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Neueröffnung Mit Vernissage, Konzert, Kurzfilmen und kulinarischen Erinnerungen an Rumänien wurde am 6. Oktober das Rumänische Kulturinstitut in Berlin wieder in Betrieb genommen

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Wenn man an rumänische Kultur denkt, denkt man an reich bestickte bäuerliche Trachten, fleischlastige Hauptmahlzeiten gepaart mit reichlich Pflaumenschnaps; man denkt an rythmische, fröhlich-sehnsüchtige Tanzmusik, an orthodoxes Christentum und vielleicht auch an alte Handwerkskunst. Was Kultur ist und sein kann - das war wohl die große Frage, die am vergangenen Dienstagabend bei der Wiedereröffnung des Rumänischen Kulturinstitutes in Berlin im Raum stand.

Die neuen Räumlichkeiten in einer der besten Gegenden Berlins sind modern gestaltet: viel Weiß, kein Kitsch, Säulenhalle, ein Innenhof mit Café-Haus-Atmosphäre, ein Veranstaltungssaal mit abwechslungsreicher Bestuhlung (Holzstuhl, Bürosessel, Polsterstuhl). Die rumänische Kultur, wie sie dem Klischee entspricht, wird erst auf den zweiten Blick sichtbar: dort eine Besucherin in traditioneller Bluse (sog. Ie), jedoch in befremdlichem Türkis statt des klassischen Weiß - hier der reich gedeckte Tisch, schön anzusehen die halben Schweine und ganzen Brote, aber eben schwer essbar, zumal nur Gabeln als Besteck angeboten werden.

Und dann kommt sie doch: rumänische Volksmusik; zwar kombiniert mit neuen Tönen und gespielt von einem Hipster-DJ – dennoch transportiert sie genau das, was das Rumänische ausmacht: Sehnsucht und Lebensfreude, Schmerz und Glück, Geborgenheit und Aufbruch. Ganz anders die vorherige Live-Performance der rumänischen Künstler Oana Cătălina Chițu (Gesang), Michael Abramovich (Klavier) und Dan Nuțu (Lesung). Sie kombinierten Texte rumänischer Schriftsteller (u.a. Emil Ciorans) mit jazzig-tiefgehenden Klavierpassagen - virtuos gespielt von einem Menschen, dessen Name so gar nicht rumänisch klingt – und herrlich leicht-stark gesungenen Trinkliedern.

Rumänische Kultur ist Tradition und Moderne. Es ist die Kultur eines Landes, was sich im Grenzraum östlich-orthodoxer und westlich-lateinischer Hemisphären befindet. Die Auseinandersetzung darüber, zu welchem Kulturkreis man sich zuordnen solle, hat ihre Anfänge im 19. Jahrhundert und dem damaligen Nationsbildungsprozess. Politik, Kultur und Gelehrsamkeit sind zu dieser Zeit häufig in ein und derselben Person vereint. Einer dieser Denker war nun auch Titu Maiorescu. Er ist Namensgeber des hiesigen Institutes. Er prägte die kulturell-literarische Strömung Junimea (dt. Jugend), die sich gegen eine zu starke Imitation des Westens im neuen Königreich Rumänien wandte. Seine Grundlagentheorie zu den forme fără fond (dt. Formen ohne Inhalt) kritisiert die oberflächliche Aufnahme westlicher Standards in Kultur und Kunst – da dabei das eigentlich Rumänische nicht mehr zur Geltung komme.

Emil Hurezeanu, der rumänische Botschafter in Berlin, verstand Maiorescus Programm etwas anders. In seinem Grußwort anlässlich der Eröffnung des Institutes sprach er von forme și fondul (Formen und Inhalt) und bezog sich wie auch weitere Redner auf die zahlreichen rumänischen Literaten und Kulturschaffenden, die mit Berlin verbunden waren. Er nannte die Schriftsteller Mihai Eminescu und Ion Luca Caragiale. Für Letzteren sei Berlin ein „bittersüßer Ort der Zuflucht und der Einsicht“ gewesen. Ein Staatssekretär des rumänischen Außenministeriums machte den Sprung zurück in die Geschichte noch weiter: er landete im Jahr 1714. Damals war Dimitrie Cantemir zum korrespondierenden (abwesenden) Mitglied der Preußischen Akademie zu Berlin ernannt und damit erstmals ein „rumänischer“ Gelehrter im Westen anerkannt worden.

Der historische Bogen wurde an diesem Eröffnungsabend weit gespannt; er hatte aber Lücken. 135 Jahre diplomatische Beziehungen zwischen Rumänien und Deutschland mögen ein Grund zum Feiern sein; genauso wie die Tatsache, dass das heutige Institut nun schon seit 16 Jahren existiert. Der Umstand aber, dass das Rumänische Kulturinstitut einen Vorgänger in der Zeit des Dritten Reiches hat, wurde von allen Rednern ausgespart. Und genau dies scheint auch Teil rumänischer Kultur zu sein: das Selektieren. Was passt ins Bild? Was nicht? Die Leiterin des Institutes, Cristina Hoffman, sprach in ihrer Begrüßung immerhin davon, dass die Einrichtung „seit über 16 Jahren auf deutschem Boden“ existiere. Konkreter wurde auch sie nicht.

Sextil Pușcariu, ein rumänischer Linguist, hatte 1940 das erste rumänische Kulturinstitut in Berlin gegründet. Wie auch Cantemir war er Mitglied der Preußischen Akademie gewesen. Pușcariu strebte eine Vertiefung der deutsch-rumänischen Wissenschaftsbeziehungen an, er wollte mit dem Institut rumänischen Studierenden den Weg nach Berlin erleichtern; später wollte er auch die deutsche Elite in der Siebenbürgenfrage (Wiener Schiedsspruch) für die Seite Rumäniens gewinnen. Schließlich geht es auch um Politisches: „Ich kam aus Deutschland mit der Überzeugung zurück, daß dort die Grundlinien zu einem neuen Abschnitt der Weltgeschichte aufgestellt würden“, schreibt er. „Den neuen Geist einzuatmen, das Werdende an Ort und Stelle kennen zu lernen erachte ich für die Jugend meines Landes von besonderer Wichtigkeit.“ Das Dritte Reich als Vorbild für seinen Verbündeten Rumänien. 1944 wechselt Rumänien die Seiten. Das Institutsgebäude in Berlin wird 1im gleichen Jahr bei einem Bombenangriff zerstört.

Natürlich ist dies keine rühmliche Geschichte, zumal Pușcariu beides anstrebte: „die genaue Kenntnis von Land und Leuten in Rumänien den Deutschen zu übermitteln [und andererseits] das Dritte Deutsche Reich in Rumänien bekannt zu machen“. Es wäre jedoch eine komplettere Geschichte. Ob die feierliche Einweihung eines neuen, prächtigen Gebäudes des Institutes der richtige Rahmen für eine kritische Auseinandersetzung mit der eigenen (Instituts)Geschichte gewesen wäre, sei dahingestellt.

Es sind aber ja gerade die Verwerfungen, die schiefen Linien, die Risse und Widersprüchlichkeiten, die rumänische Kultur - auch rumänische politische Kultur – geprägt haben und weiter prägen. An dieser Stelle wäre an Maiorescus Diktum der Formen ohne Inhalt zu erinnern. Vielleicht geht es nicht nur darum rumänische Kultur der Gegenwart zu gestalten, sondern auch in einen Austausch darüber zu kommen, was sie in Zukunft sein kann. Keiner hat gesagt, das Kultur schön, glatt, widerspruchslos und unangreifbar sein muss. Auch rumänische nicht.

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