Depression: Die schwerste Zeit ist der Frühling

Armutsbetroffen Unsere Autorin hat wegen ihrer Depression eine Erwerbsminderung seit ihrem 30. Lebensjahr. Am schlimmsten wird es, wenn die Sonne wieder länger scheint und alle Menschen um sie herum glücklicher wirken
Im Frühling merke ich besonders, dass ich anders bin
Im Frühling merke ich besonders, dass ich anders bin

Foto: Imago/Ex-Press

Stellen Sie sich vor, Sie sind schwer erkältet: Kopfschmerzen, jeder Muskel tut weh und Sie sind einfach nur erschöpft. Selbst der Gang zur Toilette strengt an. Der Schlaf ist unruhig. Das Gute ist, dass eine Erkältung vorübergeht. Meine Depression aber fühlt sich an wie eine ewig in die Länge gezogene schwere Erkältung, ich bin ohne Fieber erschöpft und gereizt. Alles strengt mich an, an manchen Tagen sogar das Sprechen. Hinzu kommt: Ich bin dauernd müde.

Körperliche Symptome wechseln sich ab: Muskelschmerzen, Kopfschmerzen, Übelkeit. Meine Depression ist eine ernstzunehmende psychische Krankheit. Es ist kein temporäres Niedergeschlagensein oder eine zwei Wochen dauernde Traurigkeit, sondern permanente Erschöpfung, Selbstzweifel und Gleichgültigkeit. Depression hat viele Gesichter und Formen. Die meisten Depressionsformen sind heilbar, meine leider nicht.

Ich gehöre zu den Menschen, die ihr Leben lang krank bleiben. Trotz verschiedener Therapien, Klinikaufenthalten, Psychopharmaka, regelmäßigem Sport und gesunder Ernährung geht meine Erkrankung nicht weg. Sie wurde so schwer, dass ich erwerbsunfähig wurde. Ich bekomme wegen einer vollen Erwerbsminderung seit meinem dreißigsten Lebensjahr Rente. Wenn sie mich sehen und kennenlernen würden, würden Sie denken, ich sei gesund. Weil ich nur unter Menschen gehe, wenn ich in der Lage bin zu kommunizieren, das heißt, wenn es mir den Umständen entsprechend gut geht. Und andererseits, weil ich immer noch versuche, die Depression zu überspielen: Ich verhalte mich anders und imitiere Gefühle, die ich gar nicht oder kaum empfinde. Warum mache ich das?

Ich habe Angst vor Ablehnung, Stigmatisierung und manchmal will ich einfach nicht über meine Erkrankung reden. Ich bin froh, wenn ich abgelenkt bin und an etwas anderes denke als meine depressive Gedankenspirale. Psychisch krank sein ist belastend, denn, wie gesagt, man sieht mir meine Erkrankung nicht an. Es gibt Menschen, die meine Erkrankung nicht ernst nehmen, dabei sollten sie das tun: Psychische Erkrankungen sind der zweithäufigste Grund, warum Arbeitnehmer sich krankmelden.

Einfach mal fragen: Was hilft Dir?

Die Unsicherheit gegenüber psychischen Erkrankungen ist groß. Deshalb die Bitte: Wenn Sie jemanden mit einer psychischen Erkrankung kennen, fragen Sie: Wie möchtest Du, dass ich mit Dir umgehe? Was hilft Dir? Wie wirkt sich Deine Erkrankung aus? Dadurch fühlt sich die erkrankte Person ernst genommen und der Umgang miteinander wird einfacher. Mein gesamter Freundeskreis weiß von meiner Depression. Dadurch, dass wir darüber reden, verstehen wir uns noch besser. Meine Krankheit muss nicht bis ins kleinste Detail verstanden werden, es reicht, dass ich damit akzeptiert werde.

Auch jetzt, während ich das hier schreibe, spüre ich den Sog der inneren Leere. Wenn ich ihm nachgeben würde, läge ich antriebslos im Bett und isolierte mich mehr und mehr von meiner Umwelt. Dagegen kämpfe ich an. Jeden Tag kämpfe ich mit dieser Krankheit, auch wenn sie mir alles so sinnlos erscheinen lässt. Ich habe ein Kind zu versorgen und möchte mein Leben nicht von der Depression bestimmen lassen. Die meiste Zeit sind wir im Patt, oder wie mein Psychiater sagen würde: „Stabil“.

Die für mich anstrengendste Zeit kommt noch: Frühling. Dann werden die Menschen fröhlicher und die sozialen Aktivitäten verlagern sich nach draußen in die Frühlingssonne. Und ich merke wieder, dass ich anders bin. Denn ich bin nicht so gelöst und emotional, wie alle anderen um mich herum. Ich will weder gern raus noch viele positive Reize um mich. Den Gegensatz auszuhalten vom Licht und der Freude außen und der Dunkelheit im Inneren ist jedes Jahr die größte Herausforderung, der ich mich stellen muss. Ich frage mich jedes Jahr: Schaffe ich diesen Frühling ohne eine Verschlimmerung?

Janina Lütt ist armutsbetroffen, sie bestreitet ihre Leben für sich und ihre Tochter mit Erwerbsminderungsrente auf Bürgergeld-Niveau. In ihrer monatlichen Kolumne berichtet die 46-Jährige über den Alltag mit zu wenig Geld, über die Sozialpolitik aus der Perspektive von unten, über den Umgang mit ihrer Depression und über das Empowerment durch das Netzwerk #ichbinarmutsbetroffen: @armutsbetroffen

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Geschrieben von

Janina Lütt

Kolumnistin

Janina Lütt ist armutsbetroffen, sie bestreitet ihre Leben für sich und ihre Tochter mit Erwerbsminderungsrente auf Bürgergeld-Niveau. In ihrer regelmäßigen Kolumne auf freitag.de berichtet sie über den Alltag mit zu wenig Geld, über die Sozialpolitik aus der Perspektive von unten, über den Umgang mit ihrer Depression und über das Empowerment durch das Netzwerk #ichbinarmutsbetroffen: @armutsbetroffen

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