Emma Glass’ Debüt Peach ist im englischen Original eben erst erschienen, schlägt aber schon Wellen. Dazu gehört auch ein ordentlicher Entstehungsmythos. Ein Textentwurf soll schon ein paar Jahre in einer Schublade gelegen haben. Nach dem Studium in Kent ging die damals 21-jährige Glass jedoch zunächst zurück nach Wales, um dort als Intensivkrankenschwester auf einer Kinderstation zu arbeiten. Eines Tages seien die Sätze dann nur so aus ihr rausgefallen. Wenn man die rhythmisierte Prosa liest, weiß man sofort, was gemeint ist.
Der Roman beginnt mit einer Katastrophe. Peach wurde auf ihrem Heimweg überfallen und vergewaltigt. Zu Hause merkt niemand etwas. Die Eltern sind mit Peachs Babybruder und miteinander beschäftigt, Peach wünscht sich, mit dem Seifenschaum im Abfluss zu versinken.
Der Text nährt sich auch aus dem unverstellten Blick auf den menschlichen Körper, seine Funktionen und Aussetzer. Wie Peach sich selbst die Wunde zwischen ihren Beinen vernäht und anschließend zum Essen gerufen wird, wie sie mit dem Baby spielt, dieser Kraftakt, normal weiterzumachen, ist beinah physisch nachfühlbar. Das gilt auch für Peachs Angst und den Ekel, der sie immer wieder übermannt, weil der Geruch von verbranntem Fleisch untrennbar mit ihrem Vergewaltiger verknüpft ist. Um sie herum wird jede Menge Fleisch gegessen. Horror und Banalität liegen im Roman bisweilen sehr nah beisammen.
Die Autorin hat sich eine Menge zugemutet und zugetraut, stilistisch sowieso, mit ihrem Sujet nicht weniger. Sie findet eine Sprache für das Leid, das ihre Protagonistin internalisiert, und erzählt in einer Art Stream of consciousness konsequent aus Peachs Wahrnehmung heraus, auch weil sie mit niemandem über das, was sie erlebt hat, wirklich reden kann. „Sätze hetzen ziellos im Hirn. Streuen sinnlos Worte. Zerstreut.“
Vom Erzählen hält auch die Angst, damit zum „Opfer“ zu werden, die Protagonistin zurück. Die Dynamik des victim blaming wird mitgedacht, jedoch nicht so differenziert ausgearbeitet wie in einem anderen Roman: Peach ist nach Bettina Wilperts Nichts, was uns passiert (der Freitag, Ausgabe 10) das zweite Debüt in kurzer Zeit, das sich mit sexueller Gewalt auseinandersetzt und sicher auch als Beitrag zu aktuellen Debatten gelesen wird, gelesen in den Grauzonen und angesichts eines Backlashs, wo behauptet wird, dass man nun nicht mal mehr flirten dürfe, weil man ständig Gefahr laufe, ohne böse Absicht verschwommene Grenzen zu überschreiten.
Nur die Räume fühlen mit
Peach ist vergewaltigt worden, Fakt. Der Täter, ein „Riesentyp“ namens Maxe, terrorisiert sie immer noch mit Briefen, die sie in Stücke reißt. Seine Wut entlädt der Täter ausgerechnet an Grün, der mit seinen moosweichen Lippen, seinen ästelnden Armen und seiner sanften Liebe für das Mädchen so etwas wie ein Hoffnungsschimmer in der ganzen Geschichte ist. Als sie schließlich zurückschlägt – und wie! –, ist das weniger ein Racheakt als pure Selbstverteidigung. Nichts wird dadurch ungeschehen gemacht. Ihre Angst und ihre Verletzungen nimmt Peach mit in einen höhlenartigen Echoraum, in dem sich der Geruch von Fleisch „mit fürchterlichem Aroma fauliger Früchte“ vermengt.
Es ist eine große, existenzielle Einsamkeit, die von Beginn an in dem Text angelegt ist. Sabine Kray hat den Roman mit Gespür für seine intensive, körperliche Sprache übersetzt, dabei den Rhythmus genauso erhalten wie die assoziative Verspieltheit. Selbst an Stellen, wo eine Übersetzung auf Grenzen stößt – wie bei dem Wort pit, das Pfirsichkern oder Grube bedeutet, bei Emma Glass beides zugleich.
Wie man eine Vergewaltigung erlebt und verarbeitet, dafür eine Sprache zu finden, ist eine Herausforderung. „Ich glaube mein Lachen hat das leise betroffene Bad erschüttert“ – solche Sätze zeugen davon, wie allein Peach ist. Das Lebendigwerden von Gegenständen, Räumen, Körperteilen ist vielleicht der Wunsch, gesehen zu werden. Der Romanfigur Peach fehlt genau das: jemand, der hinsieht und mitfühlt.
Info
Peach Emma Glass Sabine Kray (Übers.), Edition Nautilus 2018, 128 S., 19,90 €
Die Bilder des Spezials
Zuerst ist da ein leeres weißes Blatt Papier mit unendlichen Möglichkeiten, bald findet sich darauf eine absurde Welt der Abstraktion. Zu sehen sind fiktive Gebäude, unendliche Tunnel, lauernde Treppen. Es gibt rätselhafte Hinweise. Nur: Nie führen diese zur Auflösung des Rätsels.
Die Illustratorin Pia-Mélissa Laroche, Jahrgang 1985, zeichnet surreale Welten. Sie will die Macht der Suggestion hinterfragen. Sie sagt: „Wie die Krypten der christlichen Kirchen oder Nabateans Gräber sind diese architektonischen Strukturen direkt in den Boden gehauen. Sie drängen sich durch Subtraktion auf, um unzerstörbar und mehr als je zuvor zu werden. Mit einer extremen Haltbarkeit trotzen die ,Hyper Residenezen‘ Zeit und Raum.“ Laroche lebt und arbeitet in Paris.
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