Links-Rechts-Schwäche

Montagsmahnwachen Eine neue Studie belegt, dass viele der Teilnehmer für rechte Thesen offen sind – auch wenn sie es selbst nicht so sehen

Wer für Frieden und Demokratie auf die Straße geht, hat Unterstützung verdient – diesen Satz würden sicherlich viele Menschen unterschreiben. Problematisch wird es allerdings, wenn sich zu allgemeinen Idealen krude Ansichten gesellen, mit denen man eigentlich nichts zu tun haben will. Bei den „Montagsmahnwachen für den Frieden“ vermuteten verschiedene Kommentatoren genau solche Verbindungen. Es wurde ein Übergewicht rechter Parolen und Personen ausgemacht, die sich unter dem Friedens-Mäntelchen zusammenfinden. Doch ganz so einfach ist es nicht, lautet das Fazit einer am Montag in Berlin vorgestellten Studie, die erstmals konkrete Ergebnisse liefert. Ziel der Untersuchung war, ein präzises Bild der politischen Orientierung der Mahnwachenteilnehmer zu bekommen. Herausgekommen ist ein Sowohl-als-auch.

Die im Zuge der beginnenden Ukraine-Krise aufgekommenen Demonstrationen verbreiteten sich seit März diesen Jahres von Berlin aus über verschiedene deutsche Städte. Diskussionen über den politischen Hintergrund der Montagsmahnwachen nährten sich durch Aussagen wie die des Initiators der Berliner Veranstaltungen, Lars Mährholz, der in seinem Aufruf „die tödliche Politik der Federal Reserve (einer privaten Bank)“ und das von der US-Notenbank betriebene „Schuldgeldzinssystem“ als Ursache für die ukrainische Situation erklärte. Aufgrund solcher und anderer Aussagen wurden seitens der Medien und Politik Vorwürfe laut, es handle sich bei den Montagsmahnwachen um eine Ansammlung antisemitischer sowie antiamerikanischer Außenseiter, deren verkürzte Systemkritik anschlussfähig für Rechtsextreme sei. Auch das Auftreten der in rechten Kreisen durch ihre Verschwörungstheorien bekannten Jürgen Elsässer, Ken Jebsen oder Andreas Popp führte verständlicherweise zu Kontroversen.

Während die politische Überzeugungen der Mahnwachenprominenz hinlänglich bekannt sind, blieben Vermutungen bezüglich der Teilnehmer bis jetzt spekulativ. Um das zu ändern, wurde in Zusammenarbeit des Zentrums Technik und Gesellschaft der Technischen Universität Berlin mit dem Verein für Protest- und Bewegungsforschung eine Studie durchgeführt. Befragt wurden Demonstranten beispielsweise nach der Selbsteinordnung in das linke oder rechte politische Spektrum, die sie aber meist verweigerten. Knapp 40 Prozent derjenigen, die an der Studie teilnahmen, lehnten diese Skala als überholt ab. Bezeichnenderweise definierte einer der Befragten die „Abschaffung altpolitischer Paradigmen und Bauernfängerphrasen wie beispielsweise 'links' und 'rechts'“ als Ziel des Protests. Immerhin 38 Prozent ordneten sich ins linke Lager ein, was verglichen mit Aussagen von Teilnehmern anderer Demonstrationen dennoch auffällig unterdurchschnittlich ist.

Ungeachtet dessen wurden Fragen nach bestimmten politischen Einstellungen so beantwortet, dass eine Nähe zu autoritären oder antisemitischen Ideologien offensichtlich ist. So stimmten die Befragten zu einem Drittel folgender Aussage ganz oder überwiegend zu: „Wir sollten einen Führer haben, der Deutschland zum Wohle aller mit starker Hand regiert.“ Dass Zionisten „sich weltweit an die Hebel der Macht gesetzt“ haben, sahen gut 27 Prozent der Befragten so. Des Weiteren wurde der Aussage, die Bundesrepublik sei kein souveräner Staat, mit gut 60 Prozent zugestimmt, während gut 50 Prozent die USA und ihr Militär als „der Knüppel der FED (US-Notenbank)“ degradierten. Insgesamt ergibt sich damit ein Bild diffuser Verbindung von obrigkeitshörigen, verschwörungstheoretischen Ansichten.

Neben diesen eindeutig rechten Überzeugungen fanden die Wissenschaftler bei den genannten Anliegen auch klassisch linke Themen wie Kapitalismuskritik oder das Ablehnen des geplanten Freihandelsabkommen TTIP. Die Befragten nahmen die Widersprüchlichkeit ihres Forderungskatalogs nicht als solche war, einer von ihnen propagierte: „Wir lassen uns nicht spalten“. Das erinnert zwangsläufig an Konzepte wie jenes der auch von Elsässer vertretenen Querfront, nach dem linke und rechte Positionen unter einem gemeinsamen Banner vereint werden sollen. Darauf angesprochen sprach der Mitautor der Studie und Koryphäe der Protest- und Bewegungsforschung Dieter Rucht von einer „doppelte Ambivalenz“. Diese sei geprägt durch das Nebeneinander mehrerer Teilgruppen mit unterschiedlichen Interessen einerseits, durch inkonsistente Weltbilder auch innerhalb dieser Gruppen andererseits. Einzig die Ablehnung gegenüber dem politischen System erzeugt Einigkeit, hier verneinten 93,9 Prozent der Mahnwachenteilnehmer ein „gutes Funktionieren“ der Bundesrepublik. Auch die Institutionen genießen laut Studienergebnis fast kein Vertrauen, egal ob Bundesregierung, Banken oder Medien.

Zwar beteiligen sich nachweislich ebenso linke Akteure an den Montagsmahnwachen, doch bleibt unter dem Strich der Eindruck einer Versammlung von Positionen, die eindeutig anschlussfähig für rechtsextreme Inhalte sind. Dass die Träger solcher oder ähnlicher Überzeugungen nicht gerne als politisch rechts bezeichnet werden, ist spätestens seit der Sarrazin-Debatte oder der offiziellen Selbstbeschreibung der AfD hinlänglich bekannt. Nach Aussage der Autoren der Studie konnte zwar nur zwei Befragten ein „geschlossenes, konsistentes rechtsextremes Weltbild“ nachgewiesen werden, der „Nährboden für populistische Instrumentalisierungen“ sei aber durchaus gegeben.

Dass viele der Äußerungen nachweisbar in einem paradoxen Verhältnis zueinanderstehen, sollte nicht über die Gefahr hinwegtäuschen, die in der Verbindung von allgemeinen Friedensbekundungen und dem Wunsch nach diktatorischer Führung liegt. Kategorien wie rechts und links mögen als Zuschreibungen nicht immer ausreichen, bei der Beschreibung der Montagsmahnwachen erscheinen sie definitiv sinnvoll.

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