„Du bist zum Arbeiten hier? Dann arbeite!“

SklavInnen Europas „Arbeit ist keine Ware“, sagte Andrea Nahles. Menschenhandel zum Zweck der Arbeitsausbeutung soll jetzt endlich wirksamer bekämpft werden. Aber möglichst ohne Sozialrecht

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Andrea Nahles
Andrea Nahles

Bild: Johannes Simon/Getty Images

Menschenhandel findet weltweit statt. Auch in der Bundesrepublik. Sich dem Thema zu nähern, ist nicht leicht. Immer wenn man versucht, den Blick darauf zu richten, verschwimmt das Bild. Grundsätzlich gilt es nach dem StGB, zwei Formen von Menschenhandel zu unterscheiden: jenen zum Zweck der sexuellen Ausbeutung (§ 232) und jenen zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft (§ 233).

Anlässlich einer Fachtagung der Friedrich-Ebert-Stiftung wurde am 10.10.2016 der Strategieentwurf der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Bekämpfung von Menschenhandel zum Zwecke der Arbeitsausbeutung einem breiteren Fachpublikum vorgestellt. Geladen waren VertreterInnen aus der Wirtschaft, von den Gewerkschaften, politischen Parteien, Wohlfahrtsverbänden und diverser Behörden aus dem ganzen Bundesgebiet. Neben der Vorstellung zentraler Inhalte des Papiers sollte auch Raum für Stellungnahmen und Rückfragen sein.

Hintergrund der einberufenen Bund-Länder-Arbeitsgruppe ist neben der Absichtserklärung der aktuellen Bundesregierung, „die Ausbeutung der Arbeitskraft stärker in den Fokus der Bekämpfung des Menschenhandels zu nehmen“ (Koalitionsvertrag, S. 104) auch die Notwendigkeit, die EU-Richtlinie 2011/36 zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer umzusetzen. Bestehende Rechtsgrundsätze gilt es endlich anzuwenden. Und damit tut sich der Bund-Länder-Kommunen-Komplex schwer.

Als strategische Ziele wurden benannt: den Ausbau von Präventionsangeboten, die Sensibilisierung von Behörden, bzw. die verbesserte Identifizierung von Betroffenen, den Ausbau von Beratungs- und Unterstützungsangeboten, die Verbesserung der Strafverfolgung, die Erhöhung des Datenmaterials und die Schaffung von Öffentlichkeit zu dem Themenfeld.

Aus Betroffenensicht dürfte die Frage nach Beratungs- und vor allem Unterstützungsangeboten die entscheidende sein. Gerade dort sind die Mängel im aktuellen System eklatant. „Den Opfern fehlt die Kraft, sich zu wehren“, sagte Susanne Hoffmann vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Die „Kraft“ fehlt Opfern von Arbeitsausbeutung in der Regel nicht, sondern es mangelt ihnen an Optionen, an Alternativen und vor allem an Ressourcen.

Wer der deutschen Sprache (noch) nicht mächtig ist oder zu weit von der nächsten Filiale des rumänischen Amtes für Arbeitsvermittlung ins Ausland entfernt wohnt, verlässt sich eben auf die Zusagen von Bekannten, die schon in Deutschland leben. Manche geben ihre Jobs in Rumänien auf und verkaufen ihre Eigentumswohnungen, weil der Frust über die verkrusteten Strukturen und die erbärmlichen Löhne im Land so tief sitzt, und gehen „auf gut Glück“ nach Deutschland. Sie verlassen sich auf die Erzählungen von Freunden, auf das, was man in den Medien so über Deutschland hört und auf manchen Ratschlag in einer der vielen Facebook-Gruppen der Diaspora.

Dann kommt man am Berliner ZOB an, wird von einem Bekannten eines Freunde abgeholt, mit vielen anderen Leuten in einer Wohnung untergebracht und fängt am besten gleich mit der Arbeit an. Die Freundin arbeitet in einem Hotel, man selbst auf irgendeiner Baustelle. Einen Arbeitsvertrag bekommt man nicht zu Gesicht, Informationen zum deutschen Arbeits- und Sozialrecht bleiben aus. Die überfüllte Bude kostet 500€ im Monat; damit ist ein Großteil des „Gehaltes“ aufgebraucht, was man meist in Teilzahlungen und immer bar bekommt. Wenn man nun nach ein paar Monaten etwas ungeduldig wird, weil man immer noch keine „Papiere“ (Meldebestätigung, Anmeldung zur Sozialversicherung, Arbeitsvertrag, …) bekommen hat, heißt es: „Du bist zum Arbeiten hier? Dann arbeite!“ Also macht man weiter.

Wenn eine Person wie diese nun den Weg in eine Beratungsstelle findet, was kann dort für sie getan werden? „Die Sicherung von Unterkunft und Lebensunterhalt ist oftmals Voraussetzung dafür, bestehende Ansprüche auf Lohn und / oder Schadenersatz tatsächlich geltend zu machen“, heißt es in einer Veröffentlichung der Diakonie zur Beratungsarbeit mit Opfern von Menschenhandel. Und genau das ist und bleibt der Haken: In der aktuellen Sozialgesetzgebung gehören Betroffene von Arbeitsausbeutung nicht zu den Leistungsberechtigten.

Auf dem Podium der Fachtagung klingt das Wort „Unterstützung“ vereinzelt an; manche Akteure beklagten etwa die fehlenden Unterbringungsmöglichkeiten für Betroffene.

Wolfgang Möller von der Berliner Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen richtete einen „Apell an die Hilfsorganisationen“. Die öffentliche Hand müsse das „natürlich entsprechend finanziell unterstützen“. Er schlug auch einen „Entschädigungsfonds der deutschen Wirtschaft“ für schnelle Hilfen wie z.B. die Finanzierung einer Unterkunft oder der Heimreise vor.

Renate Hornung-Draus von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wies dies später mit Blick auf die „gesamtgesellschaftliche Verantwortung“ zurück.
Erika Krause-Schöne von der Polizeigewerkschaft hatte dafür eine interessante Antwort parat. Sie sagte: „Die Gesellschaft hat kein Interesse an dem Thema [Menschenhandel zum Zweck der Arbeitsausbeutung], da es sich vor allem um Ausländer handelt“. Die Opfer würden nicht im Sinne des SGB betrachtet, sagte sie weiter.

Yasmin Fahimi, derzeitige Staatssekretärin im Bundesarbeitsministerium, verwies auf die zahlreichen Anstrenungen seitens des Ministeriums, zur Bekämpfung von Menschenhandel beizutragen. Sie dachte auch laut darüber nach, die „Leistungsvoraussetzungen abzusenken“. Genau das wäre der richtige Weg: den Opfern von Menschenhandel den Zugang zu existenzsichernden Leistungen zu ermöglichen und dadurch ihre sozioökonomische und psychosoziale Situation kurzfristig – im Zweifelsfall durch ein Klageverfahren vor dem Sozialgericht – zu sichern.

Die zweitgrößte Zuwanderergruppe waren im Jahr 2015 nach syrischen MigrantInnen EU-BürgerInnen aus Rumänien. Sie haben trotz vollen Arbeitsmarktzugangs ein sehr hohes Risiko, in ausbeuterischen Arbeistverhältnissen zu landen.
Weder als Scheinselbständige noch als Minijobber (mit Bar-Aufstockung durch den Arbeitgeber) sind sie sozial abgesichert. Wer als EU-Ausländer keine Dokumente über eine Beschäftigung vorlegen kann, sein Freizügigkeitsrecht also ofiziell mit „Arbeitssuche“ begründet, ist von sozialen Unterstützungsleistungen ausgeschlossen (§ 7 SGB II). Dies dürfte die meisten Opfer von Menschenhandel betreffen.
Zwar lohnt derzeit noch der Antrag beim Sozialamt, da das Bundessozialgericht Ende 2015 entschied, dass UnionsbürgerInnen Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII erhalten können.

Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles hat jedoch unlängst ein Gesetz zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach SGB II und SGB XII auf den Weg gebracht. Diese Woche soll es im Bundeskabinett beschlossen werden. Das Gesetz soll dafür sorgen, dass EU-AusländerInnen ab sofort für die ersten fünf Jahre ihres Aufenthaltes in der Bundesrepublik von Leistungen ausgeschlossen werden.

EU-ArbeitnehmerInnen, die hier ausgebeutet werden und schon heute nur mit viel Glück (d.h. dem entsprechend urteilenden Richter am Sozialgericht) existenzsichernde Leistungen erhalten, um menschenwürdig leben und ihre Arbeitnehmerrechte durchsetzen zu können, werden also zukünftig vom gleichen Ministerium von Leistungen ausgeschlossen werden, welches auch ihre Rechte als Opfer von Menschenhandel stärken will.

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