Bleibt Blaukraut

Kleidung Johanna Dombois verwebt Text und Textil zu einer tollen Textur
Ausgabe 50/2018
Liegen gebliebene Rettungswesten angekommener Geflüchteter auf der griechischen Insel Lesbos
Liegen gebliebene Rettungswesten angekommener Geflüchteter auf der griechischen Insel Lesbos

Foto: Angelos Tzortzinis/AFP/Getty Images

Johanna Dombois hat Literatur und Theater, aber auch Kostümkunde studiert. In ihren neuen Texten bringt die in Deutschland und Griechenland lebende Publizistin die drei Disziplinen kunstfertig zusammen: den Text, die Performance, die Kleidung. Wenn sie anhand der Rettungswesten das Ankommen der Kriegsflüchtlinge in Griechenland erzählt, bedient sie sich einer Kulturtechnik, die man seit dem sogenannten Material Turn in vielen Geisteswissenschaften findet: Sie rückt die Dinge in den Mittelpunkt und betrachtet sie als Träger von Wissen über die Gesellschaften, die sie herstellen, verwenden und sich wieder von ihnen trennen – wie im Falle der entsorgten Rettungswesten.

Dass die Westen ein Wesen haben (oder selbst Wesen sind?), zeigt, dass sie nicht einfach nur Objekte sind. Stellenweise zeigt Dombois das subversive Potenzial der Mode auf und ermächtigt sie so zu einer Art politischer Akteurin. „In Wahrheit“, schreibt sie, „ist natürlich kein Mensch nur Kern und kein Kleidungsstück nur Schale.“

Mit Verve überbrückt sie die Distanzen zwischen Guatemala und Athen, Kassel, Lesbos und Smyrna, Meer und Himmel. Immer wieder kreuzen Flüchtlinge die Wege der Beobachterin. Dass sie sich so oft an Transitorten wiederfindet, ist kein Zufall. Für Michel Foucault etwa war das Schiff die Heterotopie par excellence. Der Ethnologe Marc Augé wiederum nannte den Flughafen als typischen Nicht-Ort, als Ort ohne Geschichte und gewissermaßen ohne Eigenschaften.

Wenn Dombois sich an die Abflüge vom Flughafen Tempelhof erinnert, dann denkt sie auch an Unterkünfte, die im ehemaligen Hangar entstanden sind – für Menschen, die bloß nicht weg, sondern bleiben wollen, die schließlich bereits „eine pervertierte Form von Reise hinter sich haben“. Schicht um Schicht legt sie den Zynismus frei, den sie auch hier in der Sprache findet, mit der die Umstände benannt, oft aber eher schöngefärbt werden. Da ist etwa die Tempelhofer Freiheit, die eben nicht allen das gleiche bedeutet. Oder die Tempohomes, so heißen die Notunterkünfte, häufig behelfsmäßig errichtete Containerdörfer. Dombois fragt sich und uns, ob „house“ nicht angemessener wäre als „home“.

Würmer im Gewebe

Die documenta 14 und ihr künstlerischer Leiter, Adam Szymczyk, wurden beileibe nicht geschont, was Kritik an Konzept und Umsetzung angeht. Johanna Dombois gerät mit ihren Anmerkungen nicht in die Wiederholungsschleife. Unter den Installationen, die 2017 im Rahmen der documenta im öffentlichen Raum Athens gezeigt wurden, war keine einzige von griechischen Künstler*innen. Dombois kippt den Blick nur minimal, um das aus der Geschichte Herausgeschriebene zu sehen: „Doch erscheinen die Auslassungen immerhin im Spotlight all der Textilfirmen und Stofflager, die sich nach mehr als einem Jahrhundert des gewerblichen Niedergangs wieder in Metaxourgio angesiedelt haben – überall sieht man Draperien, Kurzwaren, Kunstpelze, Berufskleidung und Posamenten.“ Anders als so viele kritische Stimmen zur documenta schafft sie einen doppelten Perspektivwechsel: Nicht nur schaut sie an, was nicht ausgestellt ist, sie betont auch die Rolle der Betrachtenden, wenn es darum geht, die fehlenden Querverbindungen selbst herzustellen.

Dann ist da noch die Gegenüberstellung von Brautkleid und Totenhemd, bei der Letzteres besser wegkommt. Einfach, weil es dank munterer Würmer im Gewebe lebendiger ist als so ein unbewohnter weißer „Brummer in den Schränken der Frauen“, der bloß einmal zum Einsatz kommen darf, egal, wie oft man heiratet.

Dombois‘ Annäherung an ihren – Verzeihung – Stoff ist immer auch sprachspielerisch. Da imaginiert sie etwa die Fähren auf der Überfahrt nach Piräus als Schiffchen im Webstuhl eines Titanen. Fast fällt es schwer, ihren assoziativen, anspielungsreichen Duktus nicht nachzuahmen und Vergleiche von Text und Textil, von weit ausgeworfenen Fäden und souverän gezurrtem Gewebe zu bemühen.

Info

Rettungswesen. Prosa Johanna Dombois Parasitenpresse 2018, 74 S., 12 €

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