Schon eine List der Ironie, wenn jemand, dessen Name auf seinen Geburtsort verweist, später überall auf der Welt daheim ist. Der Schriftsteller und Journalist Lafcadio Hearn wurde 1850 auf der Insel Lefkada im Ionischen Meer geboren, als Sohn einer griechischen Adligen und eines irischen Militärarztes. Hearns Lebensgeschichte liest sich ein wenig wie ein Roman von Charles Dickens, nur skurriler, eigensinniger und vor allem exotischer. Seine Mutter ging mit ihm nach Irland, als er noch ein kleines Kind war – noch waren die Auswirkungen der Großen Hungersnot zu spüren. Der Vater fiel in Indien. Die Mutter verschwand sang- und klanglos und ließ ihn bei einer Großtante, die ihn weiter nach London schickte. Als Jugendlicher wechselte er zum ersten Mal seinen Namen: Aus Patricio Lafcadio Tessima Carlos Hearn wurde Paddy; ein Versuch, sich unauffällig in sein Umfeld zu fügen.
Mit 19 setzte er nach Cincinnati über und begann für den Daily Enquirer zu schreiben. Dass Hearn sich als Journalist und Essayist einen Namen gemacht hat, verdankte sich auch seinem Mut zum Unkonventionellen: „Hearn war einer der wenigen, die etwa über das Leben in den Ghettos, damals Levees genannt, berichtete. Etliche Texte, die er für Tageszeitungen schrieb, erregten die Gemüter konservativer Leser“, sagt Alexander Pechmann, der Hearns Prosa ins Deutsche übertragen hat. Andere Leser waren dafür umso mehr von seinen ungewöhnlichen, auch eigenwillig geschriebenen Reportagen angetan.
„I am pledging myself to the worship of the Odd, the Queer, the Strange, the Exotic, the Monstrous”, gelobte Hearn in einem Brief. Eine gewisse Exzentrik war auch ihm selbst nicht abzusprechen; er war nicht nur in Bezug auf seinen nomadischen Lebenswandel ein Grenzgänger. Ernsthaft Ärger eingehandelt hat er sich selten, aber seine illegale Heirat mit der Afroamerikanerin Alethea Foley endete mit seiner Entlassung beim Enquirer – und Hearn zog nach New Orleans, wo er weiter als Journalist arbeitete und sich für die kreolische Kultur (und Voodoo) zu begeistern begann. Er verbrachte auch zwei Jahre auf Martinique, zur selben Zeit, als Paul Gauguin dort gut 20 Gemälde anfertigte. Hearn erlebte die Karibikinsel als überbordende bunte Antithese zur verhassten grauen Skyline Manhattans, wo er ebenfalls mal gewohnt hatte.
Umkehr der Verhältnisse
Es ist noch keine zwei Jahre her, dass auf Lefkada das Lafcadio Hearn Historical Center eröffnet wurde. In Japan kann man sein Sommerhaus und in Irland einen nach ihm benannten Garten besuchen. Stefan Zweig und Hugo von Hoffmannsthal waren erklärte Bewunderer, der Kunstwissenschaftler Kakuzō Okakura schwärmte von Hearns „ritterlicher Feder“. Trotz dieser Referenzen ist Hearn bei uns kaum bekannt; am ehesten kennt man noch seine Sammlungen japanischer Geistergeschichten. Es mag sein, dass seine weit verstreute Biografie – und damit die Unmöglichkeit, dass eine Nationalliteratur Hearn für sich beansprucht – zwar sein Schreiben gefördert, die Erinnerung an ihn aber erschwert hat. Aber der Salzburger Verlag Jung und Jung hat sich zum Glück auf Hearn und sein literarisches Werk eingelassen: Nach dem Roman Chita ist jetzt Youma erschienen, die Geschichte einer Sklavin auf Martinique.
Die Titelheldin – die Bezeichnung ist hier ganz wörtlich gemeint – ist als schwarze Amme in einer weißen kreolischen Familie vor allem für die Betreuung der Kinder zuständig. Youma wurde auf dem Gut der Familie geboren, auf dem schon ihre Mutter eine Amme war. Sie scheint ein fester Bestandteil dieser Gemeinschaft zu sein. Das bedeutet nicht, dass die hierarchischen Gesellschaftsstrukturen keine Sollbruchstellen haben. Im Roman gibt es, stellenweise und zaghaft, eine Umkehr der Verhältnisse: „Die Dienerin war bekannter als die Herrin“, heißt es da, und Mademoiselle Aimée muss den Kopf in den Nacken legen, wenn sie ihrer Sklavin in die Augen sehen will. Youma ist erwartungsgemäß eine Schönheit, aber sie tritt im Roman auch als Handelnde auf. Und als Geschichtenerzählerin hat sie mehr Einfluss auf das kleine Mädchen Mayotte als alle Familienmitglieder zusammen. Youma wirkt oft so stark, dass man glatt vergessen könnte, dass sie nicht frei ist. Aber dieser Eindruck zerstreut sich im Lauf des Lesens, das Wechselspiel aus Selbst- und Fremdbestimmung bleibt nicht konfliktfrei. Der Code Noir, ein Dekret, das die Sklaverei in der französischen Kolonie legitimierte, galt seit 1685. Er hatte bis 1848 Bestand. Youma spielt zur Zeit einer gewaltigen politischen Wende.
Auch wenn Hearn betont, wie gut es einer da geht, scheint Kritik am System Sklaverei an vielen Stellen durch. Ihn als Aktivisten zu bezeichnen würde zu weit gehen. Ein völlig neutraler Beobachter ist er aber auch nicht. Dass der Roman nicht nur Youmas Geschichte erzählt, sondern auch nach ihr benannt ist, ist kein unwichtiges Detail. In einer Binnenerzählung – dem Märchen von Dame Kélément, das an eine kreolische Rumpelstilzchen-Version erinnert – geht es genau darum: um den performativen Akt, Menschen beim Namen zu nennen.
„Ich glaube, dass ich dort einen großen Teil meines Lebens verbringen werde“, schrieb Hearn an einen Freund, beeindruckt und begeistert von den Tropen, die er es für „das einzig Lebendige auf diesem sterbenden Planeten“ hielt. Eine Pockenepidemie hat seine Pläne durchkreuzt, 1889 bestieg er ein Schiff und kehrte zurück ins graue New York. Keine Überraschung, dass es dort nicht lang ausgehalten hat: Ein Jahr später kam Lafcadio Hearn nach Japan. Und blieb. Es heißt, er sei ein Japaner durch und durch geworden. Bei seinem Begräbnis 1904 auf einem Tokioter Friedhof waren sieben buddhistische Mönche, viele Japaner und gerade einmal drei Ausländer anwesend. Auf dem Grabstein steht Koizumi Yakumo: Hearns letzter Name.
Info
Youma Lafcadio Hearn Jung und Jung 2016, 140 S., 17,9o €
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