Die Kraft, die uns am Boden hält

Reiseziel Mars Ulrike Schmitzers Roman "Es ist die Schwerkraft, die uns umbringt" handelt vom Sehnsuchtsort Mars. Er vereint wissenschaftliche Fakten mit großer Erzählkunst.

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Der Traum, die Erde zu verlassen, ist nicht neu. Wahrscheinlich ist er eine Art Fortsetzung des Traums, der schon die frühen Entdecker auf Reisen geschickt hat. Die Terra Nova unserer Zeit ist nicht Neufundland, der Südpol oder Vinland, unsere Terra Nova ist der Mars. „We are the Martians“, hat Ray Bradbury schon in den 1970er Jahren proklamiert. Jetzt steht die Besiedlung des Roten Planeten tatsächlich kurz bevor. In diesem Jahr noch werden vierzig Astronautinnen und Astronauten ausgewählt, die von einer privaten Stiftung rund um ein niederländisches Forscherteam ab 2025 nacheinander auf den Mars geschickt werden. Eine Rückkehr ist auf die Erde ist nicht vorgesehen: Wer sich für das Leben auf dem Mars entschließt und unter vielen anderen ausgewählt wird, wird dort bleiben. Auf der Website von „Mars One“ kann man die Menschen sehen, die die erste Kolonie mit aufbauen wollen. Die Marsmission wird als Medienereignis inszeniert; unten Popcorn, oben Astronautenkost. Wir, die Menschheit, haben noch eine Menge vor.

Ulrike Schmitzers soeben erschienener Roman „Es ist die Schwerkraft, die uns umbringt“ ist ein Buch über eine dieser Pionierinnen – und darum nicht so sehr Science Fiction, sondern vielmehr wissenschaftliche Wirklichkeit.

Was es bedeutet, einen Planeten zu besiedeln, hat Schmitzer gründlich recherchiert. Fakten über das Reisen ins All werden glaubhaft in die Erzählung eingeflochten.


http://www.editionatelier.at/tl_files/CONTENT/Buecher/Es%20ist%20die%20Schwerkraft/Schmitzer_Schwerkraft_Cover.jpgKira nimmt an langwierigen Tests und Prüfungen teil – um dann vielleicht eine sogenannte Isolationsstudie mitmachen zu können, bei der tausend Tage lang die Reise zum Mars simuliert wird. Unter anderem muss sie dafür drei Monate im Bett verbringen, wird in einer Zentrifuge gedreht, bis sie das Gefühl hat, die Fliehkraft würde ihr die Zähne ziehen, und sie soll die Haubenköche beurteilen, die Essen aus den neun Zutaten zubereiten, die in den Gewächshäusern der Marskolonie gezüchtet werden können. Manche Tests klingen wie Foltermethoden, andere wie Zeitvertreib. Ansonsten erforscht Kira Algen in einem Labor und sammelt in einem Notizbuch alles über fehlgeschlagene Raumfahrten, über „Astronautenfehler“, die wie ein Glossar am Ende des Buches angehängt sind.

„Sie sind eine hervorragende Wissenschaftlerin. Wir brauchen Sie da oben“, sagt der Mann, der sie für das Programm rekrutiert. „Mein Leben ist eine einzige Isolationsstudie“, denkt Kira. Bereits auf den ersten Seiten wird damit klar: Wer schon auf der Erde isoliert ist, braucht den Mars nicht so sehr zu fürchten. Oder umgekehrt: ein Sozialleben, Freunde und Familie, das wäre das Ende von Kiras Weltraummission. Das wäre die Schwerkraft, die einen auf der Erde hält. Kira hat aber nur noch ihren Vater, der in einem Pflegeheim im Sterben liegt. Die Idee, an etwas teilzuhaben, das größer als das eigene Leben ist, das sie als Teil eines Gründungsmythos unsterblich macht und vielleicht die Zukunft der Menschen für immer verändert, siegt. Kira wird zur „Schläferin“, die darauf wartet, ob sie eines Tages auf den Mars geschickt wird, oder ob vielleicht doch erst die nächste Generation dort siedeln wird.

Die Erzählung nimmt eine Wende ins Surreale und Traumwandlerische, als Kira einer Frau begegnet, die ihr wie ein Spiegelbild gleicht. Zoe ist ihre Zwillingsschwester. Das Motiv der Dopplung taucht schon früh im Roman auf, als es um die beiden Monde des Mars geht. „Wenn ich aus dem Fenster sehen werde, werde ich zwei Monde sehen: Phobos und Deimos. Es ist nur ein winziges Detail, aber darauf freue ich mich schon.“

Kurz nachdem sie von ihrer Zwillingsschwester erfährt, sich sogar mit ihr anfreundet, trifft Kira in der Bibliothek einen Tauchlehrer. Er verwickelt sie in einen Flirt, der intensiver ist, als es die flüchtigen Begegnungen erahnen lassen. Mit einem Mal sind da zwei Menschen in Kiras Leben, die ihr nahegehen – und sie muss ihr Leben von grundauf hinterfragen.

„Hic sunt dracones“, hier sind Drachen, hieß es auf frühen Weltkarten, dort, wo das bekannte Territorium zuende war und das Unentdeckte, Ungewisse anfing. Ein Platzhalter, der nichts anderes besagt als: Wir wissen nicht, was hinter dieser Grenze ist, kann sein, dass da was lauert. Neugier war schon immer ein gutes Mittel gegen die Furcht vor dem Unbekannten. Was uns auf dem Mars erwartet, werden wir sehen, irgendwann. Die Chancen stehen jedenfalls gut. Bis dahin kann man die Zeit in einer Zentrifuge verbringen, im Taucheranzug oder im Schlaflabor. Oder einfach ein richtig gutes Buch lesen.

Ulrike Schmitzer: "Es ist die Schwerkraft, die uns umbringt. Mit einem Lexikon der Astronautenfehler." Edition Atelier, Wien 2014. 168 Seiten. 18,95 (A). ISBN 978-3-902498-87-8

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