Land ohne Familien

Republik Moldau "Alle Eltern wollen ihren Kindern alles geben, was sie können", sagt die Fotografin Andrea Diefenbach. In Berlin stellte sie ihr Fotoprojekt "Land ohne Eltern" vor

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Szene aus der Republik Moldau, wo die Fotografin zwischen 2007 und 2009 Familien besuchte, die zwischen verschiedenen Welten zerrissen sind
Szene aus der Republik Moldau, wo die Fotografin zwischen 2007 und 2009 Familien besuchte, die zwischen verschiedenen Welten zerrissen sind

Foto: DANIEL MIHAILESCU/AFP/Getty Images

„Viele haben kein Bild davon, wie hoch der Preis ist“, sagt Andrea Diefenbach bei der Vorstellung ihres Foto-Projektes „Land ohne Eltern“ am 4. Februar in Berlin. Die 41-Jährige spricht mit ruhiger Stimme von ihren Erfahrungen in der Republik Moldau und in Italien. Sie hat 2007 bis 2009 Familien besucht, die zerrissen sind zwischen verschiedenen Welten. Hier die Heimat, das Dorf irgendwo im Süden von Moldova, kaum Infrastruktur, nicht genügend Arbeitsplätze. Dort die Fremde, eine Stadt in Norditalien, viele Arbeitsplätze für AltenpflegerInnen, wenig Rechte für Arbeitskräfte von jenseits der EU.

Andrea Diefenbach hat beide Welten mehrmals besucht. Sie hat Orte und Menschen kennengelernt, ihr Vertrauen gewonnen, ist Teil von ihnen geworden, hat sich eingefühlt – und „wenn es sich gut anfühlt“, wie sie sagt, abgedrückt. Ihre Fotos erzählen die Geschichte der Trennung. Ihr Thema die Abwesenheit – von Heimat und Kindern und von den Eltern. Die zwei Welten „Moldova“ und „Italia“ wurden in einem 2012 im Kehrer Verlag erschienenen gleichnamigen Bildband vereinigt.

Diefenbachs Präsentation fand im Rahmen der derzeitigen Ausstellung „Schöne neue Welt – Traumhäuser rumänischer Migranten“ im Berliner Museum Europäischer Kulturen statt. Die noch bis Ende April zu besuchende Fotoausstellung ist ein Gemeinschaftsprojekt der Koordinierung Ostmittel- und Südosteuropa des Museums und der Staatlichen Museen zu Berlin mit dem Rumänischen Kulturinstitut von Berlin. Bei einer Führung wird man akustisch und optisch mitgenommen ins Dorfleben Nordrumäniens (Oascher Land, Maramuresch und Bukowina). Davon ausgehend zeichnen thematisch geordnete Bildkompositionen den Weg rumänischer ArbeitsmigrantInnen nach Italien nach: Busbahnhöfe, Pakete, Geldtransfer – die Infrastruktur der Transmigration hat viele Gesichter.

Dankenswerter Weise haben die MacherInnen auf aktuelle Ergebnisse der Forschung zur rumänischen Arbeitsmigration zurückgegriffen und damit der Ausstellung einen sehr informativen Rahmen gegeben. Kleine Metalltafeln führen die BesucherInnen durchs Thema. Auch dank der anschaulichen Schilderungen der Kuratorin wird ein erster, umfangreicher Blick auf das Thema möglich. Traumhäuser, die innen leer bleiben, weil das Geld fehlt, Traumautos, die auf den schlechten rumänischen Straßen kein Traum mehr sind, zerrissene Familien, zurückgelassene Alte, verlorene und neu konstruierte Identitäten. Die Ausstellung zeigt ein vielfältiges Bild, was ihr von den bisherigen BesucherInnen, die sich im Gästebuch verewigt haben, noch nicht so recht gedankt worden ist. Umso mehr ist zu hoffen, dass in den nächsten Wochen und Monaten noch viele BesucherInnen einen Blick nach Nordrumänien werfen werden.

Auch die moldauischen MigrantInnen wollen mit ihrer Arbeit in Italien den Traum vom eigenen Haus verwirklichen. Die Republik Moldau ist jedoch kein Mitglied der Europäischen Union. Bis 2014 konnten MigrantInnen nur illegal über die Grenze kommen. Für Schlepper legten sie oft mehrere tausend Euro hin, die sie dann über die Jahre abstotterten. Ihre Kinder konnten sie dabei nicht mitnehmen und sahen sie oft über Jahre nicht. Seit 2014 können moldauische Staatsangehörige nun visafrei in die EU kommen. Beschäftigungverhältnisse sind aber weiterhin meist illegal. Sie arbeiten als Putzkräfte, AltenpflegerInnen und landwirtschaftliche HelferInnen.

Diefenbach war das Phänomen wichtig, nicht die einzelnen Geschichten. Dennoch kennt sie alle (!) Namen der von ihr fotografierten Personen. Das zeigt, wie intensiv sie sich den Menschen zugewendet hat. Erst in Moldova, über eine Hilfsorganisation fand sie ein Dorf, dort fand sie eine deutsch sprechende Lehrerin und so fand sie die Kinder. Viele Familien waren skeptisch, erzählt die Fotografin. Viele aufgenommene Fäden ließen sich nicht weiter verfolgen. Die Familien, die Vertrauen fassten, konnte Diefenbach bei ihren wiederholten Besuchen im Alltag begleiten. Einmal fuhr sie mit einem Ehepaar in einem der duzenden Minibusse mit nach Italien. Der Abschied von den Kindern war das Schlimmste.

Mit ihrem Projekt liefert Diefenbach die Bilder zu einem weltweiten Phänomen, was sich schwer beschreiben und erfassen lässt. Umso wichtiger also ihr Beitrag. „Klar sind die alle todunglücklich“, sagt sie. Manche Familien zerbrächen daran. „Aber wenn ein Paket kam, haben sich alle gefreut“, erinnert sich Diefenbach. Dieses Jahr möchte sie die Familien wieder besuchen. Die Kinder von damals sind heute junge Erwachsene, die zum Teil selbst nach Italien gegangen sind. Diefenbach ist mit ihnen auf Facebook befreundet.

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