Frau Toma und die Frage nach der Zukunft

Zuwanderung Dass viele rumänische Staatsangehörige Berlin zu ihrer neuen Heimat machen, spricht für die Stadt. Dass sie - wie Herr Toma - mit ihrer Familie kommen, spricht für sie

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Wohnblock in Baia Mare in Nordwest-Rumänien
Wohnblock in Baia Mare in Nordwest-Rumänien

Foto: DANIEL MIHAILESCU/AFP/Getty Images

Frau Toma trägt noch ihre Klamotten von der Arbeit als ich mit ihr spreche. Turnschuhe, Jeans, Shirt. Sie hat die Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden, viele abstehende dünne Haare rahmen ihr zartes Gesicht. Ihre nassen Socken habe sie noch schnell wechseln können. Frau Toma spricht mit gedämpfter Stimme. Seit November vergangenen Jahres ist auch sie in Berlin. Sie spricht kein Deutsch. Noch nicht. Bis dahin legt sie das Schicksal von sich und ihrer kleinen Familie in die Händer von Mittelsmännern und Übersetzern, deren Namen sie nur zögerlich oder gar nicht nennen will.

Wir sitzen an einem grauen Berliner Tag irgendwo in einem Raum auf viel zu kleinen Stühlen an niedrigen, schönen Holztischen und sprechen über die Situation ihrer Familie. Frau Toma heißt in Wirklichkeit anders. Ihr Mann war schon im März letzten Jahres nach Berlin gekommen. Aus einer vergleichsweise großen Kreisstadt im Osten Rumäniens. In meiner Erinnerung eine traurige Ansammlung gigantischer, grauer Wohnblocks mit ihren typisch individuell reparierten Balkonen. Busfenster wurden im und nach dem Kommunsmis gern verwendet, um aus den Balkonen kleine Wintergärten zu machen. Ikarusbusfenster. Die Stadt in der Moldauregion hat nicht viel zu bieten: ein paar Lyzeen, viele geschlossene Fabriken, zahlreiche orthodoxe Kirchen, zahllose Kioske und eine Bahnanbindung nach Norden und Süden.

Seit Frau Toma im Herbst mit ihren beiden Kindern nachkam leben in dem Zimmer, was Herr Toma von seinem Arbeitgeber gestellt bekam, vier Personen. Sie zeigt in dem großen Raum herum, in dem wir sitzen: "Vielleicht halb so groß wie das hier", sagt sie. Ich schätze den Wohnraum der Familie auf 20 bis 30m². Es ist eine Wohnung, die von weiteren Mietern bewohnt wird. Jedes Zimmer wird wahrscheinlich separat vermietet. Frau Tomas Schwiegermutter bewohnt mit ihrem Mann auch ein Zimmer in der Wohnung. Die Familie ist dankbar, dass sie einen Unterschlupf gefunden haben. Sie zahlen dem Mann, den sie "Patron" nennen, 500€ im Monat dafür. Sie geben es ihm bar auf die Hand. Oder er behält es gleich vom Lohn ein. Der Herr, dessen Name auf das balkanische Suffix "-ic" endet, ist gleichzeitig Frau Tomas Arbeitgeber. Und der ihres Mannes. Wahrscheinlich auch der ihres Schwiegervaters.

Die Frau mit den braunen Augen erzählt von ihrer Arbeit. Sie putze Treppenhäuser. Acht Stunden am Tag. Ihre Firma hat sogar eine Website. Dort werden Menschen wie Frau Toma als "ausgebildetes Personal" bezeichnet, was "mit Hilfe neuester Reinigungsgeräte für grundlegende Sauberkeit" sorge. Von "professionellen Gebäudereinigern" ist da die Rede und "schonender Säuberung". Frau Toma ist froh, Arbeit zu haben. Der Chef sei ein Serbe, der rumänisch spreche. "Er beklaut uns auch auf rumänisch", sagt Frau Toma bitter-ironisch.

Ihr Mann pflege Grünflächen. Für den gleichen "Patron", die gleiche Firma. Der "Grünanlagen- und Gartenservice", wie es im Firmenjargon heißt, bringe "Außenbereiche in einen gepflegten Zustand". Die zahlreichen gärtnerischen Tätigkeiten würden von "geschultem Personal" übernommen, wirbt die Firmenhomepage. Für seine Arbeit bekommt Herr Toma 5,20€ die Stunde – genau wie seine Frau. Jenseits von brutto und netto, denn Herr und Frau Toma arbeiten schwarz. Sie zahlen nicht in die gesetzliche Krankenversicherung ein, führen nichts für die Rente ab und zahlen auch keine Steuern. Für den Moment können sie damit ihre kleine Familie durchbringen, immerhin bleiben ihnen nach Abzug der Miete noch etwas mehr als 1.000€ zum Leben.

Frau Toma stammt aus einer kleineren Stadt in Westrumänien. Sie liegt im historischen Banatgebiet unweit der serbischen Grenze. In der Schule hat sie englisch gelernt, mit dem sie sich hier einigermaßen durchschlagen kann. Das unterscheidet sie von vielen ihrer Landsmänner und -frauen.

Neulich, erzählt Frau Toma, war sie beim JobCenter. Was genau sie da gemacht hat, weiß sie nicht. Vermutlich hat sie die Vorgänge dort nicht verstanden. Sie war in Begleitung eines "Jungen" da. Der spreche rumänisch und deutsch, der helfe solchen Familien wie ihnen bei derartigen Angelegenheiten. Den Namen des jungen Mannes hat sich Frau Toma wahrscheinlich ausgedacht, weil sie Nachteile für ihre Familie fürchtet. Ein zweiter Vermittler und Übersetzer, zu dem sie der Junge mit dem römischen Namen gebracht hat, heißt in unserem Gespräch nur "der Deutsche". Dieser helfe ihnen mit dem JobCenter. Auch die Kindergeld-Anträge habe er erledigt. Wenn das mit dem JobCenter klappt, dann reden sie nochmal. So ist es abgemacht. Denn "der Deutsche" möchte für seine Dienste auch entlohnt werden. Frau Toma empfindet das als normal: "Wenn er seine Arbeit gut macht, bekommt er sein Geld – wenn nicht, dann nicht". Am Anfang sei es schwer hier. "Keiner hilft dir", meint die junge Frau. Deshalb nimmt die Familie die Hilfe derartiger Vermittler und Übersetzer in Anspruch. Dass ihnen damit nicht geholfen wird, sondern eine Drainage zum Familienportemonaise gelegt wird, scheint ihr nicht recht bewusst. Und wenn, dann nimmt sie es billigend in Kauf - wie es wohl jeder in ihrer Situation tun würde.

Von außen betrachtet lebt Familie Toma in einer äußerst prekären Situation: kein Krankenversicherungsschutz – Arztbesuche werden mit Selbstmedikation mit billigen rumänischen Medikamenten substituiert -, keine legale Anstellung mit entsprechenden weiteren Versicherungen, keine eigene Wohnung und keine Sprachkenntnisse.
Aus der Perspektive von Familie Toma haben sie schon viel geschafft: eine Arbeit mit vergleichsweise hohem Stundenlohn – in manchen Berliner Hotels putzen rumänische Frauen auch für deutlich weniger, mancher auf dem Bau Tätige wird gar nicht entlohnt -, eine Unterkunft, die Kinder besuchen eine Kita und bringen die deutsche Sprache häppchenweise mit nach Hause.

An die Zukunft denkt Frau Toma nur vage. Sie weiß, dass das Abhängigkeitsverhältnis zu den Mittlern noch lange bestehen wird – bis sie selbst ausreichend Deutschkenntnisse hat. Sie macht sich Sorgen um die Einschulung der Kinder, weil dafür ein Mietvertrag notwendig ist. Den haben sie nicht. Mit der Suche einer eigenen Wohnung tun sie sich schwer. Frau und Herr Toma müssen sich erst in den hiesigen Strukturen zurechtfinden. Ansprechpartner haben sie keine. Und ein Auszug könnte auch das Verhältnis zum Arbeitgeber-Vermieter, dem "Patron", belasten. Der verdient schließlich ganz gut an ihnen.

Nach Rumänien zurück – das ist keine Option für Frau Toma. Jetzt, wo ihre Mutter gestorben sei. Für die Kinder wünscht sie sich, dass sie bald noch besser Deutsch lernen; auch sie selbst hat sich schon auf die Suche nach einem Sprachkurs gemacht. Bei der Sprachschule, die sich ganz nah bei ihrer Arbeitsstelle befindet, hat sie sich Formulare geholt. 200€ kostet so ein Kurs im Monat. Wenn man beim JobCenter ist, bekommt man ihn gratis. So wird sie noch einige Male mit "dem Deutschen" dorthingehen müssen, an Gesprächen teilnehmen müssen, die sie nicht versteht und darauf hoffen müssen, dass die Vermittlungsperson es schon richtig macht.

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