, Versäumnisse von Eltern und Lehrern auszubügeln, oder darf man der Beteuerung glauben, es gelte nur Qualität? Klar ist, dass ein nicht unerheblicher Teil der Menschen in diesem Land (und nicht nur hier) auf jeden Versuch, ihm die mangelnde Erziehung hinterherzutragen, reagiert wie ein Kind in der Trotzphase: von Bauklötzchenwurf bis zur Gründung einer völkischen Partei, die die wissenschaftliche Lehre über Geschlechterverhältnisse als „Genderwahn“ abtut.
Ein User kommentierte in einem Forum einer größeren Wochenzeitung jüngst zur Causa Neumann: „Wo kommen wir denn bitte hin, wenn man Frauen, in welcher Position auch immer, nicht mehr kritisieren darf, weil einem sofort Sexismus vorgeworfen wird?“ Zack, Täter in Opfer verkehrt. Denn die Frage lautet doch: Wo kommen wir denn bitte hin, wenn Frauen, in welcher Position auch immer, sofort sexistisch angegriffen werden? Natürlich darf man Menschen für ihre Arbeit kritisieren. Wenn man das aber innerhalb eines sexistischen Shitstorms tut, findet diese Kritik nicht in einem neutralen Raum statt. Und das liegt nicht an denen, die den sexistischen Shitstorm kritisieren, sondern an denen, die ihn lostreten.
Doch was sind das eigentlich für Leute, die ihn initiieren? Wer ist für Posts wie „Neumann sollte lieber beim ZDF den Flur wischen“ bis hin zu Vergewaltigungsandrohungen verantwortlich? Laut einer aktuellen Civey-Studie beurteilen immerhin über zwei Drittel der Menschen im Land weibliche Kommentatorinnen bei Fußballspielen als positiv, nur 12,4 Prozent negativ, davon ganze fünf Prozent „sehr negativ“. Wir haben es also mit einer krassen Minderheit zu tun, die es jedoch vermag, wesentlich größer zu erscheinen, als sie ist.
Mit perfektem Timing haben das Institute for Strategic Dialogue und der Verein „ichbinhier“ nun eine aktuelle Studie zum Phänomen des Internet-Hasses vorgelegt. Darin heißt es, dass etwa im vergangenen Januar nur 0,02 Prozent der monatlichen Facebooknutzer für 50 Prozent der Likes bei Hasskommentaren verantwortlich waren. Durch die Klicks auf die „Gefällt mir“-Angabe werden Beiträge in der Kommentarspalte nach oben gespült, erscheinen relevanter und werden dadurch fast als „Volkes Stimme“ wahrgenommen.
Zuletzt ist die schiere Anzahl der Hassbeiträge zudem massiv angewachsen, während die Anzahl der dafür verantwortlichen Nutzer konstant geblieben ist, wie FORSA herausfand. Selber Hasskommentare zu verfassen, das geben noch immer nur ein Prozent der Nutzer an. Besonders viele Liker stammen, laut der ersten Studie, aus Sympathisantenkreisen der AfD, sehr aktive Konten aus denen der Identitären Bewegung (IB). Der Facebookseite der IB nahestehende Konten traten dabei konstant koordiniert auf, das heißt: Ein Shitstorm ergibt sich nicht einfach aus lauter WM-Zuschauern, die eine Frau – aus frauenfeindlichen oder aus legitimen Gründen sei jetzt einmal dahingestellt – kritisieren, sondern kann das Ergebnis eines geplanten, koordinierten IB-Anschlags auf eine Frau im Netz sein.
Laute Frauen: nervig!
Ob dies bei Neumann der Fall war, ist bislang nicht geklärt. Zumindest der Verdacht liegt nahe, dass auch hier aktivistisch koordinierter Hass aus der rechtsradikalen Blase dafür gesorgt hat, dass wir überhaupt darüber diskutieren, ob eine Frau im Jahr 2018 ein Herrenfußballspiel des Nationalteams kommentieren darf. Und dass bei Spiegel Online entsprechend ein Sprachforscher und Arzt erklären darf, dass es „einige als nervig empfinden können“, wenn Frauen rufen, da diese „höher und schriller“ klängen. Das wusste übrigens auch das Wahlkampfteam von Hillary Clinton, das die gescheiterte Präsidentschaftskandidatin darauf getrimmt hatte, gegen Donald Trump niemals ebenso laut zurückzuplärren. Ihr wäre negativ ausgelegt worden, was wir, sozialpsychologisch gesprochen, ihm ohne Weiteres zugestehen.
Die rechtsradikalen Trolle greifen insofern nur auf, was tief unterhalb des Lacks der Zivilisation in uns allen schlummert: ein leichter Hang, Frauen eigentlich so richtig nervig zu finden, erst recht, wenn sie den Mund aufmachen. Der oben zitierte User, der rechtmäßige Kritik an Neumann zu Unrecht als sexistisch denunziert fand, könnte durch die koordinierte Arbeit rechter Internet-Trolle in seiner Meinung bestärkt worden sein: Ganz normale Leute wie er dürfen Frauen gar nicht mehr kritisieren, ohne sofort als Frauenhasser durchs Dorf gejagt zu werden.
Warum wird leiseste Kritik am Geäußerten, die möglichen Sexismus anspricht, sofort als Zensur, als Verstoß gegen die Meinungsfreiheit empfunden – und gerade nicht als Inanspruchnahme eben dieser Freiheit? Zur rechten Gefühlswelt gehört das Empfinden, von unberechtigt Mächtigeren am laufenden Band über den Tisch gezogen zu werden. Wer als unberechtigt mächtig gilt, variiert je nach Thema. Häufig werden darunter jedoch Juden, Frauen, Homosexuelle, Transgender, Muslime oder Linke gefasst. Treten sie ohne die nötige Demut auf, schürt das Empörung. Im Juli 2018 zieht man mit so einer Haltung in der Sonntagsfrage mit der SPD gleichauf.
Neumann ist also mit jenen antifeministischen Mechanismen im Netz konfrontiert, denen sich viele Frauen gegenübersehen, die dort selbstbewusst auftreten. Ihr kommt jedoch noch etwas anderes in die Quere: die Nation. Denn wenn die WM ein großes Schaulaufen der Nationen ist, dann müssen – in den Augen konservativer männlicher Fußballfans – auch die Frauen auf ihre Position.
In der russischen Version von Facebook, „V-Kontakte“, diskutieren Männer aktuell über die Sexualmoral der Russinnen. Diese zeigten sich nuttig im Internet mit ausländischen Fußballfans, schliefen lieber mit ihnen, statt mit Russen Kinder zu zeugen – und seien eben: eine Schande für die Nation. Gucken die Nachbarn zu, müssen die eigenen Frauen einerseits attraktiver als die des Nachbarn sein, andererseits auch treuer – kein Zweifel soll aufkommen, wer männlicher ist und die geileren Frauen im Bett hat. Die von Männern dominierte AfD wirbt zur Fußball-WM der Herren ausgerechnet mit einem blauhaarigen Manga-Mädchen mit großen Brüsten, schmaler Taille und AfD-Pfeil als Haarklammer.
Neumanns Problem: Die Nation ist männlich, sie kann also nicht von einer Frau repräsentiert werden. Das gilt zuerst natürlich für die neue Rechte, die in der AfD und in der US-amerikanischen „Alt Right“ das Verhältnis von Nation, Mann und Frau längst offen diskutiert. Dabei nehmen Frauen eine verzwickte Doppelstellung ein: Einerseits sind sie wegen ihrer Gebährfähigkeit unumgänglich, wenn die Nation sich genetisch erhalten will. Andererseits sind sie der Nation dauerhaft ein Feind im Innern, weil sie sich von traurigen Kinderaugen zur Wahl von Einwanderung befürwortenden Parteien verlocken lassen. Sie sind zu weich und zu gefühlig, um die echten Anliegen der Nation zu vertreten, so der Diskurs. Erwähnt wird auch die Gefahr, dass Frauen, sollte das Land von feindlichen Truppen besetzt werden, sich sexuell auf den Besatzer einlassen, weil sie dessen Stärke sofort als erotisches Kapital anerkennen. Aber: Sie können nichts dafür, das ist eben ihre Natur.
Doch auch außerhalb der neuen Rechten spielt das Geschlecht der Nation eine Rolle. Vor zwei Jahren attestierte Tilmann Krause, leitender Feuilletonredakteur der Welt und damit des Rechtsextremismus unverdächtig, in seiner Kolumne: „Uns fehlt das erotische Verhältnis zur Nation.“ Denn: ImGegensatz zu Frankreich sähen sich die Deutschen als männlich. Krause ist Literaturkritiker und Frankreichkenner, wir können es ihm ruhig glauben. Er nimmt uns auf einen Spaziergang durch Berlin mit, vorbei an Statuen deutscher Nationalgestalten. Natürlich schiele man da zu den Franzosen (sic!), die für ihre Marianne „jeweils die schönste Frau einer Generation ausgesucht“ hätten. Überall weibliche Übergestalten, während man sich in Deutschland in den männlichen Wilhelms und Friedrichs gespiegelt habe. Fleisch und Haut, voller Busen, roter Mund, solche Sachen – alles bei den Franzosen. Die Deutschen: eine verkrampfte Nation. Nur beim Fußball könnten sie sich selbst feiern, so Krause, aber: „wieder eine rein männliche Angelegenheit.“
Das gute französische Krisenmanagement schließlich, so Krause, muss mit dem Geschlecht der Nation zu tun haben: „Wenn man bedenkt, wie fantasievoll sich Frankreich gerade im Angesicht seiner Krisen immer wieder selbst inszeniert, seinen Glauben an sich, sein Vertrauen auf die eigene Kraft: Dann kann man sich schon die Frage stellen, ob das nicht auch damit zu tun hat, dass es in der Lage ist, die eigene Nation als Lustobjekt zu betrachten.“ Nun, wer ist in der Lage, eine vermeintlich weibliche Nation als Lustobjekt zu betrachten? Wer sucht die Marianne aus, wer hat ein erotisches Verhältnis zu all diesen Frauen und wer ist dann eigentlich „die Nation“?
Neumann muss sich nicht nur der Herausforderung stellen, eine Fußball-WM der Herren live zu kommentieren. Sie kommentiert dabei auch gegen die Geschlechterbilder einer Nation an.
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