Recherche ist alles

Krimi Eva Rossmann lässt ihre Mira Valensky zum 20. Mal ermitteln. Das Schreiben von Krimis empfindet sie als politisch
Ausgabe 45/2019
Der während einer Flut im Jahr 2008 unter Wasser stehende Piazza San Marco in Venedig – eine wichtige Ausgangsszene in Eva Rossmanns Roman
Der während einer Flut im Jahr 2008 unter Wasser stehende Piazza San Marco in Venedig – eine wichtige Ausgangsszene in Eva Rossmanns Roman

Foto: Andrea Pattaro/AFP/Getty Images

Da kann man zum Jubiläum schon mal einen besonders guten Veltliner köpfen: Eva Rossmann hat den zwanzigsten Krimi um ihre Ermittlerin, die Journalistin Mira Valensky, geschrieben. 1999 gab es den ersten, Wahlkampf, jedes Jahr kam ein neuer hinzu. Ihre eigene journalistische Karriere hat die Autorin längst an den Nagel gehängt – sie hatte das Wiener Büro der Oberösterreichischen Nachrichten geleitet, war auch für den ORF und die Neue Zürcher Zeitung tätig, hat über Innenpolitik und Europapolitik berichtet.

Ihr Leben lang wollte sie das nicht machen: „Da wäre ich zynisch geworden, oder deppert. Es gibt so Heldinnen, die schaffen das, aber mir wäre das auf Dauer nicht gut bekommen.“ Dann kam Mira Valensky. Ganz richtig ist es aber nicht, wenn man jetzt nur mehr die Schriftstellerin sieht und die Journalistin und Sachbuchautorin gar nicht mehr. Für ihre Bücher recherchiert sie enorm viel, dafür investiert sie auch schon mal mehr Zeit als für das reine Schreiben. Für ihren Roman Ausgekocht (2003)arbeitete sie in einem Wiener Gasthaus bei einem Haubenkoch und entdeckte dabei das Kochen für sich.

Gute Krise, schlechte Krise

„Ich komme immer vom Thema her“, sagt sie. Im nun erschienenen Heißzeit 51 ist das große Thema der Klimawandel, im Hintergrund geht es auch ganz grundsätzlich um den Umgang mit Ressourcen und darum, wie Populisten Krisen für ihre Ziele nutzen. „Heißzeit“ war das Wort des Jahres 2018, nach diesem extrem langen Hitzesommer.

Eva Rossmann denkt das Szenario in ihrem Roman einen Schritt weiter. Hier formiert sich eine Gruppe von Aktivist*innen, um in Venedig gegen die Klimakrise zu protestieren. In der Stadt steigt der Wasserpegel, das Acqua alta hat den Markusplatz geflutet. Das nutzt die Klimaschutzgruppe „CHANCE!“, um medienwirksam für ihr Anliegen zu werben. Dank der Jahrhundertflut steht ihr das Wasser nicht nur metaphorisch bis zum Hals. Eine der Aktivistinnen, Julia Melis, versteht besonders viel davon, politische Anliegen in den sozialen Medien in Szene zu setzen. Sie ist die Galionsfigur der Gruppe. Dann wird sie tot in ihrem Wagen gefunden.

Die Recherchen führen Mira zurück nach Wien und auch ins Weinviertel. Dorthin hat sich ein junger Klimaforscher zurückgezogen, einst großer Hoffnungsträger als Nachwuchswissenschaftler, nun züchtet er hitzeresistente Bohnen und behält auch sonst einiges Wissen für sich. Währenddessen spitzt sich die Lage zu, und Populisten nutzen die aufgeheizte Stimmung für ihre eigenen Zwecke. Miras beste Freundin und bessere Hirnhälfte, Vesna Krajner, hilft wieder einmal bei den Ermittlungen. Diesmal ist ihre Motivation auch eine persönliche: Vesnas schwangere Tochter war Julia Melis’ Assistentin. Und, ja eh, gekocht wird auch wieder, sonst wäre es kein Mira-Valensky-Krimi. Auf den Tisch kommen Branzinofilets in saor, und wenn man nicht weiß, was das ist, dann lernt man es.

Die Präsentation des Buchs fand in der Lobby eines Wiener Hotels statt, eines sozialen Unternehmens der Caritas, wo viele Geflüchtete angestellt sind. Der Laden war voll, alle wollten das Buch haben und die Autorin sehen und das Jubiläum feiern. In der ersten Reihe saß Doris Schmidinger, die Ehefrau von Bundespräsident Van der Bellen, Verleger Ludwig Paulmichl gab sich persönlich die Ehre. Statt einer Wasserglaslesung gab es zwei kurze Passagen aus dem Roman und danach, was nicht so üblich ist im Krimi-Milieu, Diskussionen mit Klimaschutzexperten, es ging um Fakten, um Wissenschaft. Fragen, wie man sich angesichts der Klimakrise richtig verhalten kann, wurden auch gestellt, für Polemik oder allzu radikale Positionen gab es freilich dann doch kein Podium. Es ist auch das Juste Milieu, das hier zusammenkommt. Auf den Tischen Weinflaschen mit dem Buchcover auf dem Etikett, eine Sonderedition vom Lieblingswinzer. Und wahrscheinlich ist es genau diese Bodenständigkeit, die Eva Rossmann so beliebt macht.

Zur Person

Eva Rossmann wurde 1962 in Graz geboren, die Schriftstellerin lebt heute im Wiener Weinviertel. Ihr Jurastudium brach Rossmann kurz vorm Ende ab, sie arbeitete als Verfassungsjuristin im Bundeskanzleramt, später als politische Journalistin. 1997 war die Feministin Mitinitiatorin des österreichischen Frauenvolksbegehrens. Sie ist Autorin zahlreicher Sachbücher, schreibt Kochkolumnen für Magazine. Ihr 20. Mira-Valensky-Fall heißt Heißzeit 51 (folio 2019, 288 S., 22 €)

Eine „Klimaschutzheilige“ ist sie nach eigener Aussage jedenfalls nicht, und darum geht es Eva Rossmann auch nicht. Aus ihr spricht die Stimme der Vernunft. Die klingt sehr diesseitig, besonnen, unaufgeregt – und oft so ein wenig nach Maß und Mitte. Extinction Rebellion oder Fridays for Future? Brauchen wir beides. Plastiktütenverzicht oder CO2-Steuer? Schließt sich doch nicht aus. „Ich glaube, dass wir alles gleichzeitig brauchen. Wir müssen massiv Druck machen und die politischen Spielregeln unseres Zusammenlebens ändern. Aber darauf, dass das geschieht, darf keine und keiner von uns warten.“ Sie hat für vieles Verständnis, aber nicht für die Ignoranz, die entsteht, wenn man statt wissenschaftlicher Fakten diffuse Glaubensbekundungen anführt. Einen „wachen Blick auf die Welt“ zu haben, heißt, sich nicht von emotional aufgeheizten Debatten in die Irre führen zu lassen, oder: sich irre machen zu lassen.

So sehr sie gegen die Klientelpolitik wettert, die wirksame Maßnahmen zum Klimaschutz verhindert – genauso wichtig findet sie, im privaten Rahmen lieb gewonnene Gewohnheiten umzustellen. Sich selbst nimmt sie dabei nicht heraus. Natürlich alles im vertretbaren Rahmen: Ganz auf Flugreisen zu verzichten kommt nicht infrage.

Wir treffen uns ganz pragmatisch in einem Café vor der Wiener Buchhandlung, in der sie am Abend eine weitere Lesung aus dem neuen Buch hat. Die Strecke vom Weinviertel nach Wien legt sie oft zurück. Sie hat ein Elektroauto, manchmal nimmt sie auch einen Hybrid. „Ich hau mir dann einen Tempomaten rein, und mehr als hundertzwanzig wird nicht gefahren.“ Und das, obwohl sie eigentlich leidenschaftlich gern schnell unterwegs ist: Es gibt vernünftige Gründe, das Tempo zu drosseln, also macht sie das. Über den mit zunehmender Geschwindigkeit exponentiell ansteigenden CO2-Ausstoß könnte sie aus dem Stand einen Vortrag halten. Sie macht es aber nicht, dozieren. So wie auch nicht alle für ein Manuskript recherchierten Fakten letztlich im Buch landen. Dass man da trotzdem jede Menge lernt, passiert fast unbemerkt. „Ich glaube nicht, dass es den Zweck der Literatur gibt, genauso wenig, wie es die Literatur gibt. Aber Menschen, die schreiben, beschäftigen sich in besonderem Maß mit der Welt, die sie umgibt, vielleicht auch mit einem besonderen Blick. Es hat immer Zeiten gegeben, wo die Verschränkung der Öffentlichkeit mit der Literatur oder der Politik mit der Literatur im engeren Sinn viel größer war, und dann gab es wiederum Zeiten der Verinnerlichung. Momentan habe ich den Eindruck, die Literatur wird zunehmend politischer, mit einem wachen Blick auf unsere Außenwelt.“

Kann literarisches Schreiben bereits eine politische Handlung sein? Rossmann zögert keinen Moment: „Ja. Aktivismus ist alles, das sich nach außen richtet, Stellung bezieht. Schreiben ist also immer auch Aktivismus, politisches Schreiben noch einmal mehr.“ Sie sieht sich selbst durchaus als politische Schriftstellerin und findet es gut, wenn sie von außen auch so wahrgenommen wird.

Dafür hat sie sich das richtige Genre ausgesucht: Gerade in der Kriminalliteratur kommen gesellschaftspolitische Eruptionen oft nicht nur besonders deutlich, sondern auch schnell zum Ausdruck. Die Zuspitzung sieht Rossmann als „Wesen“ jedes gut gemachten Krimis. Dazu kommt, sagt sie, dass Krimis nun mal etwas schneller geschrieben und produziert werden als viele andere Bücher. Soll der Krimi vor allem unterhalten? Unbedingt! „Es geht nicht darum, etwas leitartikelhaft abzuhandeln oder mit persönlicher Meinung zu überfrachten, obwohl wir natürlich alle eine haben. Sondern Perspektiven aufzumachen. Klassische Agitprop-Literatur wird es nicht mehr geben.“

Niedrigschwellige Feministin

Ihre Ermittlerin Mira Valensky ist Journalistin; zu Beginn ihrer Karriere – also in den ersten Krimis – ist sie noch ganz auf Lifestyle-Themen gebucht, bis ihr aufgeht, wie skrupellos es im Politikgeschäft zu-geht.

Mittlerweile ist sie zur Chefreporterin aufgestiegen. Und sie hat auch privat Karriere gemacht: Anfangs bestand ihre bosnische Putzfrau Vesna Krajner darauf, von Mira gesiezt zu werden, nun duzen sie einander, sind beste Freundinnen. Ohne Vesnas Hilfe würde Mira Valensky nicht nur weniger gut ermitteln, sie würde sich ohne Zweifel auch viel öfter in gefährliche Situationen manövrieren. Noch dazu gibt Vesna ihr Kontra wie niemand sonst. So unterschiedlich ihre Biografien sind, man versteht sofort, dass die beiden befreundet sind. Dass die Freundschaft der beiden sich im Lauf der Bücher vertieft und entwickelt, belohnt natürlich die Leser*innen, die seit 20 Jahren drangeblieben sind, das funktioniert wie eine lieb gewonnene Fernsehserie.

Heißzeit 51, ein Krimi zur Klimakrise, Eva Rossmann hat offensichtlich ein Händchen für Plots, die drängen – und dann geht’s los mit der Recherche. 2018 war das ihr Social-Media-Krimi Im Netz. Ihr erster Leser ist immer ihr Ehemann, ein früherer Radiojournalist. Aber er bekommt die Manuskripte erst, wenn sie schon fertig sind.

Eva Rossmann will in keiner „Kunstsprache“ schreiben, sie bevorzugt „Alltagssprache“. Die ist in ihrem Fall knapp und reich an Dialogen. Überhaupt legt sie viel Wert auf niedrige Schwellen, man soll beim Lesen am besten den Eindruck haben, den Figuren könnte man so auch auf der Straße begegnen. Mira Valensky sowieso. Sie könnte eine gute Freundin sein. Wie von einer Freundin spricht die Autorin auch über ihre Heldin.

Das Abgrenzen fällt ihr trotzdem nicht schwer. „Na ja, ich kenn’ sie halt nun schon sehr gut. Ich neige aber nicht zur Schizophrenie, und ich träume auch nicht von ihr.“ Dass die beiden gleich alt sind und eben auch beide Journalistinnen, macht es nicht leichter, sich die Frage zu verkneifen: ob Mira Valensky nicht Eva Rossmanns Alter Ego ist? Ja, nein, ein bisschen, auch typisch für Rossmann: Es hatte einfach ganz pragmatische Gründe, keine Polizistin zu erfinden – sie wollte über das schreiben, was ihr vertraut ist.

Biografisch mag es Überschneidungen geben, in Sachen Persönlichkeit besteht keine direkte Verwechslungsgefahr. Eva Rossmann ist überzeugte Feministin, sie hat Sachbücher zu frauenpolitischen Themen geschrieben und Ende der 1990er Jahre das österreichische Frauenvolksbegehren mit initiiert. Mira Valensky würde sich eher nicht als aktive Feministin bezeichnen.

Rossmann lebt seit bald dreißig Jahren im Weinviertel, „nicht im Speckgürtel“, und das sehr gern. Valensky wird die Natur schnell mal zu viel. Wie sich die Romanfigur so entwickelt hat in den zwanzig Jahren, daran würde Rossmann sowieso nichts ändern wollen. Das ist genau wie mit der eigenen Lebensgeschichte: „Natürlich könnte man vieles besser gemacht haben. Aber hat man halt nicht. Es ist keine glatte Biografie. Damit leb’ ich eigentlich ziemlich gut, und sie auch.“

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