Fördern und Füttern

Die Tafeln "Wem würde es nützen, die Tafeln abzuschaffen?", fragt der Vorsitzende des Bundesverbandes. Eine Apologie anlässlich des Armutskongresses am 8. Juli in Berlin

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In diesen Tagen entscheidet die Bundesregierung über das nunmehr neunte Änderungsgesetz zum Sozialgesetzbuch II (9. SGB II-ÄndG). Die Verwaltung soll vereinfacht werden. In der Praxis, so die hörbaren Kritiken, kommt es zu weiteren Beschränkungen der Rechte sozial marginalisierter Menschen. Angesichts des heute zu Ende gegangenen Armutskongresses in Berlin war die Agenda 2010 mit den ihr folgenden Hartz-Reformen ein zentrales Thema. Mit Vorträgen, Dikussionen und Workshops sollte nach Lösungsansätzen gesucht werden – von Lösungen selbst kann wohl angesichts der überwiegend fehlenden AkteurInnen aus Politik und Wirtschaft nicht gesprochen werden.

Eingeladen war auch Jochen Brühl, der Vorsitzende des Bundesverbandes Deutscher Tafeln e.V.. „Armut im Überfluss: Warum funktionieren die Tafeln?“ - diese Frage stand über dem Workshop, der zunächst aus einem Referat des Gastes bestand, gegen Ende hin immer mehr zu einer Diskussionsarena mutierte. Rund 30 Menschen waren dabei – SozialarbeiterInnen, Betroffene, AkteurInnen und weitere Interessierte.

Die seit 1993 bestehenden Tafeln verteilen bundesweit Lebensmittel, die wegen abgelaufenen Haltbarkeitsdatums von Supermärkten zur Verfügung gestellt werden. An sich eine gute Sache. „Lebensmittel retten“ steht auf der ersten Folie der PowerPoint-Präsentation. „Lebensmittelretter“ - so nennen sich die Aktivisten von „Foodsharing“. Dass der Slogang geklaut sei, könnte man einwenden. Brühl beschwichtigt: bei der guten Sache sei das doch nebensächlich. Einen Kommentar zur mangelnden Lebensmittelsicherheit der von „Food Safern“ geretteten Nahrungsmittel kann er sich aber nicht verkneifen. Man fragt sich, wo hier genau der Unterschied zu den Tafeln liegt.

Im weiteren Verlauf des Vortrages fällt eines auf: Es geht hier vor allem um Imagepflege. Spätestens seit den ersten Wortmeldungen wird aus der Präsentation eine Apologie. Brühl spricht in Anlehnung an die großen sozialen Bewegungen des letzten Jahrhunderts von einer „Tafelbewegung“ und suggeriert, dass es sich hier um eine soziale Bewegung handele. Dabei sind die Tafeln mittlerweile eher ein quasikommerzieller Verband. Zu den größten Sponsoren gehören LIDL und Mercedes.

Man merkt Brühl an, dass er schon viel Kritik aushalten musste. Er bleibt gelassen und benennt die Hauptkritikpunkte selbst – ohne sie wirklich entkräften zu können. Immer wieder ist ihm auch der Verweis auf falsche Praktiken der Wohlfahrtsverbände recht, um die Paradoxen der eigenen Tafel-Praxis zu relativieren. Die Verschwendung in Krankenhäusern der Diakonie oder Caritas ist ein beliebtes Thema – vermutlich auch, weil er selbst für die Diakonie tätig war.

Die Tafeln hätten Hartz IV nicht verursacht, sagt er und klingt dabei wie einer, der sich verteidigen muss. Das behauptet auch niemand. Vielmehr ist doch zu kritisieren, dass die Tafeln mittlerweile Teil des Hartz-Regimes geworden sind. Bei Sanktionen etwa verweisen JobCenter die Betroffenen gern auch einmal auf die Möglichkeit, von den Tafeln Lebensmittel zu erhalten. Umgekehrt ist der Bewilligungsbescheid des JobCenters die Eintrittskarte zur örtlichen Tafel. Ganz im JobCenter-Stil bezeichnet auch Brühl die Hilfebedürftigen, die bei den Tafeln anstehen, als „Kunden“ - angeblich, um die Scham, die mit dieser Art der "Unterstützung" verbunden ist, abzumildern.

Mehr und mehr gewinnt man den Eindruck, die Tafeln seien wahre Zentren sozialer Wärme und Herzlichkeit. Mit Einzelbeispielen zeigt Brühl, wie die Tafeln für manche Menschen zu „Begegnungsorten“ würden. Dankbar ist man für den Einwurf eines Rheinländers, der von seinem täglichen Weg zur Arbeit berichtet, wo er an einer Ausgabestelle der Tafel vorbei kommt: sie liege auf einem schäbigen Schulhof am Rande der Stadt, als Schutz vor Regen gebe es ein paar Bretterverschläge. Und die Menschen stünden da nicht der Begegnung wegen lange herum, sondern kämen früh, um in der Schlange möglichst weit vorn zu sein. Ob man das denn nicht ein bisschen würdevoller gestalten könne, fragt er Brühl.

Um Würde geht es hier aber schon längst nicht mehr. Angeblich geht es um Teilhabe – wieder ein Begriff aus der JobCenter-Sprache. Es gehe um die „Sicherung der Grundbedürfnisse“. Dass es ein Skandal ist, dass der Staat nicht willens oder nicht in der Lage ist, dies zu leisten, sieht Brühl auch. Darum betont er mehrmals die oppositionelle Rolle der Tafeln. „Wir wollen provozieren und verärgern“, sagt er in Richtung seiner Kritiker. Die kritische Positionierung zu Politiken, die derartig prekäre Lebenslagen erzeugen, sei ein Merkmal der Tafeln. Konkreter wird er nicht, verweist bei allzu hartnäckigen Fragen nach der Rolle der Tafeln („Was tun die Tafeln, um sich selbst überflüssig zu machen?“) wieder auf die großen Wohlfahrtsverbände, die ja in den entsprechenden Gremien säßen und deren Verantwortung es sei, für politische Veränderungen einzutreten. So wird aus dem bundesweiten Tafel-Verband plötzlich ein kleiner, unbedeutender Haufen Ehrenamtlicher.

Es ist der sozialarbeiterische Anspruch, den Brühl der Tafel geben möchte. Seine wiederholt erwähnte eigene sozialarbeiterische Erfahrung spielt sicher eine Rolle. Widersprüchlich wirkt jedoch der Versuch, von Ressourcenorientierung und Nachhaltigkeit, von Teilhabe und Unterstützung zu sprechen, wenn es angesichts der Abfertigungsrealität bei den meisten Tafeln nicht um persönliche Kontakte, sondern um das Loswerden nicht mehr verkäuflicher Waren geht. Die „Kunden“ der Tafeln sind doch ein weiterer Markt. Natürlich kann man nicht von Gewinnen im herkömmlichen Sinne sprechen - jedeR „KundIn“ zahlt nur ein oder zwei Euro als „Spende“. Gewinne machen die Betreiber aber dennoch: große Lebensmittelhändler sparen sich die Entsorgungsgebühren für organischen Müll, sponsernde Konzerne können sich das Mäntelchen sozialen Engagements umwerfen. Konzerne, die ja – wie Kathrin Hartmann so treffend analysiert hat – mit ihren Dumpinglöhnen zum Entstehen des Tafel-Klientels beitragen. Die Tafeln funktionieren, weil genug davon profitieren - je nachdem, wo man in der Schlange stand.

Zum ursprünglichen Verteilsystem für abgelaufenen Lebensmittel sind eine Menge Attribute hinzugekommen. Zahlreiche Ansprüche, Initiativen, Strukturen, Sponsoren. Die Tafeln als soziale Orte, die Tafeln als Orte der Scham, die Tafeln als Orte, wo die ehrenamtlichen Reichen die bedürftigen Armen kennenlernen können („Die wären sich im richtigen Leben nie begegnet“), die Tafeln als KritikerInnen der Sozialpolitik, die Tafeln als Lernorte für gesunde Ernährung, Urban Gardening und Nachhaltigkeit, die Tafeln als Kooperationspartner großer Firmen. Und die Tafeln als Orte sozialer Arbeit. Wobei Brühl hinzufügt: „Wir haben nicht die Pflicht, die Tafeln überflüssig zu machen“.

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