Nichts über wen ohne wen?

Roma und Sinti in Berlin Während die Politik langsam, aber stetig an Instrumenten zur Verbesserung der Lage der Minderheit arbeitet, fordern VertreterInnen der Community ein Minderheitengesetz

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Die Flagge der Roma vor dem Brandenburger Tor
Die Flagge der Roma vor dem Brandenburger Tor

Bild: Adam Berry/Getty Images

Die rot-rot-grüne Regierungskoalition, die Berlin seit letztem Jahr regiert, möchte Politik auch für die in dieser Stadt lebenden Roma und Sinti machen. In der Koalitionsvereinbarung sind wichtige Eckpunkte dieser Politik „festgeklopft“ (Susanna Kahlefeld).

Antiziganismus soll durch eine „aktive Politik“ bekämpft werden. In einem Rahmenvertrag sollen die Zusammenarbeit zwischen Politik, Verwaltung und Minderheit neu geregelt werden. „Die Instrumente des Roma Aktionsplans werden weiterentwickelt.“ Die Förderpraxis soll transparenter, das Bezirksprogramm „Roma“ beibehalten und aufgestockt werden. Schließlich soll in diesem Zusammenhang auch stärker gegen illegale und ausbeuterische Vermietungspraktiken vorgegangen werden. „Eine berlinweite Interventionsstrategie ist zu entwickeln.“

Gute Pläne, möchte man meinen. Ein Aufschlag, eine Diskussionsgrundlage. Sehr richtig, aber auch sehr optimistisch, berlinweite, einheitlichere Vorgehen anzustreben. Soweit zur Politik.

Nun zur Minderheit. „Nichts über uns ohne uns!“ lautet das Motto, was die Roma-und-Sinti-Verbände dieser Stadt für eine Diskussionsveranstaltung mit eben jenen Verantwortlichen der Koalitionsvereinbarung gewählt haben. Und worunter sich ihre Kritik subsummieren lässt. Denn sie fühlen sich nicht beteiligt, übergangen. Die Vertreterin des Verbandes „Amaro Foro“ e.V. sprach auf dem Podium gar von „Vertrauensbruch“. Ihre Kritik bezog sich auf den seitens der Politik gewählten Gesprächspartner: als Vertreter der Berliner Roma-und-Sinti-Community war nämlich der „Landesrat der Roma und Sinti, RomnoKher Berlin-Brandenburg e.V.“ auserkoren worden. Und nicht das „Rroma Informations Centrum e.V.“, „Amaro Foro e.V.“, „IniRomnja“ oder das „Roma Zentrum für interkulturellen Dialog e.V.“. Oder weitere, nicht auf dem Podium oder im Publikum vertretene Verbände und Selbstorganisationen.

Elke Breitenbach (DIE LINKE), Berliner Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales, hatte in ihrem Grußwort an diesem Montagabend nichts anderes befürchtet als das, was danach folgen würde: „Die Stimmung ist nicht die beste“, sagte sie, „Vor uns liegen schwierige Debatten“. Breitenbach will eine Vereinbarung und sie will, „dass alle deutschen und ausländischen Roma und Sinti in dieser Stadt beteiligt sind“. Der Integrationsplan sei weiterzuentwickeln. Und man solle sich Zeit lassen. Ihre Bitte, nicht zu vergessen, „dass wir auch noch andere Aufgaben haben“, zeigt, dass sie weiß, wie man sich bei diesem Thema verheddern kann. Bei dem Thema, wer „die Roma und Sinti“ sind und erst recht, wer sie auf politischer Bühne vertreten könnte.

Die Roma-und-Sinti-VertreterInnen auf dem Podium übergehen alle in den letzten Jahren von den politisch Verantwortlichen dieser Stadt entwickelten Strategien und Instrumente. Mit keinem Wort werden Aktionsplan oder Bezirksprogramm „Roma“ erwähnt, geschweige denn gewürdigt.
Stattdessen lautet ihre Forderung: „ein Minderheitengesetz für Sinti und Roma, sowie die aktive Mitsprache bei dessen Ausgestaltung“. Am besten ab 2019, dem Jahr, wo sich das Inkrafttreten der Europäischen Charta der Regional-und Minderheitensprachen in Deutschland zum zwanzigsten Mal jährt.

Einen guten, ruhig-sachlichen Einstieg in die Debatte hatte die Juristin Nikolett Suha gegeben. Sie referierte zur Roma-Minderheit, gab einen Überblick über europäische Roma-Politiken, die Roma als „Issue“ betrachteten, wofür Lösungen gefunden werden müssten; schließlich gab sie einige Impulse zur Ausgestaltung eines Minderheitengesetzes.

Leider wurde dies nicht zum Ausgangspunkt für Diskussionen zu möglichen inhaltlichen Aspekten des zu schaffenden Gesetzes genommen. Stattdessen verfingen sich die VertreterInnen der Roma-und-Sinti-Community von Anfang an in Formfragen: mit wem die Regierenden kooperierten und dass es ein Gesetz und nichts anderes (Rahmenvertrag, Staatsvertrag, …) sein müsse.

Hatte Suha eingangs noch abstrakt über die Homo- oder Heterogenität der Roma-Minderheit gesprochen, so wurde diese Heterogenität im Verlauf der Diskussion überdeutlich. Wer warum für wen spricht, war nicht klar. Und wer vertritt die sogenannten „ausländischen Roma“, die bisher in keiner bekannten Form organisiert sind. Weil sie sich auch gar nicht unbedingt als Roma identifizieren möchten. Ansatzweise machten die Roma-VertreterInnen auf dem Podium den Versuch, auch für sie zu sprechen. Was jedoch wenig glaubwürdig erschien, da gerade zu deren sozialer Situation in Berlin und den Mehrfachdiskriminierungen, denen sie oft ausgesetzt sind, überhaupt nichts zu hören war.

Vor allem aber zogen sie sich darauf zurück, „was die Berliner Roma in den letzten 20 Jahren für diese Stadt getan haben“ (Milan Pavlovic). Dies sei schließlich Anlass genug, ihre Rechte im Rahmen eines Minderheitengesetzes mit entsprechenden Mitspracherechten zu stärken. „Mit Beratungsstellen, Demonstrationen und Interventionen haben sich Strukturen von und für die Belange der RomNja ausgebildet“, es sei Zeit für „institutionalisierte Rechte“.

Die geladenen Politikerinnen Susanna Kahlefeld (Bündnis 90, die Grünen), Katina Schubert (DIE LINKE) und Karin Korte (SPD) machten geduldig und konstruktiv Anmerkungen zur Ausgestaltung einer entsprechenden Vereinbarung zwischen Land und Minderheit. Kahlefeld hatte sich dafür intensiv mit einem ähnlich gearteten Staatsvertrag aus Baden-Württemberg befasst, der zwar nicht eins zu eins übernommen werden könne, aber doch Diskussionsgrundlage sein könnte. Schubert verwies auf die Heterogenität der Zielgruppe, die aus Angehörigen der autochtonen Minderheit der Sinti und Roma (deutsche Staatsangehörige), UnionsbürgerInnen und Drittstaatsangehörigen mit wiederum verschiedenen Aufenthaltsstati bestünde. Dies allein bietet reichlich Stoff, um ins Gespräch zu kommen, wer wen warum in welcher Form repräsentieren kann. Außerdem verwies Schubert auf das Berliner Partizipations- und Integrationsgesetz, was im Sinne der Roma-und-Sinti-Community weiterentwickelt werden könnte. Auch hier ein Diskussionsfenster.

Die Vorwürfe der Roma-VertreterInnen, nicht im politischen Entscheidungsprozess beteiligt worden zu sein, bzw. beteiligt zu werden, wiesen die Politikerinnen zurück. Es sei ein „Ringen um den besten Weg“, merkte Schubert an, wohingegen Kahlefeld auf den Koalierungsprozess verwies: die Vereinbarung hätte schnell festgeklopft werden müssen. Korte schließlich stellte den Gesetzgebungsprozess in den Mittelpunkt und fragte, mit wem man auf diesem langen Weg gehe bis es soweit ist. Ein Gesetz entsteht schließlich nicht innerhalb eines Jahres.

Das Argument der Roma-Verbände auf dem Podium, es gebe ja auch für die anderen Minderheiten in Deutschland Gesetze, erntete auf Seiten der Politikerinnen Stirnrunzeln. Diese Gesetze könnten gerade keinen Vorbildcharakter haben, da sie den autochtonen Minderheiten gelten, deren Angehörige allesamt die deutsche Staatsangehörigkeit haben. Genau dies ist bei der Zielgruppe in Berlin nicht der Fall. „Unser Anliegen ist sicher, auch ausländische Roma mit einzubeziehen“, wiederholte Kahlefeld das Eingangsstatement der Sozialsenatorin.

Nach eine bisweilen hitzigen Diskussion gelang es gegen Ende immerhin, sich auf die Einrichtung eines Rundes Tisches zu diesem Thema zu verständigen. Welche Ergebnisse sind jedoch angesichts des bisherigen Verlaufs der Gespräche zu erwarten?

Wichtig für einen konstruktiven Prozess wäre es, dass die verschiedenen Roma-und-Sinti-VertreterInnen aufhören, sich abzugrenzen und versuchen, auf demokratischem Weg Gemeinsames zu finden. Dass sich VertreterInnen der Roma-Community lösen von der Vorstellung, als Betroffene auch automatisch Fachkompetenz zu besitzen.
Wann kommen konstruktive, machbare Vorschläge auf den Tisch? Wann hören die RepräsentantInnen der Roma und Sinti – oder die, die sich dafür halten – auf, sich über mangelnde politische Repräsentation zu beklagen und fangen an, einfach eine politische Partei zu gründen? Und vor allem: Was sind die konkreten inhaltlichen Vorschläge für das geforderte Minderheitengesetz?

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