Kapitalismuskritik hat sich in den letzten Jahren etabliert. Selbst in den Feuilletons konservativer Zeitungen finden sich Stimmen, die enthemmte Finanzmärkte geißeln und den Verlust des Bezugs zur Realwirtschaft beklagen. Dagegen steht die Feststellung, dass sich der Kapitalismus in der nahen Zukunft als Wirtschaftsmodell und gesellschaftliches System kaum verabschieden wird.
Ausgehend von diesem Spannungsverhältnis hat sich ein Kollektiv in Berlin mit der Frage beschäftigt, wie die Mechanismen des Kapitalismus jenseits der sehr intellektuell geführten Debatten einfach zu erklären sind. Das Ergebnis ist ein Museum des Kapitalismus, das zu Beginn als temporäre Ausstellung in Berlin-Neukölln besucht werden kann. Auf den knapp 200 Quadratmetern einer ehemaligen Supermarktfiliale finden sich verschiedene Exponate, die sich mit den Auswirkungen kapitalistischer Strukturen im alltäglichen Leben beschäftigen.
Am vergangenen Freitag war die Ausstellung erstmals im Rahmen des Berliner Kunstfestivals „48 Stunden Neukölln“ geöffnet. Dass sie innerhalb der ersten Stunden und Tage stets gut gefüllt waren, erklärt sich vielleicht auch durch die vermeintliche Widersprüchlichkeit des Projekts. Aus Sicht der kapitalismuskritischen Initiatoren ist ein Museum ein Ort, an dem die Welt aus der herrschenden Perspektive präsentiert wird. Dagegen wollen sie ein „Museum von unten“ setzen, das auf Interaktivität, Offenheit und Diskussion wert legt.
Kapitalismus zum Anfassen
Wie werden Waren im Kapitalismus produziert, woraus ergibt sich die Höhe des Lohns oder was bedeutet es, dass Wohnungen auf einem Markt gehandelt werden? Antworten auf diese und weitere Fragen sind nicht in ellenlangen Texten nachzulesen, sondern durch spielerische Elemente und im Gespräch mit anderen Besuchern zu erfahren.
Das Projekt richtet sich auch an Kinder und Jugendliche, die beispielsweise im simulierten Wettstreit untereinander darum ringen, die von ihnen produzierten Waren gewinnbringend auf dem Markt zu verkaufen. Dass das nicht jedem Unternehmen gelingt und es neben Gewinnern auch Verlierer gibt, mag wie eine banale Feststellung wirken. Mit der Darstellung von ungleichen Ressourcen im Arbeitskampf durch eine Waage oder dem Aufzeigen von Produktionswegen einzelner Waren durch das Scannen der dazugehörigen Barcodes wird Kapitalismuskritik nicht neu erfunden. Sie erfüllt aber ihren Zweck: Kinder kommen ins Grübeln und Erwachsene diskutieren miteinander.
Auch die Funktion von Geld innerhalb einer kapitalistischen Wirtschaft wird verhandelt. Verschiedene Waren wie Fahrrad, Buch oder Smartphone werden nebeneinandergestellt, wobei deren Wert durch die jeweils anderen Produkte dargestellt wird. Die Erkenntnis, wie viele Bücher ein einziges Smartphone wert ist, versetzt manch einen Besucher in ungläubiges Staunen. Dass das dabei genutzte Buch den Titel Das Kapital trägt, ist selbstverständlich kein Zufall – das Verständnis von Waren, Wert und Arbeit erinnert an die Begrifflichkeiten von Karl Marx.
Im Zentrum der Aufwertung
Das Museum des Kapitalismus ist aber mehr als eine plastische Darstellung marxistischer Theorie, das beweisen auch die Ausstellungsstücke, die sich mit dem besonders in Neukölln aktuellen Thema der kapitalistischen Stadt beschäftigen. Fragen nach den Folgen von Aufwertung ganzer Stadtteile und damit einhergehender Verdrängung alteingesessener Bewohner sind vor dem Hintergrund des Kunstfestivals „48 Stunden Neukölln“ besonders relevant. Der Stadtteil war eine Zeit lang durch die berüchtigte Rütli-Schule und Aussagen des SPD-Bezirksbürgermeisters und Sarrazin-Weggefährten Heinz Buschkowsky als sozialer Brennpunkt in den bundesweiten Fokus gerückt.
In den letzten Jahren prägten klassische Gentrifizierungsprozesse das Gesicht des Stadtteils. Projekte des sogenannten Quartiersmanagements sollen das Image Nord-Neuköllns aufhübschen und aus einer armen, dreckigen Gegend einen kreativen Ort der Multikulturalität werden lassen. „48 Stunden Neukölln“ ist dafür insofern sinnbildlich, als dass sich hier die vermeintlich hippe und subalterne Künstlerszene ein Podium geschaffen hat, durch das Neukölln als etwas Neues wahrgenommen wird, wodurch der Platz für Alteingesessenes abhanden kommt. Die Veranstalter des Festivals zeigen sich zwar von den gegen sie erhobenen Vorwürfen irritiert und verweisen auf Projekte, die sich kritisch mit Gentrifizierung und Kapitalismus auseinandersetzen. Dennoch bleibt der Widerspruch zwischen erklärtem Selbstverständnis und tatsächlichem Wirken.
Mit der Entscheidung gegen das Aufhängen der markanten „48 Stunden Neukölln“-Fähnchen oder die Teilnahme am Imagefilm distanzieren sich die Initiatoren des Museums des Kapitalismus von dem Kunstfestival, wenn sie auch in dessen Programmheft erscheinen. Widersprüche finden sich eben nicht nur innerhalb des Systems des Kapitalismus.
Museum des Kapitalismus, 27.06. - 15.07.2014, Böhmische Straße 11, 12055 Berlin
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