Ein Land im Vakuum

Moldova und die EU Im Juni diesen Jahres hat die Republik Moldau ein Assoziierungsabkommen mit der EU unterzeichnet. Was, wenn bei den Wahlen im Herbst wieder die Kommunisten gewinnen?

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Chișinău. Entlang der Hauptstraße hasten die Passanten. Unter ihnen eine Mutter mit ihrer kleinen Tochter. Das Mädchen deutet auf die bunten Fahnen, die über den Boulevard „Stefan der Große“ in regelmäßigen Abständen gespannt sind: das Wappen der Stadt, die Flagge des Staates Moldau – und die Flagge der Europäischen Union. Das Kind will wissen, was die blaue Flagge mit den gelben Sternen denn bedeutet. „Sie bedeutet, dass wir in die Europäische Union eingetreten sind“, antwortet die Passantin ihrer Tochter.

Möglicherweise ist diese kleine Alltagsszene kein Einzelfall, sondern kann vielmehr versinnbildlichen, wie die Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens zwischen der Republik Moldau und der Europäischen Union in der Bevölkerung wahrgenommen wurde und wird. Bewegt man sich im Stadtzentrum und in öffentlichen Einrichtungen des kleinen Landes zwischen Pruth und Dnjester, sticht immer wieder die Flagge der EU ins Auge; in einem der zahlreichen Parks der Stadt ist sogar eine Blumenrabatte mit EU-Symbolik angelegt worden (gelbe Blumen auf blauem Kies). Im Plenarsaal des Parlaments steht neben der Landesflagge zur Linken auch die EU-Flagge zur Rechten.

Was einst die Sowjetrepublik Moldawien war, ist heute ein zerrissenes Land. Ursprünglich gehörte die Region zum gleichnamigen Donaufürstentum Moldau, dessen ruhmreichstem Fürsten Stefan dem Großen noch heute zahlreiche Denkmäler gesetzt werden – sowohl in der heute zu Rumänien gehörenden (West-)Moldau, als auch in der als eigenständiger Staat fungierenden (Ost-)Moldau. Stefan, der nicht nur „Groß“ sondern auch „Heilig“ ist, wurde zum Symbol ursprünglicher moldauischer Identität. 1812 geriet die östliche Moldau in den Einflussbereich des zaristischen Russlands. Knapp über einhundert Jahre später wurde die Region nach dem Ersten Weltkrieg an Rumänien angegliedert - in der rumänischen Geschichtsschreibung als die Heimkehr zum Mutterland aufgefasst. Zwischen 1924 und 1944 war die Moldau als Teil der Ukraine eine autonome Region, die aber nach Kriegsende als Satellitenstaat in die sowjetische Einflusssphäre eingegliedert wurde. Seit 1991 existiert der heutige Staat Moldova.

Im Juni diesen Jahres hat die EU mit diesem Staat ein Assoziierungsabkommen geschlossen. Der Vertrag ist unterschrieben. Bis er allerdings – wie rechtlich vorgesehen – von allen 28 EU-Mitgliedsstaaten ratifiziert werden wird, gehen wohl noch ein paar Jahre ins Land, sagt man in der EU-Vertretung in Chișinău. Die Republik Moldau hat mit dem kürzlich geschlossenen Abkommen allerdings noch nicht den Status eines EU-Kandidaten. Die Ukraine und Georgien sind in der gleichen Lage.

Während ein paar hundert Kilometer weiter östlich russische Truppen sich bewegen und die Lage alles andere als stabil ist, scheint hierzulande der Abschluss des besagten Assoziierungsabkommens kaum wahrgenommen worden zu sein, geschweige denn Anlass zu (gewalttätigen) Ausschreitungen zu sein. Die EU-Flaggen sind auch schon länger hier. Streng genommen ist es illegal, sie zu hissen. Seitens der EU heißt es dazu aber entspannt: „Wir können damit leben”.

Die Bevölkerung in der Republik Moldau ist ethnisch heterogen: neben Moldauern, die sich in unterschiedlichem Maße als „Moldauer” oder „Rumänen” begreifen, leben hier Russen, Bulgaren, Gagausen, Ukrainer. Kürzlich wurde der „Tag der rumänischen Sprache” gefeiert, der ähnlich wie der vier Tage vorher staatfindende Unabhängigkeitstag Anlass zu zahlreichen folkloristisch verharmlosten nationalistischen Manifestationen gegeben hat. Die russisch- und anderssprachige Bevölkerung, die einfach den „Tag der Sprachen” feierten, haben offensichtlich die Hegemonie des Rumänischen akzeptiert. Welchen Einfluss werden aber die außenpolitischen Geschehnisse für das Leben hier im Innern noch haben? Wann werden die moldauischen Russen, die sich meist gegen das Erlernen der rumänischen Sprache sträuben, sich auch gegen die Westorientierung Moldovas wehren? Welche Versprechungen des Westens oder des Ostens wird das Land eher glauben?

Die Republik Moldau ist nicht nur nach innen zerrissen (Gagausien- und Transnistrienkonflikt), sondern auch nach außen. Aber sie hat gelernt, mit der außenpolitischen Lage zwischen den Großmächten zu leben. Das EU-Assoziierungsabkommen droht die relative Balance, die Moldova zwischen EU und Russland vollführt, zum Kippen zu bringen. Auch in der Ukraine, deren außenpolitische Lage eine sehr ähnliche ist, hat die EU-Assoziierung die Lage zum Kippen gebracht. Dass dies auch in der Moldau eintreten könnte, scheint man seitens der EU nicht so recht glauben zu wollen.

Das derzeitige Handelsembargo Russlands auf moldauische Agrarprodukte scheint den EU-Vertretern in Chișinău jedenfalls noch kein Anlass zu der Annahme zu sein, dass die Republik in ernste Schwierigkeiten geraten könnte. Moldau ist fast vollständig von russischem Gas abhängig. Tausende Moldauer ernähren ihre Familien mit russischem Geld, was sie auf den Großbaustellen Moskaus verdienen. Ja, da könne Russland die Moldau(er) in Bedrängnis bringen, konstatiert man in der EU-Vertretung hier. Ob die EU dafür Notfallpläne habe, beziehungsweise was sie in diesem Falle unternehmen wolle? Es gebe Bestrebungen, rumänisches und ukrainisches Gas über die kürzlich eingeweihte Leitung bei Ungheni ins Land zu bringen. Ernste Antworten sind hier aber nicht zu erwarten – weil es sie schlicht nicht gibt.

Die Annäherung Moldaus an die EU wurde erst im Jahre 2009 nach dem Regierungswechsel auf den Weg gebracht. Auch dieses Jahr wird gewählt. Derzeit sitzen im Parlament vier Fraktionen, von denen drei EU-Befürworter sind und eine EU-Gegnerin, die kommunistische Partei, die knapp ein Drittel der 101 Plätze inne hat. Es bleibt abzuwarten, wie im November gewählt wird. Auf seiten der EU hält man es für möglich, dass bei einem Sieg der Kommunistischen Partei und der ebenfalls EU-kritischen Sozialistischen Partei das Assoziierungsabkommen angefochten wird.

Politische und zivilgesellschaftliche Akteure beschwören die EU hierzulande gern als eine Wertegemeinschaft, der man angehören möchte. Menschenrechte wie Pressefreiheit und Eigentumssicherheit müssen dabei als Türöffner für das neoliberale Projekt herhalten, was die EU ihrem Grunde nach ist und auch beabsichtigt zu bleiben. In erstaunlichem Maße sind es vor allem Moldauer selber, die ihrem eigenen Land nahezu jede Moral und jedes Wertebewusstsein absprechen, um demgegenüber die EU als Menschenrechts-Union in den Himmel zu loben.

Die EU selbst, die hier in Chișinău mit einer Art Botschaft vertreten ist, macht sich unterdessen nicht die Mühe, ihre nahezu ausschließlich ökonomischen Ambitionen zu verdecken. Fragt man nach der kleinen Bäuerin, die ihre Tomaten wohl nicht nach EU-Standards wird anbauen können und nach ihrer drohenden Verarmung, so bekommt man kaum mehr als ein ratloses Gesicht und Schulterzucken zu sehen. Es ist kein unwissendes Schweigen, sondern ein ganz bewusstes. Die zu erwartende Verarmung weiter Bevölkerungsteile, die ihre Produkte auf dem auropäischen Markt nicht mehr werden anbieten können, wird wissentlich in Kauf genommen. „EU integration is benefit for all, but some benefit more than others”, sagt der EU-Vertreter.

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