Aus 88 „Gesängen“ besteht das Lyrik-Debüt der österreichischen Schriftstellerin Lydia Haider. Dieses Gesangbuch kommt dem Duktus einer katholischen Messe nah, Lydia Haider ist in Oberösterreich geboren, und dort findet man schwer einen Flecken, auf den kein Kirchturm einen Schatten wirft. Es wäre leicht, den kürzlich in der Kölner Parasitenpresse erschienenen Gedichtband (auch) als religionskritische Abrechnung mit der katholischen Kirche zu lesen. Diese Vereinfachung – „Halleluja, du Trottel“ – geht jedoch nicht auf.
Haiders Romandebüt hieß Kongregation (Müry Salzmann 2009), wie der Zusammenschluss mehrerer Klöster also, und griff bereits biblische und liturgische Motive auf, der Plot: sieben rätselhafte Todesfälle von jungen Menschen erschüttern ein Dorf. Die „Kongregation“ bilden jedoch nicht katholische Amtsträger, sondern Jugendliche, die Slang sprechen und Alpha und Omega heißen. In ihrem literarisch-liturgischen Musikprojekt „Gebenedeit“ ist sie nicht Frontfrau, sondern Chefpredigerin. Zum Ingeborg-Bachmann-Preis, der erstmals und coronabedingt online stattfand, nachdem er schon abgesagt worden war, wurde Haider heuer von der Jurorin und Lyrikerin Nora Gomringer eingeladen, die als Christin in vielen ihrer Gedichte in einen offenen Dialog mit dem Glauben geht und keinen Hehl um ihr Bekenntnis macht, im Gegenteil. Ihr zuletzt erschienenes Buch Gottesanbieterin (Voland & Quist, 2020) geht noch einen Schritt weiter und stellt ihre persönliche Vorstellung von Religion und ihrer Wechselwirkung mit allem Diesseitigen in den Mittelpunkt. Es ist nur scheinbar paradox, dass ausgerechnet Nora Gomringer nun Lydia Haider zum traditionellen Klagenfurter Wettlesen eingeladen hat. So unterschiedlich die poetologischen Arbeitsweisen, die Images der beiden Autorinnen sind, auch ihre jeweilige Stellung im Literaturbetrieb – auf der inhaltlichen Ebene finden sie durchaus zusammen: Ihre beiden jüngsten Bücher kann man sich gut als Antagonisten vorstellen, die sich viel zu sagen und produktiv zu streiten hätten.
Du Haufen Faschiertes!
Der neu in die Bachmannpreis-Jury berufene Autor und Kritiker Philipp Tingler war sich nicht zu schade, die Autorin gleich zu Beginn der Diskussion recht naiv nach dem „Anliegen“ ihres Textes zu fragen. Tja. In Lydia Haiders Prosa fehlen oft wesentliche Referenzpunkte, und das ist auch in ihrer Lyrik der Fall. Gesänge zum Austreiben lautet der Untertitel des Buchs, aber wer wen austreibt, bleibt offen. Auch, wer adressiert wird. Ein „du“ gibt es, in der Regel wird es beschimpft: „du Haufen Faschiertes auf zwei Beinen“, „du Nachbeter“, „du fade Sau“. Dass die Bezüge mitunter schwer herzustellen sind, ist keiner dichterischen Unsauberkeit geschuldet. Lydia Haider setzt sich in ihrem Werk intensiv und kritisch mit der Sprache selbst auseinander. Ihre Texte klingen roh und unmittelbar performativ, und der heilige Ernst dieser Sprache wird mit verschiedenen Slangs, Jargons und dialektalen Einsprengseln kontrastiert. „Die Schrift hat gesprochen, Ende Gelände“, heißt es in einem der Gesänge. Das poetologische Konzept dahinter ist wohldurchdacht, von ihrem ersten Buch bis zum jetzt erschienenen Lyrikband zeichnet sich eine klare ästhetische Linie ab.
Lydia Haider vertritt die feministische Avantgarde Österreichs. Zugleich greift sie auf (Gegen-)Traditionen zurück: Der Vergleich mit Elfriede Jelinek liegt nah. Sie führt, wie auch die feministische Burschenschaft Hysteria, deren Mitglied sie ist, faschistoide Symbolik und Rhetorik vor – indem sie sie scheinbar affirmiert. Die Anti-Heimatliteratur hat in Österreich einen höheren Stellenwert als anderswo, spätestens seit Thomas Bernhard mit seinem Stück Heldenplatz zur Zeit der Waldheimaffäre (Kurt Waldheim, der seine Beteiligung an Kriegsverbrechen während des Zweiten Weltkriegs immer verschwiegen hatte, war von 1986 bis 1992 Bundespräsident der Republik Österreich) einen empfindlichen Nerv getroffen hat.
Insofern ist Lydia Haiders schriftstellerische Arbeit beides, sehr neu und dennoch klar in einem literaturgeschichtlichen Bezugssystem zu verorten. Wiens Verhältnis zum Tod wird gern romantisiert und ästhetisiert. Lydia Haiders Schreiben ist in Wien zu Hause und arbeitet sich ab an den schirchen Seiten der Stadt. Bei ihr ist der Tod tatsächlich grausig: „Es riecht nach frischen Maden hier in Wien. / Wie sollte es auch je nach andrem riechen?“ Das ist noch eine der weniger ekelerregenden Passagen, wie bei Elfriede Jelinek gibt es keine Scheu vor dem Abstoßenden, Vulgären und Obszönen.
Die Sprache und ihr Gegenstand halten das gleiche Aggressionsniveau: Manche Passagen sind ähnlich drastisch wie der Prosatext, den sie beim Bachmannpreis vorgetragen hat, eine Erzählung über einen bissigen Hund, eskalierend in einem kollektiven menschlichen Gewaltausbruch. Das alles ist, um es auf Wienerisch zu sagen, oag. Es ist auch eine Form der literarischen Intervention: Haider nimmt den stramm Rechten und ihren bürgerlichen Unterstützer*innen ihr wichtigstes Instrument, ihren sprachliche Duktus. Beim Bachmann-Wettlesen gab es dafür keinen Jurypreis (Nora Gomringer hat ihr jedoch, auf Facebook, trotzdem eine Laudatio gehalten). Aber das Publikumsvoting hat die 34-jährige Lydia Haider für sich entscheiden können. Nun wird Haider Stadtschreiberin von Klagenfurt. Manche Auszeichnungen sehen von außen eben wie eine Strafe Gottes aus.
Info
Wort des lebendigen Rottens. Gesänge zum Austreiben Lydia Haider Parasitenpresse 2020, 40 S., 10 €
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