Auch Menschen sind Roma

Theater Ein deutsch-rumänisches Projekt erzählt die Lebenswirklichkeit von Roma in Rumänien und Berlin - und über die Schwierigkeit, kulturelle und soziale Klüfte zu überbrücken

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Eine improvisierte Siedlung am Rand der rumänischen Stadt Cluj-Napoc. Auch die Situation dort ist Thema des Theaterprojekts "Romo Sapiens"
Eine improvisierte Siedlung am Rand der rumänischen Stadt Cluj-Napoc. Auch die Situation dort ist Thema des Theaterprojekts "Romo Sapiens"

Foto: DANIEL MIHAILESCU/AFP/Getty Images

„Nein, das kann nicht die Wohnung sein, die wir bekommen sollen. Das muss ein Irrtum sein.“ „Hier läuft ja das Wasser von den Wänden.“ „Doch, laut Plan ist das die Adresse.“ „Hier muss es sein.“ „Aber das ist doch unmöglich, das Badezimmer ist gar nicht benutzbar.“

Die drei Wohnungsbesichtigenden schauen sich fragend auf der Theaterbühne um. Eine klammert sich an einen Zettel, den Grundriss der Wohnung. Die drei wurden „evakuiert“, wie es im Rumänischen heißt. Aus dem Stadtzentrum der siebenbürgischen Universitätsstadt Klausenburg (Cluj-Napoca) wurden sie herausevakuiert. Sie sind Roma. Sie schauen sich gerade ihre neuen Behausungen an. Einige Kilometer Fußmarsch von der Stadt entfernt, an der städtischen Mülldeponie gelegen. Eine Busanbindung gibt es nicht. Zur Schule und zur Arbeit müssen die Umgesiedelten nun zu Fuß kommen.

Die drei SchauspielerInnen, Dragoș Dumitru, Zita Ema Moldovan und Alina Ioana Șerban, verkörpern auf der schwarzen Probebühne des Neuköllner Heimathafens all die Irritation und Absurdität, die den 2011 aus Klausenburg Evakuierten widerfahren sein dürfte. Auch die drei DarstellerInnen sind Roma. In dem Stück „Romo Sapiens“ wird das Thema Diskriminierung von Roma verhandelt. Aus zahlreichen kleinen Szenen, die in Rumänien und in Berlin spielen, entsteht ein Gesamtbild dessen, was Angehörigen der Roma-Minderheit hier wie dort widerfährt.

Die engagierte Deutsche, die die bettelnde Romni von der Straße am Hermannplatz holt, um ihr zu Hause etwas zu Essen zu geben, die aber zunehmend überfordert ist mit den hiesigen Strukturen, in die die Romni nicht so recht hineinpassen will.

Der Bürgermeister von Klausenburg, der der Presse erklärt, dass die „Evakuierung“ rechtens gewesen sei, dass es ja einen kostenlosen Minibus-Transfer zwischen Stadt und Siedlung gebe, dass er das Beste für die Betroffenen rausgeholt habe, dass er gern wiedergewählt werden möchte (ein Rom steht mit einer Plasitiktüte voller Lebensmittel neben ihm – dem Preis einer Stimme bei der Wahl).

Die Büroleiterin einer örtlichen Presseagentur, der die ganze Angelegenheit keine Meldung wert ist – weil bald Weihnachten ist und die Leute dann schönere Nachrichten wöllten.

Der Beamte auf dem Sozialamt, der enttäuscht darüber ist, dass die Romni so wenig über ihre Zukunft nachdenkt und dass sie einen so unglücklichen Eindruck macht („Was sind Ihre Hobbies?“).

Die beiden, die im Rahmen eines EU-Projektes in Rumänien ein Straßenkreiden-Sommerlager veranstalten wollen – und nebenbei für sich selbst und ihre Verwandten ein paar ordentliche Brocken aus dem Budget reservieren.

Der Rom, der seine Arbeit verlor und nun bei einer Agentur in Rumänien eine neue Stelle sucht („Fac orice – Ich mache alles“) - und dabei mit fadenscheinigen Argumenten hingehalten wird und erst einmal zu Hause ein Formular ausfüllen soll.

Die Übersetzerin, die zwischen Beamten und hilfebedürftiger, weil obdachloser und schwangerer Romni vermitteln soll („Was hat er gesagt?“).

Die Lehrerin im Integrationskurs, die auf dem Tisch stehend Schiller zitiert und inbrünstig zu Pünktlichkeit, Pünktlichkeit, Pünktlichkeit ermahnt und ihre Schüler vollständig übersieht („Ich geh' da nicht mehr hin. Ich KANN nicht!!“)

Es sind zwei Welten, die hier auf ein und derselben Bühne stattfinden, sich abwechseln, ineinandergreifen, einander hetzen und einholen. Minimalistische Bühnenausstattung und Beleuchtung lenken nicht ab vom Wesentlichen: von der Wut, der Hilflosigkeit, der Überheblichkeit, der Borniertheit und Bewegtheit der Handelnden. Das in Deutschland und Rumänien verfasste Doku-Theater-Projekt heißt im Untertitel „Auch Meschen sind Roma“. Alles steht Kopf. Welten wie sie verschiedener nicht sein können, prallen aufeinander. Die Regiseurinnen Réka Kincses („Balkan Campion“) und Alina Nelega haben mit „Romo Sapiens“ ein Stück auf die Bühne gebracht, dem ein großes Publikum zu wünschen ist. Nun wird in Bukarest gespielt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden